„Wir werden alle telepathieren“

Re:publica Elektroden, Implantate, Neuroenhancement: Miriam Meckel spricht über die Chancen der Verschmelzung von Mensch und Technik. Was bedeutet das für unseren Alltag?

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Er hört die Farben über eine Antenne über seinem Kopf. Das klingt nicht nur ungewöhnlich, es sieht auch ungewöhnlich aus. Weil Neil Harbisson farbenblind ist, hängt vor seiner Stirn ein Sensor, der ihm Farben in Töne umwandelt. Die Farbe Gelb nimmt er als ein G wahr, Rot klingt für ihn wie ein F. Das selbst Gerät, Marke Eigenbau, nennt der Brite Eyeborg, sich selbst bezeichnet er als Cyborg. Und Harbisson ist nicht der einzige. Immer mehr Menschen verändern mit technischen Implantaten ihre Sinneswahrnehmung.

Implantate wie diese sind nur der Anfang, meint die deutsche Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel. In der Veranstaltung „Mein Kopf gehört nicht mehr mir – Brainhacking und Selbstoptimierung“ informiert sie über die Verbindung von Technik und dem menschlichen Gehirn. Genauer gesagt schwärmt sie davon. Es ist der zweite Tag der Digitalkonferenz re:publica in Berlin.

„Die Zukunft gehört denen, die ihre Hirnleistung mit Medizin und Technik verbessern“, sagt Meckel. Man könne seine Hirnaktivität verfolgen, ja sogar verbessern und verändern. So bietet ein US-Unternehmen bereits für 300 Dollar eine App an, die die eigene Stimmungslage verändern soll. Über Elektroden, die an dem Kopf befestigt sind, steuert man die Stromzufuhr und damit auch die eigene Laune.

Von Gehirn zu Gehirn

Und Meckel zählt weiter auf: Inzwischen kann man mittels Elektroden über dem Kopf Buchstaben in den Computer und so ganze Texte hineindenken. Die Technik ist noch nicht ganz ausgereift. Ein kleiner Störfaktor genügt, sodass die Konzentration weg ist und das Programm nicht mehr funktioniert. Doch was bedeutet dieser Fortschritt für unseren Alltag? In der Zukunft können wir Nachrichten in unsere Smartphones hineindenken und sie über What’s App an unsere Freunde verschicken, meint Meckel.

Auch der Datenaustausch über das Gehirn soll möglich sein. Erst kürzlich hat dies ein Versuch bewiesen. Wissenschaftler in den USA haben Ratten Implantate ins Gehirn gesetzt, die eine direkte Datenübertragung von Gehirn zu Gehirn ermöglichen. Die Ratten konnten über diese Verbindung miteinander kommunizieren – auch über Kontinente hinweg. „Wir werden nicht mehr telefonieren, sondern telepathieren“, sagt Meckel.

Mit Elektroden und Implantaten beginnt eine neue Industrie, das Gehirn als Ressource für die nächste Welle des Fortschritts zu erobern. Wer will nicht besser denken und schneller lernen, glücklicher sein, besseren Sex haben? Neuroenhancement verspricht genau das: Leistungssteigerungen für fast alle Teilfähigkeiten des menschlichen Gehirns. Damit wird ein Spielfeld für grenzenlose Selbstverbesserung geschaffen. Doch was genau bedeutet das für die Gesellschaft?

An der Schwelle zum Neurokapitalismus

„Wir stehen an der Schwelle zum Neurokapitalismus, der auf die permanente Selbstoptimierung des Individuums setzt“, sagt Meckel. Wohlhabendere Bürger werden sich in der Gesellschaft durch neuronale Selbstverbesserung, die mit hohen Kosten verbunden ist, noch besser gegen andere durchsetzen können. Welche Auswirkungen hat all das auf die menschliche Identität? Werden wir Gesetze zur gedanklichen Selbstoptimierung benötigen? Wird es neue Techniken geben, die die neuen Techniken zu Neuroenhancement kontrollieren werden? Auf diese Fragen hat Miriam Meckel heute noch keine Antworten.

Dieser Beitrag enstand im Seminar "Onlinejournalismus" der Akademie Mode & Design

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