Aus dem Vollen

China Man habe nicht vor, den Westen zu kopieren, heißt es auf dem laufenden Parteitag in Peking immer wieder. Die neue Führung tut gut daran, bei diesem Vorsatz zu bleiben
Bilder einer Parteitagsausstellung, die mit zeitlosen Schinken auf Publikum hofft
Bilder einer Parteitagsausstellung, die mit zeitlosen Schinken auf Publikum hofft

Foto: Feng Li/Getty Images

Wenn in Peking Parteitage über die Bühne gehen, ist es im Westen wieder soweit: Man darf über Chinas Kommunisten aus dem Vollen schäumen. Die haben schließlich einen Makel, den ihnen hierzulande kaum jemand durchgehen lässt. Besser: Durchgehen lassen kann. Sie haben in Maßen Erfolg und halten sich an gegebene Versprechen.

Schon als die Reformpolitik Ende 1978 auf einem KP-Plenum eingeläutet wurde, versprach Reformpatriarch Deng Xiaoping, zwischen 1980 und 2000 werde man das Bruttoinlandsprodukt in China – damals noch Gesellschaftliches Gesamtprodukt (GGP) genannt – verdoppeln. Und man hielt sich daran. So entstand das ökonomische Fundament, um während der vergangenen 30 Jahre – ebenfalls wie angekündigt – die privaten Einkommen im Schnitt zu vervierfachen.

Trotzdem soll die Ära des jetzt ausgeschiedenen KP-Generalsekretärs Hu Jintao „eine Dekade der verpassten Gelegenheiten“ (Neue Zürcher Zeitung) gewesen sein. Warum eigentlich? Das Reich der Mitte ist seit 2002 zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen, liegt als Handelspartner vor allen anderen und bringt es auf soviel internationale Finanzkraft, dass auch Nordamerika und Europa etwas davon haben. Wollte die Bank of China, eines der vier großen staatlichen Finanzinstitute des Landes, auf den Markt werfen, was sie an US-Papieren oder Schuldverschreibungen aus dem Euroraum im Depot hält, wäre die US-Ökonomie ein griechischer Patient und die europäische Gemeinschaftswährung Schnee von gestern.

Plus 7,6 Prozent

Die Volksrepublik, liest und hört man hierzulande in nahezu jedem Parteitagsreport, verfüge über eine Wirtschaft, die ihre beste Zeit hinter sich habe. Jetzt drohten Stagnation und Erosion. Diese Ökonomie erodiert mit einem Wachstum von voraussichtlich 7,6 Prozent in diesem Jahr. Nach einem Zuwachs von zehn Prozent und mehr seit 1990 scheint das weiterhin bemerkenswert. Wenn ein solches Plus auf Niedergang und Verfall deutet, welcher Abgrund droht dann erst der EU, die es 2012 noch nicht einmal auf einen Zuwachs von einem Prozent bringt, 2013 weiter unter dieser Marke bleiben und ihrer Währungsmisere noch auf Jahre die Treue halten wird.

Sie wirkt peinlich und ist zudem ermüdend, die ewig gleiche propagandistische Mobilmachung zum Thema China, bei der Fakten und Fiktionen verrührt werden, und man einen ARD-Tagesschau-Bericht über den Parteitag getrost soufflieren kann, ohne das Manuskript der in ihren Aufsagern ideologisch sehr gefestigt wirkenden Korrespondentin zu kennen.

Hus Vermächtnis

Man habe nicht vor, den Westen zu kopieren, heißt es auf dem 18. Parteitag immer wieder. Die künftige Führung tut gut daran, bei diesem Vorsatz zu bleiben. Das hat nichts mit Selbstgefälligkeit zu tun. Man darf dem designierten Generalsekretär Xi Jinping und seinem künftigen Premier Li Keqiang schon abnehmen, dass sie in den sozialen Verwerfungen des vergangenen Jahrzehnts oder in der Kluft zwischen prosperierenden Küstenregionen im Osten und entwicklungsbedürftigem Armenhäusern im Westen keinen Idealzustand sehen. Und schon gar nicht im verbreiteten Hang zur Korruption, die Partei, Staat und Gesellschaft gleichermaßen zur Last fällt. „Wenn wir mit diesem Problem nicht richtig umgehen, könnte es fatal für die Partei werden und sogar deren Zusammenbruch wie auch den Kollaps des Staates herbeiführen.“ So der scheidende Parteichef Hu Jintao gleich zu Beginn des Parteikongresses. Dies klang nicht nur wie ein Vermächtnis, sondern wirkte wie eine Offenbarung, die an Klarheit und Transparenz vieles von dem übertrifft, was EU-Politiker über den Ernst der Euro-Krise zugeben.

Mehr „soziales Management“ soll es geben, lässt sich der neue Parteichef vernehmen, der in der Vergangenheit bereits Führungsverantwortung nicht zuletzt in der Wachstumszone Fujian oder im Finanzzentrum Shanghai wahrgenommen hat. Er erweckt ebenso wenig wie der kommende Premier Li den Eindruck, dass er die fast 83 Millionen Mitglieder zählende Partei einer Wagenburgmentalität zu unterwerfen gedenkt, die sie von der Gesellschaft isolieren könnte. Xi Jinping hat keine dramatischen Umwälzungen versprochen, aber einen nach wie vor vorhandenen Reformbedarf konstatiert. Man darf annehmen, dass er den abarbeiten wird.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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