Furcht vor dem Finale

Was läuft Über „The Leftovers“ und was das Ende einer Serie für den Zuschauer heißt. Spoiler-Anteil: 16 Prozent
Ausgabe 24/2017

Tony Soprano macht sich kurz an der Jukebox auf seinem Diner-Tisch zu schaffen, schaut auf, in die Kamera – und vorbei war die Serie. Mit einem Cut ins Schwarze, der viele Live-Fernsehzuschauer an eine Sendestörung glauben ließ. Das war vor fast genau zehn Jahren, am 10. Juni 2007, aber noch heute ist das Sopranos-Finale eines der umstrittensten der Seriengeschichte. Eine Erwähnung reicht, und man sieht sich in intensive Diskussionen darüber verstrickt, was es bedeutet: Ist Tony Soprano tot? Wurde er erschossen? War die ganze Szene ein Traum? Und vor allem: War es fair von Serienmacher David Chase, dem Zuschauer so wenig closure, also abschließende Aufklärung zu verschaffen?

Wie ein gleichsam unbewältigtes Trauma kam das Sopranos-Finale dieser Tage wieder hoch, als die letzte Folge von The Leftovers ausgestrahlt wurde. Seither streitet die Seriencommunity: War es ein befriedigendes, der Serie würdiges Ende? Wie bei den Sopranos gehen die Meinungen darüber auseinander, wie man alles zu deuten hat und wie real das Gezeigte und Erzählte ist.

Für eine Serie wie The Leftovers, die mit dem unerklärlichen Verschwinden von acht Prozent der Menschheit begann, zwischendurch von Kulten und anderen Trauerbewältigungsversuchen handelte, sowie mindestens drei Besuche in einer Art Unterwelt zeigte, erscheint ein zweideutiges Ende mehr als angemessen. Aber es sollte eben auch genug closure geben, so dass man zurückkehren kann ins Alltagsleben und nicht weiter von Fragen gequält wird darüber, ob Nora nun tatsächlich ihre Kinder wiedergesehen hat. Die richtige Art der Ambivalenz ist gefragt, denn ein Zuviel an Auflösung wäre so unbefriedigend wie die radikale Verweigerung von Antworten.

Nichts ist frustrierender, als Jahre mit einer mehrdeutigen, rätselhaften Serie zu verbringen, um in den letzten zehn Minuten zu erfahren, „dass alle schon lange tot sind“. Aber Damon Lindelof hat offensichtlich aus den bitteren Fan-Reaktionen zu Lost gelernt: Als Chefautor der Leftovers ist es ihm diesmal gelungen, die feine Balance zu halten. Aber natürlich ist das eine subjektive Einschätzung.

Es ist überhaupt eine eigenartige Übung, Serien von ihrem Ende her zu denken. Aber sie macht auf schöne Weise bewusst, um was für ein eigenartiges Genre es geht. Anders als in der Literatur oder im Film stehen Serienenden nur selten bereits fest, wenn die Erzählung beginnt. Wie soll bei dieser Art des Schreibens das Ende zum Anfang passen? Oft genug sind die Enden erzwungen, weil die Absetzung droht, oder völlig abrupt, weil einfach nicht weitergedreht wird. Was hätte aus den David-Milch-Serien Deadwood und Luck noch alles werden können! Die großen Sitcoms der 1990er und 2000er Jahre – Seinfeld, Friends und Frasier – feierten ihren Abschied vom Publikum mit aufwendigen Doppelfolgen, die den Charakter eines runden Geburtstags mit dem eines Klassentreffens kreuzten. Aber selbst wenn sich viele über das Seinfeld-Finale ärgerten, verdarb es doch nicht völlig die guten Jahre davor. Bei den hochkarätigen Dramaserien von heute ist das anders, da kommt die Einschätzung des Finales einem Referendum über die ganze Serie gleich. So, als ob sich in den letzten Minuten noch beweisen müsste, dass sich all die Stunden davor auch tatsächlich gelohnt haben.

War das Ende von Breaking Bad gut oder war es nur befriedigend? Manchmal sind auch einfach die Erwartungen zu hoch. Wenn eine Show wie Mad Men so viele brillante Einzelfolgen geliefert hat, was soll da die Unzufriedenheit mit dem für verschiedene Interpretationen offenen Schluss? Eines der schönsten Enden fand vor Jahren Six Feet Under: mit einer Montage, die alle wesentlichen Figuren in die Zukunft bis zu ihrem jeweiligen Tod begleitete. Es waren mehr Antworten, mehr closure, als man selbst von einer family soap wie Six Feet Under je erwartet hätte. Aber es passte auch verdammt gut zu einer Serie, die Folge für Folge im familienbetriebenen Bestattungsunternehmen um den Tod und seine Zufälle gekreist war.

Die Essenz einer Serie auf den Punkt zu bringen, Brücken zu schlagen zu dem, was vorher kam und zugleich noch ein letztes Mal zu überraschen – so ungefähr würde die Idealbeschreibung eines Dramaserienfinales lauten. Wie gesagt, The Leftovers kam dem meiner Meinung nach sehr nahe. Aber selbst als Fan graut mir schon ein bisschen vor dem Ende von Game of Thrones.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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