Halleluja! Jetzt steht es fest: Nach einer gefühlten Unendlichkeit wird Deutschlands Unterhaltungs-Prophet auferstehen – als Boxer! Seine Gemeinde jubelt, fragt sich aber auch: „Warum denn das?“ Hätte Stefan Raab nicht einfach als ein anderer aus seiner Heiligen Vielfaltigkeit wiederkehren können? Hätte er nicht noch mal als ESC-Kandidat mit Olo-Olaf-der-Scholz auftreten können? Oder als Produzent einer neuen, abgefahrenen TV-Show wie Friss mein Gyros mit Linda Zervakis? Hätte er nicht einfach wieder als ambitioniertester Showmaster der Nation mit einer neuen Kult-Sportart wie Jesuslatschen-Wasser-Weitgehen auftauchen können? Oder wenigstens mit einem lustigen „Raabigramm“ für Didi Hallervorden? Aber als Boxer!?!
Vielleic
als Boxer!?!Vielleicht liegt diese Wahl daran, dass alle anderen von Raab erfundenen Felder inzwischen von Epigonen kopiert und besetzt wurden. Besteht sein letztes Alleinstellungsmerkmal vielleicht darin, dass Raab der Einzige im deutschen Fernsehen ist, der es auch 2024 noch lustig findet, sich von einer Frau verkloppen zu lassen?Raabs Fernsehkarriere ist legendär: Vor 31 Jahren wollte er dem Sender VIVA neue Jingles anbieten, aber die behielten ihn gleich ganz da. Da hatte Raab schon erfolgreich Zahnpasta-Musik für blend-a-med komponiert, Jingles für das ZDF-Morgenmagazin und Songs für Bürger Lars Dietrich und die Prinzen. Vor 25 Jahren wechselte Raab zu Pro7 und erfand ein vollkommen neues Fernseh-Universum. Vor 14 Jahren gewann seine Entdeckung Lena Meyer-Landrut den Eurovision Song Contest, und vor neun Jahren nahm der Schlachtersohn aus Köln-Sulz mit dem Millowitsch-Song Kölsche Jung schon wieder Abschied vom Fernsehen – und hielt sich konsequent an seine Abstinenz. Bis jetzt. Nun juckt ihn eben doch wieder die Nase, und anstatt sich einmal kurz zu schnäuzen, hat er beschlossen, sich den Zinken noch einmal ordentlich polieren zu lassen – von Box-Weltmeisterin Regina Halmich. So wie bereits 2001 und 2007.Live im Fernsehen. Und für 250 Euro teure VIP-Karten in Düsseldorf.Stefan Raab verkörperte den Zeitgeist der Jahrtausendwende: sexistische Witze über Frauen, Kalauer über Minderheiten, Ablachen über das Maschen-Draht-Zaun-Prekariat und das Anpinkeln urdeutscher Legenden von Bundestrainer Rudi Völler bis zu Bundeskanzler Gerhard Schröder („Flasche Bier“). Darüber haben wir in den 2000er Jahren tatsächlich vollkommen ohne schlechtes Gewissen gelacht.Das schlechte Gewissen stellte sich erst langsam ein. Und als Raab weg war, brauchte es viele andere Menschen, um seine Lücken zu stopfen: Raab in Gefahr übernahmen – zwar mit anderen Spielregeln, aber ähnlich verrücktem Ehrgeiz – Joko & Klaas, Matthias Opdenhövel wird Schlag den Star machen, Mario Barth pflegt den schlechten Teutonen-Humor weiter, und Sebastian Pufpaff reanimiert TV total. Für alles andere hat sich Raabs ehemaliger Show-Praktikant Elton breitschlagen lassen. Während Raabs Fernsehfell schnell verteilt war, blieb seine Karriere als Fernsehproduzent unangetastet. Seine Firma Brainpool erfand und produzierte als Teil von Banijay Germany einfach weiter. Doch Anfang des Jahres bröckelte auch diese Allianz. Die Rechte an einem Teil der internationalen Erfolgs-Formate bleiben bei Banijay, Raab ist ausgestiegen und hat gemeinsam mit Daniel Rosemann von Pro7 und Sat.1 eine neue Firma gegründet. Seither gilt Raab Entertainment in der Fernsehbranche als große Blackbox, deren Inhalt so gut wie niemand kennt. Angeblich haben einige der früheren engsten Raab-Mitarbeiter in den letzten Monaten ihre Jobs gekündigt (um eventuell wieder bei ihrem alten Chef anzuheuern?).Tatsächlich wird es interessant sein zu sehen, ob Raab als Ikone und Relikt der Jahrtausendwende auch die Klaviatur einer vollkommen veränderten Medienlandschaft kennt. Stefan Raab war ein Fernsehmann durch und durch. Er kannte das große Fernsehspiel wie kein anderer. Dass er ausgerechnet am 1. April gemeinsam mit Elton um neun Millionen Insta-Follower bettelte und bei rund drei Millionen stehen blieb, mögen manche als Erfolg sehen. Aber früher wäre Gewinnertyp Raab so etwas nicht passiert. Und überhaupt: Sind Raabs damals innovative Erfindungen heute nicht längst in den sozialen Medien zu Hause? Ganz ohne ihn? Schadenfreude, Minderheiten-Witze, Kalauer oder einfach schnelle Musikgedichte gibt es inzwischen in bester (und miserabelster) Qualität frei Haus auf Tiktok. Eine ganze Generation ist bereits ohne Raab aufgewachsen. Bei mächtigen Zahnreihen denken die Millennials höchstens noch an Jürgen Klopp.Raabs Rückkehr ist vielleicht seine bisher größte Fernsehshow. Und wir werden sie mit Spannung verfolgen – Schritt für Schritt. Denn es ist nicht klar, ob er sie gewinnen kann oder endgültig k. o. geht. Bislang war Raab der einzige Fernseh-Messias, der einfach so abgetreten ist: still und leise. Das hat ihn geheimnisvoll gemacht. Wie schnell man bei einer Auferstehung vom Glauben abfallen kann, das haben schon ganz andere Fernseh-Legenden vor Raab gezeigt.