Wo der Spaß aufhört

Superheld Todd Phillips will keine Komödien mehr drehen. Selbst seinem „Joker“ vergeht das Lachen
Ausgabe 41/2019

Das ist jetzt nicht mehr witzig!“ – das könnte der Spruch der Gegenwart sein, der Satz des Jahres als Pendant zum „Unwort des Jahres“. Wie so oft ist es der Kontext, der diesem Spruch eine Schlüsselfunktion zuweist: Im engeren Zusammenhang markiert der Satz den Ausstieg aus der Verabredung, mitzulachen, sei es über andere oder über sich selbst. Jeder hat es schon mal erlebt, den subtilen Übergang von „Hochnehmen“ zu „Herabsetzen“, von Amüsement zu Demütigung, von erhellender Distanz zur bloßen Zote. Im breiteren Kontext trifft der Satz die allgemeine Stimmungslage, sei es im Hinblick auf Klimapolitik, Brexit, Trump, Krieg in Syrien: Alles nicht mehr lustig,

„This isn’t funny anymore“ ist auch der zentrale Satz des „Joker“ im gleichnamigen neuen Film von Todd Phillips, der auf gutem Weg ist, der umstrittenste Film des aktuellen Kinojahrs zu werden. Im September auf dem Filmfestival in Venedig verlieh die Jury ihm noch unter viel Applaus den Goldenen Löwen; in der vergangenen Woche lief Joker in den Kinos in den USA an – und wurde vom Großteil der Kritiker regelrecht verteufelt. Wo die Zuschauer und die internationale Kritik in Venedig einen aufwühlenden Film zur Gegenwart gesehen haben wollen, der das dominierende Superhelden-Genre von innen nach außen kehrt, erblickt nun speziell die US-amerikanische Kritik im besten Fall einen Film mit wirren politischen Anliegen und falschem Bedeutungswillen. Im schlechtesten Fall wird Joker unterstellt, die Figur des „Incel“ zu feiern, des einsamen, abgelehnten Nerds, der sich für seine Ablehnung an der Welt rächen zu müssen meint.

Intensität der Kläglichkeit

Auch wer sich wenig auskennt im Superhelden-Universum, wird wissen, dass der „Joker“ in diesem Zusammenhang ein „Unwort“ ist und die Figur das Gegenteil ihres Spitznamens verkörpert. Das Clownsgesicht ist eine Verzerrung der ohnehin schon grotesken weißen Clownsmaske und der Humor des Joker zielt schon seit der Erfindung in den DC-Comic-Heften der 1940er Jahre weniger darauf, Lachen auszulösen, als vielmehr selbiges im Halse steckenbleiben zu lassen.

Die eigentliche „origin story“ des Joker, seine künstlerische Entstehungsgeschichte, ist nicht ohne Ironie: Als wesentliche Inspiration diente den Zeichnern der Held des amerikanischen Stummfilms Der Mann, der lacht (1928), einer Victor-Hugo-Verfilmung, in der der deutsche Schauspieler Conrad Veidt den Mann mit dem entstellten, zum ewigen Grinsen gezwungenen Gesicht spielte. Eine gewissermaßen ikonische Rolle für Veidt, den später als Nazi-Gegner im Exil das Schicksal ereilte, vor allem Nazis spielen zu müssen; der bekannteste davon sein Major Hugo Strasser in Casablanca.

Todd Phillips erzählt in Joker seine Version der Ursprungsgeschichte dieser Figur, die den meisten Kinogängern noch in der Verkörperung von Heath Ledger in Dark Knight (2008) in Erinnerung ist. Ledger, der noch vor der Filmpremiere an einer Drogen- und Medikamentenüberdosis starb, aber posthum den Oscar als bester Nebendarsteller bekam, spielte den Batman-Gegner als nihilistischen Terroristen, der sich diabolisch über diejenigen lustig macht, die sein Psychopathentum verstehen wollen. In Phillips’ Version nun, der ersten, in der der Bösewicht im Zentrum steht, verleiht Joaquin Phoenix der Figur eine gegenteilige Intensität der Kläglichkeit. Sein Joker ist über den Großteil des Films hinweg weder Superheld noch Antagonist, sondern ein marginalisierter Stadtbewohner namens Arthur, der als psychisch kranker, sozial isolierter Mann bei seiner Mutter lebt. Auch er ist zum unfreiwilligen Lachen gezwungen. Nicht äußerlich durch ein entstelltes Gesicht, sondern im Innern, als psychopathisches Syndrom: Arthur wird von Lachkrämpfen geschüttelt, die er nicht kontrollieren kann, oft in sozial unangemessenen Situationen. Manchmal reicht er dann ein laminiertes Kärtchen herum: „Ich lache nicht über Sie, ich habe eine Krankheit.“

