Wie dem Tier, so du mir

Kino „Das Schwein von Gaza“ von Sylvain Estibal

Hierzulande hat das Schwein, wiewohl als Schimpfwort gebraucht, kein schlechtes Image. Es ist eher Symbol des einfachen Lebens, Accessoire jeder Bauernhof-Romantik. Eine leichte Verschiebung des gesellschaftlichen Rahmens macht aus dem fröhlichen Allesfresser allerdings eine mythische Figur mit erheblichem Konfliktpotenzial. Etwa im Gaza-Streifen: Was tun, wenn man dort zum Besitzer eines Schweins wird?

Das Tier einfach auf dem Markt feilzubieten, geht nicht, wird das Schwein doch sowohl im Islam als auch im Judentum als unrein betrachtet. An diesem Dilemma setzt Sylvain Estibals Film Das Schwein von Gaza an. Hinter der lebenspraktischen Frage verbirgt sich eine größere Problematik, ein Bündel von politischen, wirtschaftlichen und religiösen Faktoren. So ist ein Film entstanden, der versucht, mit kleinen Gesten große Wahrheiten zu vermitteln.

Statt der sonst üblichen Flip-Flops und Sardinen geht dem Fischer Jafaar (gespielt von Sasson Gabay) also ein ausgewachsenes Schwein ins Netz, das von da an in seinem Laderaum haust. Eigentlich würde er es gerne loswerden, es zu erschießen bringt Jafaar aber doch nicht übers Herz. Also verkaufen. Die erste Anlaufstelle ist der UN-Posten vor Ort. Ulrich Tukur hat hier einen Auftritt als deutscher, leicht überforderter, cholerischer Verwaltungsbeamte. Letztlich zeigt aber auch er kein Interesse am Kauf des Schweins. Wenn Jafaar das Tier also behalten muss, will er wenigstens Geld mit ihm verdienen. Als Devise gilt dafür: Sex sells.

Eine israelische Siedlung in der Nähe betreibt eine Schweinezucht, in der sich die Tiere nur auf einem Holzboden bewegen, und so kein israelisches Land beschmutzen. Seit der letzte Eber durch Raketenbeschuss ums Leben kam, ist der Fortbestand gefährdet. Jafaar kann diese Marktlücke füllen, indem er erst Sperma seines Schweins verkauft und später das ganze Tier zur Siedlung bringt. In diesen Szenen, in denen Jafaar versucht, an das Sperma des Tieres zu kommen oder es als „Schwein im Schafspelz“ verkleidet, um es unerkannt zu transportieren, entfaltet der Film sein komisches Potenzial.

Kein Streichelzoo

Doch auch der hier präsentierte Gaza-Streifen ist kein Streichelzoo. Die putzige Schweine-Affäre wird in das irre Muster von religiös begründeter Gewalt und Vergeltung hineingezogen. Wie sich herausstellt, züchten die israelischen Siedler die Schweine als Minen-Detektoren.

Jafaar wird als Helfer der Israelis diffamiert. Um seine Frau zu retten, muss er das Schwein als grunzenden Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel in die Siedlung schmuggeln und selber als Märtyrer sterben. Auf seinem Weg dorthin wird ganz nebenbei mit kindlicher Logik die Idee des Heldentodes dekonstruiert. „Mein Vater starb wie du. Für Palästina.“ „Bist Du stolz auf ihn?“ „Ja, aber es wäre besser, wenn er noch da wäre.“

Ganz rund läuft der geplante Anschlag nicht, chaotisch geht es trotzdem zu. Wenn israelische und palästinensische Grenztruppen gemeinsam versuchen, ein Schwein einzufangen, anstatt aufeinander zu schießen, ist das eine jener symbolischen Handlungen, die den Konflikt fabelhaft aufzulösen versuchen. Ob dafür aber jeder Satz einer brasilianischen Telenovela, die in Jafaars Haus läuft, als Kommentar auf die Lage gemünzt werden muss, ist offen. Das Schwein von Gaza wirbt für eine Vision vom besseren Zusammenleben, die sich filmisch allerdings bisweilen nur mit einer arg plakativen Bildsprache entwickeln lässt.

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