Humboldt schließen!

Schlossfreiheit .... fordert archinaut:

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Tiefe Furchen bricht der März 2012: Während die Berliner Piraten rotzfrech die Deutsche Oper schließen wollen, ziehen altgediente Kämpen in die Schlachten von gestern. Der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz brandmarkt in seinem Spiegel-Artikel kulturpolitischen Kannibalismus und verweist stolz auf die Wachstumsprognosen der Zunft: Im Jahr 2010 hätten die Berliner Museen einen Publikumsgewinn von zwölf Prozent verzeichnet, auch die Bibliotheken würden stärker frequentiert, daher plane die Stadt eine neue Metropolenbibliothek auf dem Tempelhofer Feld.

Sogar die beliebte ostbraune Keule wird geschwungen: „Diese Stadt hat ein Theater“, verkündeten Plakate in Neustrelitz trotzig und selbstbewusst auf dem Höhepunkt einer hausgemachten Halbierungskrise. Wer davon redet, dass die Hälfte der Institutionen doch auch reiche, sollte mal in die ostdeutsche Provinz fahren. Hier sind Theater längst eine soziale Einrichtung und die letzte bürgerliche Bastion gegen den braunen Ungeist. Die empfohlene Halbierung der Kultureinrichtungen könnte hier leicht zu einer Verdopplung von NPD-Wahlergebnissen führen.“

Die Überschrift des Artikels stößt mächtig ins schwarzrotgoldene Horn. Schlechte Patrioten, in der Unterzeile heißt es: Deutschland braucht seine Theater, Opern und Museen – und zwar alle.

Mehr Theaterdonner war selten. Sie haben die Krönung vergessen, Herr Kulturstaatssekretär, möchte man rufen....

Der kulturpolitische Kannibalismus ist conditio sine qua non: Die Blüte der Berliner Republik nährt sich aus den Fleischtöpfen der föderalistischen Kulturförderung.

Berlin wird mit dem Humboldt-Forum als einem Ort der Weltkulturen in wenigen Jahren ein kulturelles Zentrum von nationaler und internationaler Ausstrahlung besitzen, schwärmt die verantwortliche Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum auf der Website. Weltweit können wir beobachten, wie Kulturprojekte – mit großem Elan und erheblichen finanziellen Anstrengungen realisiert – das Renommee der Metropolen fördern, ja sogar prägenden Einfluss auf das Selbstverständnis der Nationen haben und von identitätsstiftender Wirkung sind. Oft sind es gerade Museen, die daran besonderen Anteil haben. Die Strategie liegt dabei vielfach in einer symbolkräftigen Verbindung von kulturellem Erbe und zukunftsweisenden Konzepten. Ihren breit wirkenden Ausdruck findet sie in großen architektonischen Gesten. (Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum)

Wie aufrichtig sind die Elogen für die Diskurse im HAU, für die Kleist-Exerzitien im Maxim-Gorki-Theater oder für die postmigrantischen Arbeiten von Shermin Langhoff, die André Schmitz in seiner Verteidigung anführt, wenn ein „nationales“ Vorhaben wie das Humboldt-Forum offensichtlich ohne Brecht oder Kleist auskommen muss....

"Ein Projekt ohne Alternative" nennt Peer Steinbrück das Vorhaben. Irmgard Schwaetzer, Vorsitzende des Domkirchenkollegiums des Berliner Doms, schreibt: Das Humboldtforum "zeigt unsere Verbundenheit mit anderen geistigen Entwicklungen in einer globalisierten Welt." Für Monika Grütters, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, ist das Projekt eine "Vision für Berlin und Deutschland". Martin Heller, der Projektleiter für die umfassende Programmatik des neuen Begegnungszentrums, spricht vom "Glück eines Neuanfangs" und der Faszination der Aufgabe, hier eine ganz neue Konzeption für ein Welt-Kultur-Zentrum zu entwickeln. "Damit die Welt sich selbst betrachten kann", das sieht Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, als Ziel und Motto für das Humboldtforum im Berliner Schloss. („Stimmen zum Berliner Schloss - Humboldtforum“)

Was bleibt von glühenden Kulturlandschaften, wenn der kulturpolitische Kannibalismus erst den Humus des Schlossgrunds düngen muss? Aus welcher Quelle soll Überzeugungskraft entspringen, wenn der maitre de plaisir Martin Heller vom Glück eines Neuanfangs träumt:

„Was das Projekt auf meiner Ebene dringend braucht sind Ressourcen, in jeder Hinsicht. Geld, Personen, Unterstützung auf der Inhaltsebene. Im Moment ist der ganze Schöpfungsprozess des Humboldtforums gewissermaßen delegiert an das Baugeschehen. Das Inhaltsgeschehen soll sich irgendwie selbst helfen. Zwar ist es überhaupt nicht so, dass nur Geld glücklich macht und den Erfolg bringt, aber ohne Geld eine solche Aufgabe stemmen zu wollen ist absolut unmöglich. Und da wünsche ich mir nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern für alle inhaltlich Beteiligten einfach mehr Spielraum, mehr Optionen.“

Ob sich Heller zur Erweckung der nationalen Libido im Kuratorium Rat bei Dr. Josef Ackermann holen wird, vielleicht unter dem Arbeitstitel DeutscheBankHumboldtLab?

2013 ist die Grundsteinlegung geplant, 2014 sollen die Hochbaumaßnahmen in vollem Umfang beginnen. Anfang 2018 könnte der Bau fertig gestellt sein. Mitte 2019 soll das Humboldtforum im Berliner Schloss eröffnet werden.

Widerstand ist nicht zuletzt eine ästhetische Kategorie.

Wir rufen: Humboldt schließen!

Hier endet der 288. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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