Ralph T. Niemeyer: Mit Schulz nach Vorne

„SchulzPD 4.0“ "Fast wie die Lemminge rennen die Menschen der Richtung hinterher, die die SPD unter Martin Schulz vorgibt", schreibt Tom Wellbrock und sprach mit R. T. Niemeyer darüber

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Zu DDR-Zeiten noch war ich schwer begeistert von einem Sozialdemokraten wie Willy Brandt sowie dessen und menschlicher wie politischen Haltung. Und somit von der SPD wie auch der von ihm als Bundeskanzler geführten sozial-liberalen Koalition und folgerichtig der von ihr vertretenen Politik. Besonders freilich der Entspannungs- und Ostpolitik. Wobei unbedingt der wichtige Part, welchen Egon Bahr dabei mit der vom ihm inspirierten Politik des Wandels durch Annäherung gespielt hat, nicht unerwähnt bleiben darf. Mit mir verfolgten nicht wenige DDR-BürgerInnen diese Politik. In der Hoffnung, sie würde auch zu Verbesserung für sie – u.a. in Sachen Reisefreiheit – führen. Nicht unberechtigte Hoffnungen waren das, wie sich herausstellen sollte.

Bangen um Willy Brandt am Tag des Misstrauensvotums

Dann, seinerzeit noch Schüler, bangte ich um das politische Schicksal von Willy Brandt und das damit verbundene Fortbestehen der sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP, nachdem Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) 1971 ein Konstruktives Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) in den Deutschen Bundestag eingebracht hatte. In den Pausen nach den Schulstunden des Faches „Einführung in die Sozialistische Produktion“ (ESP) auf dem Schulgelände in Halle-Trotha holte ich mehrfach ein kleines Transistorradio namens „Cosmos“ sowjetischer Produktion hervor und hörte auf Deutschlandfunk nach, wie es denn wohl um das Schicksal Brandts stand. Als Barzels Misstrauensvotum schließlich scheiterte, atmete ich erleichtert auf.

Im Grunde genommen bin sozialdemokratisch politisiert. Vielleicht wäre ich sogar Mitglied der SPD geworden?

Wurde es aber nicht. Freute mich aber riesig als die SPD die Bundestagswahlen gegen den seit sechzehn Jahren das Land regiert habenden Helmut Kohl gewann und Gerhard Schröder Bundeskanzler werden konnte. Doch die Freude währte bei mir, wie vielen anderen – auch tausenden von SPD-Mitglieder nicht allzu lange. Nach den „Reformen“ Gerhard Schröders - zusammen verbrochen mit Fischers Grünen - war es mit meiner Liebe zur SPD vorbei. Nun ist mit fast an Ergebnis von DDR-Wahlen erinnernde hundertprozent Zustimmung Martin Schulz zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählt worden. Und gleichzeitig der Kanzlerkandidat der Partei. Wird die SPD nun wieder Sozialdemokratisch? Handelt sie demnächst dementsprechend? Ich habe da große Zweifel. Wird sie der SPD-Programmparteitag durch seine Beschlüsse im Juni zerstreuen können?

Hatte ich revolutionär zu nennende Veränderungen im Inneren der SPD einfach nicht bemerkt, welche Ralph T. Niemeyer erspürt haben will?

Ralph T. Niemeyer schätze ich als Journalisten und politisch klugen Kopf sehr. Als er jedoch im Mai 2016 aus der Partei DIE LINKE austrat und in die SPD eintrat (der er früher schon einmal angehörte) war ich dann doch ziemlich konsterniert. Dennoch: solche persönlichen Entscheidungen sind natürlich zu respektieren. Hatte ich etwa revolutionär zu nennende Veränderungen im Inneren der SPD, wie sie Niemeyer – das sagte er nun in einem Gespräch mit #neulandrebellen – erspürt haben will, einfach nicht bemerkt? Und zwar schon bevor Martin Schulz zur neuen Lichtgestalt der SPD gemacht wurde.