Ort der Handlung ist Gotham, das Comic-Book-Alter-Ego von New York. Phillips zeigt es in seinem Film wie in ewiger 80er-Jahre-Hölle erstarrt, samt steigender Kriminalitätsrate und sich wegen Streiks anhäufender Müllsäcke. Die Themen aber sind die von heute: Sparpolitik – Arthurs Anlaufstelle für Therapie und Medikamentenverschreibung wird zugemacht –, Gig-Ökonomie – Arthur arbeitet auf Abruf als lebendes Straßenschild oder Krankenhausclown – und wachsende Ungleichheit machen die Menschen auf der Straße schlecht gelaunt und gereizt. Eines führt zum anderen: Als der reiche Unternehmer Thomas Wayne, der Vater des späteren Batman, eine Gruppe von Protestierenden als Clowns herabwürdigt, machen diese die Clownsmasken zu ihrem Erkennungszeichen. Als dann in der U-Bahn drei Wallstreet-Typen von einem Mann mit Clownsgesicht erschossen werden, interessiert sich niemand mehr dafür, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten; die Tat wird vereinnahmt beziehungsweise verteufelt. Und Arthur, der Mann mit dem Clownsgesicht, der in den Mord eher umständehalber hineinrutschte, erlebt in der medialen Pseudo-Beachtung einen Ermächtigungsschub.

Joker will alles sein: Genre-Kritik, Zeitkritik, Filmzitat, Schauspielertransformation, atmosphärische Krisenbeschreibung. Tatsächlich gelingt ihm vielleicht weniger die subversive Neuerfindung des Superhelden-Genres als vielmehr das bloße Befingern des blank liegenden Nervs der Zeit. Dass er mit betontem Ernst Werken wie Martin Scorseses Taxi Driver und King of Comedy Referenz erweist, nehmen ihm einige Kritiker als Anmaßung übel. Aber man kann es auch als offene Frage verstehen: Wie würde ein Film wie Taxi Driver mit seinem ausgestellt toxisch-männlichen Helden denn heute tatsächlich ankommen? Träfen ihn nicht ähnliche giftige Reaktionen, wie sie nun Joker entgegenschlagen? Und wenn nein, was macht Scorsese anders, wenn er den Zuschauer dazu zwingt, zwei Stunden mit Travis Bickle zu verbringen?

Eine ähnliche Frage stellt sich für jene grobhumorigen Männerkomödien, die Todd Phillips als Regisseur bekannt machten: Old School und besonders die Hangover-Filme, deren Humor schon kaum zehn Jahre später nicht mehr in die empfindsamer gewordene Landschaft passt. Seinen Wechsel zum Ernst der DC-Superheldenwelt begründete Phillips selbst fatalerweise mit der Sentenz von der „woke culture“, wegen der man heute keine Witze mehr reißen könne. Was so natürlich niemand hören will.

Entlarvung geht nicht mehr

Und trotzdem ist was dran an der These, dass Comedy, Satire und Humor heute nicht mehr so funktionieren wie noch vor zehn Jahren. Wo etwa die Komikerin Tina Fey 2008 der Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin einen echten Imageschaden zufügen konnte durch ein bloßes Stück gekonnter Nachahmung („Wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich Russland sehen!“), beißen sich die Humoristen dieser Welt an Trump heute die Zähne aus. Komik als Entlarvung geht nicht mehr, wenn ihre ureigensten Mittel, wie bei Trump, Politikstrategie geworden sind. Den Gegner mit einfallsreichen Spitznamen zu bedenken, komplexe Sachverhalte kabaretthaft zu verkürzen – man kann sich den tweetenden Trump auch gut im Writer’s Room einer Sitcom vorstellen. Hinzu kommt das Changieren zwischen dem Ziel, für ernste Aufregung sorgen zu wollen, aber ständig „war doch nur Spaß!“ zu rufen. Es ist längst nicht mehr lustig.

Joker führt verschiedene Spielarten des „nicht mehr lustigen“ Humors vor. Da ist Arthur, der von einer Stand-up-Karriere träumt, aber nie versteht, was andere zum Lachen bringt. Robert De Niro verkörpert Arthurs Vorbild, den Talk-Show-Host und Comedian Murray Franklin, als Faktotum des Humors mit verstaubten Routinen und inhaltslosen Pointen. Dann lädt Murray Arthur in seine Show ein; er will sich lustig machen über dessen Scheitern beim Versuch, andere zu belustigen. Aber wenn sich eines lernen lässt aus Joker, dann, dass der nicht komische Komiker keine Witzfigur, sondern eine tickende Zeitbombe ist.

In der Welt des Joker hat der Witz ausgedient; eindeutiger wird sie davon nicht. Im Gegenteil liegt die größte Stärke des Films darin, dass er die verheerende Macht des Missverständnisses und Falschverstehens vor Augen führt. Ganz im Ernst.

Info

Joker Todd Phillips USA 2019, 122 Minuten

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden