Allein auf hoher See

Rettung Mehrere zivile Organisationen brechen das Konzept „Sterben lassen“. Dafür bekommen sie Kritik
Ausgabe 18/2017
NGOs sind für Geflüchtete auf dem Meer oft die letzte Rettung
NGOs sind für Geflüchtete auf dem Meer oft die letzte Rettung

Foto: David Ramos/Getty Images

Wie ein flacher Stein, den man ins Wasser flippt, springt das kleine orange Schnellboot der Sea-Watch-Aktivisten über die Wellen vor der Küste Maltas. Die Sonne steht schon tief, als sie an diesem Dienstag Mitte April den Hafen von Valletta verlassen; diesmal nicht, um Menschenleben zu retten, sondern um die Freiwilligen des Rettungsschiffes Iuventa, die noch 40 Stunden zuvor den Seenotruf Mayday Relay abgesetzt hatte, willkommen zu heißen. Sie haben dafür extra Plakate gemalt, Edding auf Pappkarton: „Jugend Rettet“ steht da geschrieben, daneben ein dickes blaues Herz, und auf einem anderen fett und in Schwarz „HATE FRONTEX“.

„Was der Crew von ‚Jugend Rettet‘ passiert ist, hätte uns genauso gut passieren können“, erzählt wenig später zurück auf dem Festland der Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Er meint: Im Stich gelassen zu werden auf dem Mittelmeer mit 400 Menschen an Bord und noch ein paar hundert mehr, die im offenen Meer auf Schlauchbooten treiben, die zu sinken drohen. Das Rettungsschiff der Nichtregierungsorganisation Sea-Watch ist seit 2015 in der Search-and-Rescue-Area 24 Meilen vor der libyschen Küste im Einsatz. Im letzten Jahr sind weitere NGO-Rettungsboote wie die Iuventa hinzugekommen, etwa ein Dutzend sind es inzwischen.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hatte bei dem Besuch eines Frontex-Schiffes in Malta Ende März geschimpft, die NGOs würden dafür sorgen, dass mehr Menschen im Mittelmeer sterben anstatt weniger, da Schlepper noch mehr seeuntaugliche Boote losschicken würden, wenn diese schon wenige Meilen entfernt von der libyschen Küste aufgegriffen würden. Der sizilianische Staatsanwalt Carmelo Zuccaro, der Ermittlungen gegen die in Malta stationierten freiwilligen Helfer leitet, machte zuletzt gar den Verdacht laut, die Helfer würden mit den Schmugglern in Libyen kooperieren.

Ruben Neugebauer kann nicht anders, als den Kopf zu schütteln, wenn er solche Vorwürfe hört. Wenn er von Malta aus zusieht, wie diese Gerüchte den Weg in die deutschen Medien finden. „Der einzige Grund, warum zivile Organisationen da auf dem Meer sind und Menschenleben retten, ist, weil es sonst niemand macht“, sagt er. Allein im Jahr 2016 sind mehr als 5.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken bei dem Versuch nach Europa zu gelangen; etwa 180.000 konnten gerettet werden. An 40 Prozent aller Rettungseinsätze waren freiwillige Helfer beteiligt. Hinter den neueren Vorwürfen vermutet Neugebauer daher eine „bewusste Kampagne“ gegen uns als NGOs: „weil wir das Konzept des Sterbenlassens untergraben, mit dem die EU versucht, Leute vom europäischen Festland fernzuhalten“.

Sea-Watch überlegt deshalb, eine Verleumdungsklage gegen den Staatsanwalt Zuccaro in die Wege zu leiten. „Der wäre gut beraten damit, sich mal mit der unterlassenen Hilfeleistung von Frontex zu beschäftigen, anstatt sich Fantasievorwürfe für die NGOs auszudenken.“ Dies ist ein Vorwurf, den man von Aktivisten aller in Malta ansässigen NGOs immer häufiger zu hören bekommt: dass sich die europäische Grenzschutzbehörde Frontex seit Anfang des Jahres weitgehend aus dem Mittelmeer zurückgezogen hat. Die im Frontex-Mandat verankerte Seenotrettung komme sie kaum bis gar nicht mehr nach.

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Geschrieben von

Bartholomäus von Laffert | bartholomäus von laffert

https://www.torial.com/en/bartholomaeus.von-laffert

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