Interview mit Moritz Laube (Freiland)

Staatsgründung In „Freiland“ reagiert eine Gruppe von Menschen konsequent auf Euro-, Finanz-, Immobilien und sonstige Krisen: Sie gründet einen eigenen Staat in Brandenburg

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Interview mit Moritz Laube (Freiland)


Regisseur Moritz Laube drehte den Film mit einem 10-seitigen Konzept und improvisierenden Schauspielern. Im Interview sprachen wir mit dem Filmemacher über totalitäre Systeme, Selbstverwaltung und die Symbolik einer Augenklappe.

Moritz, dein Protagonist Niels Deboos echauffiert sich über die Gleichgültigkeit, mit der die Gesellschaft auf die Euro-Krise reagiert. Ist das auch ein persönliches Anliegen von dir? War das die Grundidee hinter „Freiland“?

Es trafen zwei Grundideen aufeinander, die letzten Endes den Film ergaben. Zum einen gab es ein Projekt in der Uckermark: Ein paar Jungs haben tatsächlich ihren eigenen Staat gegründet. Ich hatte davon in der Zeitung gelesen und fand die Idee – unabhängig ihres politischen Hintergrunds – spannend; gerade in Zeiten der Eurokrise, als die Menschen an Untergangsszenarien gedacht haben und sich ihr Fleckchen Erde sichern wollten, bevor alles zusammenbricht.
Auch generell wuchs mein Interesse an der Frage: „Was passiert eigentlich gerade mit unserer Gesellschaft? Wo geht es hin?“ Nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Nun gibt mir die Entwicklung auch ein wenig Recht. Man liest immer wieder in Zeitungen – zuletzt in der Zeit – dass ein stetiges Wachstum irgendwann nicht mehr vorstellbar ist; dass Gesellschaft und Wirtschaft umgebaut werden müssen. All diese Faktoren kamen letztendlich zusammen und haben mich dazu bewogen, diesen Film zu drehen.

Niels Deboos und seine Mitstreiter stellen sich bei der Staatsgründung nicht immer sonderlich geschickt an. Glaubst du persönlich nicht an das Modell der Selbstverwaltung oder wolltest du eher zeigen, wie man es nicht macht?

Zunächst macht ein Film, bei dem alles wie geschmiert läuft, dramaturgisch wenig Sinn (lacht). Niemand will einen Film sehen, bei dem alles klappt und funktioniert. Ich persönlich glaube daran, dass Selbstverwaltung funktionieren kann. Ich glaube aber auch, dass es gewisser Voraussetzungen bedarf. Viele verschiedene Persönlichkeiten mit vielen verschiedenen Ansichten unter einen Hut zu bekommen, ist sicherlich immens schwierig.
Ich muss bei dieser Frage immer an einen Ausspruch von Christoph Schlingensief denken. Er sagte, dass ein Staat, eine Kommune oder eine andere Form von Gesellschaft nicht geplant werden kann, sondern solche Dinge in einem explosiven Akt entstehen, nach dem Motto: „Wir besaufen uns einen Abend und schreiben dann irgendetwas nieder.“ Planung erscheint hier eher destruktiv, das halte ich für einen spannenden Gedanken.

Deine Protagonisten glauben an eine Utopie, doch ihr Konzept geht nicht auf. Auch weil ihr Anführer beginnt seine Macht zu missbrauchen. Glaubst du, dass Macht in jedem Fall korrumpiert?

Macht macht es einfacher korrumpiert zu werden. Es hängt dann ganz stark von der Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen ab, ob er sich korrumpieren lässt.

Hast du bereits Feedback aus der linksalternativen Szene erhalten? Nimmt sie den Film mit Humor oder hätte sie sich eine reibungslosere Staatsgründung gewünscht?

Direktes Feedback aus der linksalternativen Szene habe ich nicht bekommen. Die Zuschauerreaktionen waren aber schon interessant und irgendwie lustig: Ungefähr 50% empfanden „Freiland“ als eine Parodie auf eine kommunistische oder sozialistische Gesellschaftsform halten, die anderen 50% haben faschistische Grundzüge erkannt. Dass also fast alle Zuschauer in dem Projekt Freiland totalitäre Staatsformen sahen, ist schon sehr spannend.

Zurück zum Film. Gerade Langfilm-Debuts haben oft eine ziemlich lange und abenteuerliche Produktionsgeschichte. Seit wann spukte die Idee in deinem Kopf herum und welche Steine musstest musstet ihr beim Dreh in Brandenburg letztendlich aus dem Weg räumen?

