Der Blick in die täglichen Schlagzeilen vermittelt, dass wir in hochbedeutsamen Zeiten leben. Weshalb die Beschäftigung mit belanglosen oder zumindest weniger bedeutsamen Dingen ein eigenes Vergnügen bereitet. Wie zum Beispiel mit der Frage, ob Serien, die in erster Staffel eine abgeschlossene Geschichte erzählt haben, mit einer zweiten Staffel fortgesetzt werden sollten. Im Kino ist das Standardpraxis, spätestens seit Rudolph Valentino 1926 nach dem Scheich als Sohn des Scheichs auf der Leinwand wiederkehrte. Im Serien-Bereich war die Anzahl von Staffeln lange sogar ein Ausweis der Beliebtheit: Was die Leute sehen wollten, blieb „on air“; ob dabei noch eine gute Geschichte rauskam, darauf, so scheint es heute, wurde einst weniger Wert gelegt. Erst seit einzelne Serien zu geradezu rauschhaft erlebten Ereignissen hochstilisiert werden, hat sich das kulturpessimistische Argument eingeschlichen: Kann etwas, das zuerst gut war, durch eine Verlängerung überhaupt je verbessert werden? In einfachen Worten: Hat Fleabag eine zweite Staffel gebraucht? (Ja!!!). Braucht Russian Doll eine (Jaa!!!). Und übrigens: Staffel 2 von True Detective hat mehr Fans, als man so glauben möchte. Frei nach Liberace: ein Zuviel des Guten – ist einfach wundervoll.
Big Little Lies hatte schon in der ersten Staffel ein Zuviel des Guten an sich. Das begann mit der Besetzung – Reese Witherspoon, Nicole Kidman, Laura Dern, Shailene Woodley, Zoe Kravitz, Alexander Skarsgard – und endete noch lange nicht mit der atmosphärischen Schilderung des verwöhnten Lebens einiger privilegierter Küstenbewohner rund um Monterey, Kalifornien. Die hochglanzige Oberfläche verführte dazu, die Verfilmung des Liane-Moriarty-Romans als „High Soap“ und „irgendwie so ein weiteres Frauending“ abzuurteilen. Aber bei genauerem Hinsehen entpuppte sich die von Jean-Marc Vallée inszenierte Miniserie in sieben Teilen als ambitioniert-ambivalentes Drama über Machtverhältnisse in Beziehungen und häuslichen Missbrauch. Wobei die Ambivalenz sich am Ende in einer Art von gemeinschaftlichem Mord auflöste – was als befriedigendes Ende galt. So befriedigend, dass noch vor dem Start der zweiten Staffel sich ein Urteil als Konsens durchgesetzt hatte: So gut wie Staffel 1 kann es nie mehr werden.
Aber wer das glaubt, hat zum Beispiel nicht erlebt, wie die Serie Leftovers erst mit der Loslösung von der Romanvorlage in Staffel 2 zu sich fand. Ähnliches deutet sich nämlich auch für Big Little Lies an, das sich vom Korsett der Verschwörungserzählung befreit und nun einfach den Nachhall des „Gemeinschaftsmords“ verfolgt. Angstfrei wurde außerdem dem Zuviel des Guten mit Meryl Streep ein „noch mehr“ hinzugefügt: Sie kommt als Mutter des ermordeten Perry in die „Otter Bay“; vermeintlich um ihrer Schwiegertochter Celeste (Nicole Kidman) und den Enkelkindern beizustehen; in Wahrheit um dem Tod des von ihr vergötterten Sohns auf den Grund zu gehen. Wobei Letzteres mehr nach Krimi klingt, als es die ersten Folgen – der nun von Andrea Arnold inszenierten Serie – abbilden.
Streeps Figur der Mary Louise ist alles andere als eine Miss Marple, auch wenn ein schlechter Haarschnitt und eine unkleidsame Brille die immerschöne Meryl hier in eine plumpe, betont unglamouröse ältere Frau verwandeln. Statt geheim zu ermitteln, schaut Mary Louise durchdringend in die Gegend, überhört so manches – und stört. Durch unangebrachte Direktheit etwa, wenn sie mit „Rädelsführerin“ Madeline (Reese Witherspoon) aneinandergerät und die Etikette des kalifornischen Freundlichkeitszwangs sprengt: „Sie sind sehr klein! Ich meine das nicht negativ – obwohl, vielleicht doch ...“ Und dann gab es da gleich in der ersten Folge die „Schrei-Szene“, in der Mary Louise ihren Enkelsöhnen vorführt, wie sie ihren Empfindungen über Perrys Tod Luft macht – mark- und beinerschütternd und so „unwürdig“, dass der Emmy Streep bereits jetzt sicher scheint.
Auch in der zweite Folge gab es eine Szene, die sogleich in den Social-Media-Kanälen die Runde machte: Die erfolgreiche Geschäftsfrau Renata, herrlich überdreht von Laura Dern verkörpert, erfährt von ihrem frisch verhafteten Gatten, dass er ihr ganzes Geld durchgebracht hat. „I will not, not be rich!“, schreit sie außer Fassung die Glaswand zwischen ihnen an. Wem auf Anhieb einleuchtet, welch feiner, aber bedeutsamer Unterschied sich in der Furcht vorm Nicht-reich-Sein ausdrückt, der wird in Big Little Lies 2 auf seine Kosten kommen.
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