Spur des Untergangs

Im archinaut: Die Forschungsreisenden versuchen das rätselhafte Ende der versunkenen Republik zu klären

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„Die Nationale Volksarmee der Demokratischen Republik hat sich scheinbar kampflos ergeben,“ berichtet Humboldt-Will, in den letzten Tagen hat er viele Stunden in den Instituten der Universität verbracht und versucht, die Rätsel um das Verschwinden des Palasts zu entwirren, „aber die Angaben der Quellen sind unscharf und widersprüchlich.... immer bleibt ein schwarzes Loch, eine verstockte Gedächtnislücke, ein peinliches Geheimnis...“

Seit zwei Monatenliegt der archinaut: an der Baustelle auf dem Berliner Schlossplatz. John „The Brain“ zählt die Einnahmen, Rubel, Dollar, Euro......Humboldt-Alex ist es gelungen, in den Destillatoren unserer Arche einen herzhaften 12-Years-Old-Single-Malt-Scotch-Whisky zu synthetisieren, die Rohstoffe reifen dank der heftigen chronoplastischen Irritationen in wenigen Minuten zum archinaut:s finest. Die heimlichen Schänken der verwüsteten Stadt dürsten nach Liquiden, das Destillat ist sauber und bei vielen Abnehmern beliebt: legal versteuerte Spirituosen werden in dieser Stadt zu astronomischen Preisen gehandelt. Gelegentlich zieht ein leicht alkoholisierter Lufthauch durch den archinaut:

Marlene erinnert sich: „Ein Zettel war schuld, in allen Archiven zu sehen, ein Spickzettel mit den falschen Formeln, versehentlich verlesen vor den Fernsehkameras in einer Direktsendung....“ „Die Schabowski-Theorie...“ nickt Jünger, „reicht ein Missverständnis als Erklärung?“ „Ein Palast kann doch durch einen Fetzen Papier nicht sinken wie ein Schiff, das vom Eisberg aufgeschlitzt wird...“ Peggy sucht eine einleuchtende Erklärung, ihr Vater starb beim Untergang der Titanic, wie wir alle wissen.

Die stimulierende Heiterkeit der Ethanolaromen erinnert Mies an den ersten Auftrag in den Vereinigten Staaten, an eine charmante Bauhaus-Studentin, an Phyllis, die Tochter von Sam Bronfman: Papa, Du musst ihm den Auftrag geben, er ist ein Genie! .... und sie bauten für den Whisky-Magnaten den teuersten Wolkenkratzer der Welt, den Traum einer schwerelos schwebenden Ordnung getürmt bis in die Himmel, das Seagram Building. Die Erinnerung wärmt... was hat Will gerade gesagt?

„Haben die Soldaten den Palast zerstört, damit der Schatz nicht den Feinden in die Hände fällt?“ fragt Mies. „Nein, für einen Schatz gibt es keine Belege,“ erwidert Will, „alle Menschen sind sich gegenseitig in die Arme gefallen, haben über Nacht vergessen, dass sie so viele Jahre Fremdheit pflegten, sie drehten den Lauf der Sonne um, wie es ein usbekisches Sprichwort ausdrückt...“ Humboldt-Alex kräuselt die Stirn... Was weiß Will von den Usbeken? fragt er sich still.

„Man hört so viel in dieser Stadt..“ greift Jünger das Wort, „im Licht stehen die Fakten, in den Schatten wirkt das Leben seinen Teppich, Wunsch und Wahrheit untrennbar verknüpft zu einem Gewebe der Ahnungen, Schwingungen...“

El Lissitzky murmelt: „Eine Verschwörung der reaktionären Kräfte...“ Jünger lächelt fein, redet dann weiter, artikuliert deutlicher noch: „Die unter der Stadt wohnen leben im Wahn, in einem labyrinthischen Delirium der Visionen, der Gerüchte, der Erfindungen, der Trugbilder und Traumgespinste, fahren auf dem Gleis ihrer Dunklen Erleuchtung..... ob man auf ihr Wort etwas geben kann, kann niemand sagen.... sie haben von einem sonderbaren Grafen erzählt, der den Untergang verschuldet hat...“ „Du meinst Wilhelm von Boddien?“ fragt Peggy, ihre Stimme klingt etwas gelangweilt. Humboldt-Will meldet Einspruch: „Von Boddien ist kein Graf!“ Jünger hebt leicht die Stimme: „... nein, nein, sie nennen ihn Graf Rapido, aber ich habe noch nicht verstanden, warum sie ihn für schuldig halten..... vielleicht eine Projektion, eine Legende wie der Fliegende Holländer!“

Der Name weckt zunächst keine Erinnerungen in dieser Runde....... wenn auch Lissitzkys Kiefer langsam mahlen.

Kanzler Kohl soll schuld sein, der Freund von Michail Sergejewitsch Gorbatschow, so wird erzählt, beide können sich nicht mehr wehren....“

El Lissitzky hat jetzt einen Tauchfaden zu den Schemen der flüchtigen Erinnerung gefunden:

„Es liegt lange zurück, eine Begegnung aus den Jahren vor der Chronolyse..... ich versuche mir alles wieder in’s Gedächtnis zu rufen, lasst mir etwas Zeit: Graph Rapido soll Schuld sein, das ist nicht zu glauben... Was für ein Unsinn!“


Hier endet der 113. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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