Tom Wellbrock, welcher mit Ralph T. Niemeyer sprach und sich nicht weniger skeptisch über einen Wandel der SPD zeigt wie ich, schreibt im Vorwort zum Podcast der #neulandrebellen:

„Frustriert aus der SPD auszutreten, um sich der Partei „Die Linke“ zu nähern und gleich noch ein Parteibuch zu bestellen, war eigentlich bisher keine große Sache. Aber dann kam Martin Schulz, der vermeintliche Retter der Sozialdemokratie. So scheint es zumindest derzeit zu ein. Fast wie die Lemminge rennen die Menschen der Richtung hinterher, die die SPD unter Martin Schulz vorgibt.
Aber: Welche Richtung ist das eigentlich? Wohin wird die Reise der SPD mit Schulz gehen? Man weiß es nicht genau. Und auch Ralph T. Niemeyer, Ex-Mann von Sahra Wagenknecht und ehemals Mitglied der Linken, kann nicht so richtig sagen, was denn von der „SchulzPD 4.0“ zu erwarten ist. Aber er hat den Schritt getan und ist von „Die Linke“ zur SPD gewechselt. Und zwar schon im Mai 2016! Ich habe ihn gefragt, was ihn dazu bewogen hat und ob er wirklich glaubt, die SPD sei nun eine Partei für echte sozialdemokratische Politik.“

Hier zum Podcast der #neulandrebellen und dem Gespräch von Tom Wellbrock mit Ralph T. Niemeyer.

Druck von Links - Plant Oskar Lafontaine einen Coup?

Womöglich nimmt Ralph T. Niemeyer quasi seismografisch etwas wahr, das sich anbahnt und möglich würde für den Fall, baute man von Links (auch in der SPD gegen die Seeheimer in der Partei) Druck auf. Wie Niemeyer auf Facebook schreibt, „um Martin Schulz zu helfen, das wird uns nach vorne bringen“. Und er verweist auf einen Spiegel-Artikel, in welchem es heißt:

„Oskar Lafontaine hat jahrelang gegen die Sozialdemokraten gewettert, im Saarland führt der Linke nun seinen wohl letzten Wahlkampf - und plant einen Coup. Dabei könnte ihm seine Verbindung zum neuen SPD-Star Martin Schulz helfen.“

Resümee

Ob das was wird? Meine Zweifel bleiben. Vor einigen Jahren erlebte ich Martin Schulz anläßlich eine Diskussionsveranstaltung zum 1. Mai und der Eröffnung der Ruhrfestspiele Recklinghausen. Damals war Schulz noch Vorsitzender der Fraktion der Sozialisten im Europaparlament. Zugegegen war auch der gegenwärtige Vorsitzendes des DGB, Reiner Hoffmann - damals noch stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Martin Schulz tönte damals sehr neoliberal. Und begründete die damit verbundene (und von der Schröder/Fischer-Regierung seinerzeit ins Werk gesetzte) Agenda-Politik damit, dass ansonsten die Europäische Union mit ihren 500 000 Einwohnern, die quasi und im Vergleich mit anderen Playern und erst recht mit China nicht mehr als ein Fliegenschiss auf der Weltkarte bedeute und im internationalen Wettbewerb unweigerlich auf die Verliererstrecke geraten würde. Dies wollte mir nicht recht einleuchten: Wie sollte die EU auf Dauer gegen große Player anstinken? Wie tief hätten denn die Löhne noch gedrückt werden sollen, um ihnen so Paroli bieten zu können? Sollte Schulz heute anders denken? Oder tut er nur so, weil er doch "Seelenmassage" aus dem Effeff beherrscht, wie hier im Freitag zu lesen ist:

Zur Person Martin Schulz empfehle ich unbedingt auch den hier im Freitag erschienen Beitrag „Ein Seelenmasseur“ von Alban Weber.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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