Mehr Demokratie wagen!?

Selbstversuch Die Parteien sagen, sie hätten „verstanden“ – und wollen sich für mehr Bürgerbeteiligung öffnen. Mal sehen, wie das klappt

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Mehr Demokratie wagen!?

Foto: mohamed_hassan/Pixabay (CC0 1.0)

Das Thema Digitalisierung interessiert mich – insbesondere, was das mit unserer Gesellschaft macht. Und ich vermute, dass ich sogar ein paar brauchbare Gedanken dazu beitragen kann. Immerhin wird Industrie 4.0 die größte Umwälzung in der Arbeitswelt auslösen seit der Industrialisierung. Und noch keine Partei hat ein fertiges Programm, wie damit umgegangen werden soll. Also habe ich mich mal im Internet auf die Suche gemacht, welche Partei in NRW mir denn beim Thema Digitalisierung ein Angebot zum Mitreden macht, ohne dass ich gleich in die Partei eintreten muss.

Heute ist Dienstag, der 13. Februar 2018. Diese banale Feststellung wird bei meiner Recherche noch eine Rolle spielen.

Von der Webseite der NRW-CDU bin ich in Bezug auf digitales Mitmachen sofort angetan. Unter Landesfachausschüsse, „Netzwerke und sonstige Gruppen“ werde ich fündig und auf die Webseite von „cnetz“ weitergeleitet, einem CDU-nahen „Verein für Netzpolitik“.
Die Beschreibung, was dieser Verein tut, liest sich vielversprechend. Die Webseite ist auf einem sehr aktuellen Stand. Unter anderem kann ich dort lesen, welche Empfehlungen cnetz der CDU zu den Koalitionsverhandlungen mit der SPD zum Thema Digitalisierung mit auf den Weg gegeben hat. Etwas ungläubig lese ich da, dass e-sport eine Betätigung sei, die vorrangig gefördert werden müsse. Unter „Mitmachen“ soll ich ein PDF Formular zur Anmeldung runterladen. Hier erst erfahre ich, dass der Spaß pro Jahr 60 Euro kostet und ich ein Mitglied von cnetz benennen soll, das meinen Aufnahmeantrag befürwortet. Dabei kenne ich doch bei cnetz niemanden!

Ehe ich mich mit 60 Euro an etwas binde, das ich noch nicht durchschaue, gucke ich erst mal weiter, was denn die anderen Parteien zu bieten haben: Auf der Webseite der NRW-SPD führt das Ansinnen, mitmachen zu wollen, direkt zu einem Aufnahmeantrag für die Mitgliedschaft in der SPD. Fachausschüsse, bei denen Gäste willkommen wären, kann ich nicht entdecken. Vielleicht würde die SPD für mich eine Ausnahme machen? Ehe ich mich danach erkundige, gucke ich mal auf das Parteiprogramm der NRW-SPD, das unter dem irreführenden Menüpunkt „Mitmachen“ als „Unser Plan“ vorgestellt wird. Im Unterpunkt „Digitalen Fortschritt gestalten“ wird auf zwei Seiten zackig berichtet, was die SPD in NRW alles für die Digitalisierung tut und bis wann das jeweils erledigt sein wird. Das Ganze kumuliert in der Aussage „Wir starten das Gigabit-Zeitalter in NRW“.

Moment mal, war da nicht was? Ja, klar doch. Am 14. Mai 2017 war die rot-grüne Landesregierung unter Hannelore Kraft abgewählt worden und durch eine CDU-FDP Regierung unter Armin Laschet ersetzt worden. Seither hat offenbar keiner in der NRW-SPD mehr das Landes-Parteiprogramm zur Digitalisierung angefasst und auf den aktuellen Stand gebracht. Hm, so richtig wichtig scheint die SPD das Thema „Digitale Zukunft“ also nicht zu nehmen. Naja, die haben gerade andere existenzielle Probleme.

Auf der Webseite der NRW-Grünen werde ich zu den „Landesarbeitsgemeinschaften“ (LAG) gelotst. Die LAGs sind die „Denkfabriken der Politik“ bei den Grünen. Zu denen gehört auch eine LAG Medien- und Netzpolitik. Dort geht es um Themen „von GEZ-Gebühr bis Datenschutz“. In dieser LAG hätten sogar die Piraten eine neue Heimat gefunden, und auch andere Gäste wären willkommen. Ich versuche, herauszufinden, womit sich die LAG Medien- und Netzpolitik beschäftigt und lande auf einer Seite, auf der zu einer Sitzung dieser LAG am 11.11. in Wuppertal eingeladen wird. Leider steht nicht dabei, in welchem Jahr. Aus dem dürftigen Inhalt der Meldung schließe ich, dass es sich wohl um das Jahr 2017 handeln muss. Digitalisierung scheint auch bei den Grünen kein wirklich aktuelles Zukunftsthema zu sein. Später finde ich noch eine Einladung zu einem Treffen am 9.März. Leider wieder ohne Jahr. In eine im Computer-Design der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts gehaltene „Medienliste“ könnte ich mich jetzt als Interessent eintragen. Da nicht dabei steht, was ich mir damit einhandele, lasse ich das jetzt erst mal.

Auf der Webseite der NRW-FDP wird gar nicht erst der Versuch gemacht, Nicht-Parteimitglieder zu motivieren, bei der FDP mitzumachen, sondern man kann nur sofort Parteimitglied werden. So etwas wie Landesarbeitsgemeinschaften suche ich dort vergeblich. Ein Blick ins ca. 60-seitige FDP Parteiprogramm beschreibt auf den Seiten 49 – 50 die FDP-Gedankenwelt zur Digitalisierung. Diese besteht aus dem Ausbau des Glasfasernetzes und der Ausweitung von e-government in NRW. Ich finde, das ist ein bisschen dürftig für eine Partei, die im Wahlkampf mit dem Slogan angetreten ist „Digital first – Bedenken second“.

Die Linke in NRW ist im Landtag nicht vertreten, hat aber natürlich eine NRW-Parteiorganisation. Allerdings finde ich auf ihrer Webseite kein Mitmachangebot. Das Parteiprogramm fordert zum Thema „Netzpolitik“ den allgemeinen, freien und gleichen Zugang zu den Medien, den Verzicht auf Zensur sowie die Förderung von Open-Access an den Hochschulen und den Schutz von Whistleblowern. Davon, wie Industrie 4.0 unsere Arbeitswelt verändert, finde ich nichts.

Bei der AfD-NRW gibt es Landesfachausschüsse, aber darunter keinen zum Thema Digitales oder Medien. Der Zugang zu den Ausschüssen steht ausdrücklich nur AfD-Mitgliedern offen. In meiner Stadt gibt es „leider“ kein AfD-Büro und im Stadtrat sitzen keine AfD-Politiker (ja, so was gibt es noch), so dass ich von weiteren Recherchen Abstand nehme.

Alle Parteien mit Ausnahme der AfD werben damit, sie müssten sich „modernisieren“. Am meisten hält das derzeit wohl die SPD für nötig. Dass die Parteien offener für politisch interessierte Mitbürger werden und sich mit der digitalen Arbeitswelt 4.0 beschäftigen, könnte ein Teil dieser Modernisierung sein. Ist es aber nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Querlenker

Zu den Problemen unserer Zeit stelle ich funktionierende Lösungen vor, die aber aus Gründen der Konvention, der Moral oder Faulheit niemand anpackt.

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