Humboldt-Cola

Schamlos Das Schloss trägt zum Tag der Deutschen Einheit rot, aber nicht aus Scham. Die Schlossgegner schämen sich auch nicht, sondern haben eine Mahnwache aufgestellt

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Kaum ist der kleine, wacklige Stand aufgebaut, fotografiert der Sicherheitsdienst der Humboldt-Cola-Box den einsamen Aktivisten und seine bereits leicht zerfledderten Protestplakate. „Sie haben bestimmt keine Genehmigung!“ setzt er halblaut nach und verschwindet wieder im Schatten unter dem Bauch der bislang größten Berliner Spendenbüchse.

Später kommt ein Kollege von ihm, ohne Kamera, dafür mit raumgreifenden Gesten. Die Genehmigung bekommt er nicht zu sehen, wäre ihm auch egal, weil er ein anderes Argument hat: „Das ist Privatgelände, hier dürfen Sie nicht stehen!“

„Aber das Gelände gehört doch der Bundesrepublik Deutschland, oder vielleicht der Stiftung…“ „Nein, das gehört alles dem Pächter..“ er zeigt auf die Cola-Box, „Alles, die ganze Fläche da und dort und auch hier, wo Sie stehen! Sie müssen da weg, sonst hole ich die Polizei!“ Nach kurzem Wortgeplänkel zieht sich auch dieser Vertreter des Sicherheitsdienstes in die futuristisch-polygonale homebase zurück, gewiss um zu telefonieren.

Vor dem Eingang der Box wartet ein Kassenhäuschen, Touristen kaufen ihre Eintrittskarten für die Ausstellung, das T-Shirt ist im Angebot für sieben Euro fuffzich. Heute ist ein besonderer Tag, ein Nationalfeiertag, der Tag der Deutschen Einheit.

Nein, die Schlossgegner haben kein T-Shirt anzubieten, nur ein paar Flyer und eine Pressemitteilung, ganz kostenlos:
Dieses Schloss spaltet Deutschland! steht da, und weiter: Bis heute hat niemand glaubhaft vermittelt, warum ein Denkmal für den Sieg der Westdeutschen über die Ostdeutschen so ähnlich aussehen muss wie das finstere alte Schloss und über eine halbe Milliarde Euro kosten soll.

Wenige Schritte vom Stand der Schlossgegner entfernt bietet das Drehkreuz Einblick, durch Gitterstäbe, da heute verschlossen, und darüber steht Zugangskontrolle Nord, Berliner Schloss / Humboldt-Forum. Die Baustelle ruht weitgehend, trotzdem treten immer wieder mal Neugierige an das Gitter und werfen einen schweifenden Blick über Sand- und Betonflächen.

Wenn sie weitergehen, fixieren ihre Augen kurz den Tisch, die Flyer, die Plakate oder das Trauergebinde….. gelegentlich bleibt jemand stehen, entrüstet oder wundert sich.

„Ich bin für das Schloss,“ bedeutet einer mit Verschwörerblick, „wir geben doch schon zu viel Geld für Soziales aus!“

„Wir sind dafür, dass das Schloss wieder aufgebaut wird,“ sagt ein sportliches Paar im gutsituierten Pensionslook im Vorbeilaufen, „und wir haben auch schon dafür gespendet!“ Ob sie wohl wissen, dass es trotz der Spenden nur zu einer vereinfachten Fassade reichen könnte? Beim Stadtschloss fehlt noch Geld, war gerade in der Zeitung zu lesen….

Aber auch andere Stimmen sind zu hören, eine Touristin aus Australien hat sich schon gewundert, warum die freie Fläche denn zugebaut werden soll, gestern hat sie diese Baustelle vom Reisebus aus gesehen: „Alle haben sich gewundert, hier hat man endlich mal den freien Blick, der ganze Bus hat aufgeatmet…. wie hoch soll dieser Bau denn werden?“ fragt sie…. wiederholt ungläubig: „Fünfundzwanzig Meter…. höher als ein Häuserblock?“ Sie ist enttäuscht.

In Sichtweite steht ein Stück Fassade als Muster, aufgebaut ist aber nur die obere Hälfte mit der Balustrade, die geplante Höhe des Bauwerks ist nicht zu erkennen.

„Und was soll an diesem Ort passieren, wenn da kein Schloss gebaut wird?“ zweifelt einer, lässt aber Bäume, Grünfläche und Wiese als Antwort gelten…. Gleich bekommt er die Karte SchlossParkStattSchloss in die Hand gedrückt, gerne auch für den Nachbarn eine Karte.

Könnte hier doch ein Ort sein, der die Erinnerungen ruft, an alte Kaiser, wer will, an eine Bowlingbahn und Erichs Lampen, an die Leiden der Kriege in Preußen und in Europa, an eine Teilung, die täglich aufs Neue überwunden werden muss: der Graben zwischen arm und reich; und an die Entscheidung, die täglich ansteht: die Entscheidung zwischen Angst und Mut.

So ein Ort muss leer sein, damit die Erinnerungen einziehen können.

Denn es droht bereits ein neuer Angriff auf die Deutsche Einheit, eine weitere Denkmalkatastrophe: Das nächste… (Mahnmal)… soll am Ort des einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmals als ein Zeichen für Freiheit und Einheit entstehen, genannt Müller-Wipperfürth, schreibt Thomas Lackmann im Berliner Tagesspiegel unter der Überschrift Stoppt den Mahnmalkitsch!

Wir wollen seiner Aufforderung gerne nachkommen, auch wenn er in seiner Aufzählung den teuersten Berliner Denkmalkitsch glatt vergessen hat, die Schlossfassadenreplik als pädagogische Groteske mit 1200 Zimmern.

Blick in die Presse

http://www.tagesspiegel.de/berlin/gedenken-in-berlin-stoppt-den-mahnmalkitsch/8890884.html

http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article118080529/Warum-Coca-Cola-an-der-Humboldt-Box-werben-darf.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/spenden-zwischenbilanz-beim-humboldt-forum-beim-stadtschloss-fehlt-noch-geld/8879034.html

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/berliner-stadtschloss-nicht-nur-die-laterne-fehlt,10809148,23084252.html

Nachtrag zum 29. Eintrag vom 27.10.2009:Hinter uns liegen die Chronolysen (in vier Akten)... die Timeline im Blog archinaut: ist inzwischen justiert. Dieser Blog berichtet aus Deiner Welt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich werde Euch nicht schonen. Öffne Deine Augen.

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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