Die Idee spukt seit Ende 2009/Anfang 2010 in meinem Kopf herum, gedreht haben wir im Oktober 2011. Die größte Schwierigkeit bestand darin, dass Geld zu sammeln. Mir war klar, dass ich diese Filmidee, mit der spezifischen Art und Weise der Umsetzung nicht auf herkömmlichen Weg, also über Fördergelder oder Fernsehsender, finanzieren kann und das auch nicht will. Ich wollte dieses anarchistische Prinzip auch in der Produktion durchhalten. Zum Glück habe ich mit Susanne Mann (der Produzentin, Anm. d. Red.) eine Partnerin gefunden, die diesen Weg genau so mitging. Das hat der Film gebraucht.
Nichtsdestotrotz brauchte der Film Geld und wir haben es mit Crowd Funding versucht, wobei wir mit wehenden Fahnen untergegangen sind. Von geplanten 26.000 Euro haben wir – immerhin - 3.000 gesammelt. Doch die gehen wieder zurück, wenn man seine Zielsumme nicht erreicht. Letzten Endes haben wir das ganze Budget selbst finanziert. Das war einer der größten Brocken, die wir zu bewältigen hatten. Da war es toll, dass ich um die 20 Schauspieler bekommen habe, die alle pro bono gearbeitet haben, ebenso wie die ganze Crew. Das hat dem gesamten Projekt, das improvisiert ist, eine besondere Energie gegeben.
Bis auf die Produktionsbedingungen, mussten wir kaum Steine aus dem Weg zu räumen. Gerade beim Dreh auf dem Land standen uns alle Türen weit offen. In Fichel, wo wir gedreht haben, gab es viele Unterstützer, die es sehr spannend fanden, dass ein Filmteam vier Wochen lang bei ihnen übernachtet.

Aljoscha Stadelmann scheint wie geschaffen für die Rolle des charismatischen Staatschefs. Hattest du ihn beim Verfassen des Drehbuchs schon im Kopf? Wie kam die Zusammenarbeit zu Stande?

Ich hatte mit Aljoscha bereits an dem absurden Film „Ketchup Connection“ gearbeitet. Ich mochte damals schon seine Urgewalt. Wenn man ihn in eine Richtung schickt, dann ist er nicht mehr aufzuhalten. Als ich das Konzept für „Freiland“ geschrieben habe, musste ich tatsächlich sofort an ihn denken. Bis auf eine Person – Christian Darré verkörpert von Matthias Bundschuh – kannte ich alle Schauspieler persönlich. Das war auf Grund der Produktionsbedingungen natürlich eine gute und wichtige Voraussetzung.

Ein besonderes Merkmal ist Niels Deboos‘ Augenklappe. Wofür steht sie?

Stuttgart 21! Ich habe generell versucht, viele Anleihen, viele Zitate – auch Bildzitate – zu schaffen, die ins aktuelle politische und gesellschaftliche Geschehen passen. Für mich war eins der eindrucksvollsten Bilder der letzten Jahre der ältere Herr mit den beiden blutenden Augen, der sich bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21 vor den Wasserwerfer gestellt hatte. Das wollte ich aufgreifen. So fängt der Film dann auch an: Niels, der am Auge verletzt wird und die Augenklappe tragen muss. Dass viele die Augenklappe als Anspielung auf die Piratenpartei verstehen, war von mir nicht angedacht, ist mir aber auch willkommen.

Und sie sieht cool aus.

Ja, sie sieht wirklich cool aus.

„Freiland“ wird durch fiktive Interviews aufgelockert. Warum hast du dich für diese Anleihe an der Mockumentary entschieden?

Ganz ehrlich: Ich hatte in der Konzeptionsphase daran gedacht dieses Stilmittel zu wählen, falls mir die Dramaturgie auf die Füße fällt, falls ich irgendwo Löcher stopfen muss. Nach eine dreiviertel Jahr Schnitt haben wir gemerkt, dass das nicht der Fall war. Wir hatten eine saubere Dramaturgie zusammenbekommen. Nichtsdestotrotz wollte ich an einigen Stellen noch ein bisschen mehr in die Köpfe der Charaktere schauen. Dem Schnitt fielen natürlich auch ein paar Feinheiten zum Opfer und die wollte ich mit den Interviews wieder herauskitzeln.

Dein Langfilm-Debut ist im Kasten. Wie geht es bei dir weiter?

Der Grund warum ich Freiland gemacht habe, war, dass ich seit vier Jahren ein Drehbuch in der Schublade habe, das in der Finanzierung steckt: Ein Roadmovie, das uns nach Norwegen führt. Ich wollte aber unbedingt drehen, deswegen der Konzeptfilm „Freiland“. Das Norwegen-Projekt soll aber auf jeden Fall kommen. Außerdem arbeite ich gerade mit einer kanadischen Autorin an einem Episodenfilm, der dann u.a. auch in Kanada spielen soll.

Peter Correll
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Geschrieben von

achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

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