Peng! Ich schieße jetzt!

Splatter Schlachtereien und Schlägereien: Lilian Lokes Helden träumen gewaltsam von besseren Zeiten
Ausgabe 09/2018
Die „Klinge“, mit der Lokes Sprache eindringt, schneidet tief genug, um wirklich wehzutun
Die „Klinge“, mit der Lokes Sprache eindringt, schneidet tief genug, um wirklich wehzutun

Foto: Joe Raedle/Getty Images

Zwei Zitate stellt Lilian Loke ihrem zweiten Roman Auster und Klinge voran. Das erste ist William Shakespeares The Merry Wives of Windsor entnommen. Die Verse, in denen die Welt dargestellt ist als „Auster, die mit dem Schwert geöffnet werden soll“, verweisen auch auf sein ästhetisches Programm. Das zweite Motto ist Ray Bradburys Fahrenheit 452 entnommen. Doch dazu später.

Auster und Klinge erzählt von Georg und Victor. Georg ist das Kind einer milliardenschweren Schlachterfamilie. Georg will mit dem Großbetrieb nichts zu tun haben, als Anteilseigner aber in allen wichtigen Entscheidungen querschlagen. Er arbeitet als freier Künstler, seine Kunst soll aber nicht nur seiner Moral genügen. Georg will mit seinen Arbeiten aufrütteln.

Der Halbwaise Victor stammt aus sozial schwachem Milieu. Der Vater ist arbeitsloser Alkoholiker. Victor hat früh Lügen und Stehlen gelernt – so gut, dass er nach einer Lehre als Hotelfachmann ein Doppelleben führt, als organisierter Einbrecher Häuser ausraubt, bis er erwischt wird und im Gefängnis landet. Wieder entlassen, steht er vor dem Nichts. Entschlossen, seine Frau von seiner Geläutertheit zu überzeugen, kommt ihm die Begegnung mit Georg, der ihn bei sich aufnimmt, gerade recht. Man ahnt, dass die Konstellation zwischen einem, der es mit der Moral bislang nicht so genau genommen hat, und einem, der, notfalls mit Gewalt, die Welt verbessern will, geradewegs auf ein Fiasko zusteuert.

Die 1985 geborene Loke hat sich einiges einfallen lassen, um ihr Duo Infernale plastisch darzustellen. Schon in ihrem ersten Roman Gold in den Straßen, für den die Autorin 2015 mit dem Münchner Tukan-Preis ausgezeichnet wurde, steigerte sich ein Makler in einen irren Verkaufsrausch hinein. Auch in Auster und Klinge wird die Macht des Geldes verhandelt. Wie Lokes Erstling ist auch Auster und Klinge in Frankfurt am Main angesiedelt, das sich gut als Kulisse eignet, um den kapitalistischen Wildwuchs zu inszenieren.

Die Klinge schneidet tief

Victor und Georg stehen stellvertretend für die vielen Nebenfiguren, die von einem besseren Leben träumen. Wie sich durch eine Stellvertreterkonstruktion die Wege beider im Fortschreiten der Handlung immer atemberaubender in einer Abwärtsspirale verdrillen, erinnert ein wenig an Patricia Highsmiths Klassiker Zwei Fremde im Zug (1950). Doch obwohl es Loke durch mehrfaches Hin- und Herkippen des Machtgefüges zwischen Victor und Georg gelingt, den Gang der Handlung straff zu halten, ist Auster und Klinge kein furioser Roman. Das Überorchestrierte bremst die Spannung, die Opulenz der Sprache, „eine verwirrende Urordnung verschlungener roter und weißer Formen, doch auf den zweiten Blick die Logik des Körpers, ein kunstvoll gewachsenes Mosaik aus Knochen, Szenen, Schichten aus Haut, Fett und Fleisch (…) dazwischen schneeweißes Bindegewebe, die filigrane Klinge des Schlachtermessers“ – und der dadurch erzeugte Gestus des Zeigens, führen auf die Länge des Textes dazu, dass einem im Tableau der Einbrüche, Schlägereien, Schlachthausszenen, unter all dem Blut, das hier wie im Splatter fließt, irgendwann der Tatort einfällt, wo ein Pistolenschuss von einem „Ich schieße jetzt!“ begleitet wird.

Insgesamt reicht Auster und Klinge aber über Sonntagabendunterhaltungsniveau hinaus. Die Konstruktion, mit der Loke ihre Figuren zusammenzwingt, ist präzise, die Innenwelten der Großschlachter und Kleinganoven, der Großmannssüchtigen und der Kleinkarierten rücken einem nahe. Die gesellschaftliche Disponiertheit ist in allen übermächtig. Das zweite Motto des Romans: „Wir sollten von Zeit zu Zeit richtig aufgestört werden. Wie lange ist es her, seit du richtig verstört warst? Aus einem triftigen Grund, einem wesentlichen Grund?“, kommt einem nach der Lektüre zwar etwas pädagogisch vor. Die „Klinge“, mit der Lokes Sprache in diese Zusammenhänge eindringt, schneidet tief genug, um wirklich wehzutun, hat den Blick auf das gelenkt, „was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet“, auf eine Welt, deren Logik kalt und feindlich ist. Dieser Roman verstört.

Info

Auster und Klinge Lilian Loke C.H. Beck 2018, 313 S., 19,95 €

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Geschrieben von

Beate Tröger

Freie Autorin, unter anderem für den Freitag

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