Sechzehn Monate bis zur Bundestagswahl 2017

Parteien/Wahlen Gern wird behauptet, dass rot-rot-grün auf Bundesebene weder inhaltlich-politisch noch rechnerisch realistisch sei. Beides trifft nicht zu, wenn die Beteiligten wollen

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2017 kann viel passieren, aber kein Wechsel im Kanzleramt – jedenfalls keiner von der Union zur SPD
2017 kann viel passieren, aber kein Wechsel im Kanzleramt – jedenfalls keiner von der Union zur SPD

Foto: Adam Berry/AFP/Getty Images

Der in vielen schweren Wahlkämpfen gestählte neue Kommunikationschef des Willy-Brandt-Hauses verbuchte am Ende der ersten zwei Wochen im Amt auf der Habenseite vor allem eins: gute Laune.

Ansonsten dürfte weder der morgendliche Blick in die Zeitungen, noch der in die sozialen Medien, und schon gar nicht der in die abendlichen Satireshows in der SPD-Spitze viel Vergnügen auslösen. Allenthalben wird daran gearbeitet, die nächste Bundestagswahl, mit einer einfachen Botschaft zu framen: Diese Wahl ist für die SPD verloren, 2017 kann viel passieren, aber kein Wechsel im Kanzleramt, jedenfalls keiner von der Union zur SPD.

Bundestagswahl 2017: Suche nach Führung eines politischen Himmelfahrtskommandos oder Spiel auf Sieg?

Wie weit diejenigen, die ein (aus ihrer Sicht legitimes) Interesse daran haben, diesen Frame für den beginnenden Wahlkampf zu verankern, gekommen sind, zeigt sich daran, wie selbstverständlich die meisten bei diesem Satz nicken würden. Das derzeit laufende Theater rund um die Nominierung eines SPD-Kanzlerkandidaten hat objektiv nur die Verstärkung dieser Selbstverständlichkeit zur Folge, weil ja gar nicht über die Suche nach einem echten Kandidaten für das Kanzleramt berichtete wird, sondern über die Suche nach dem Anführer für ein bundespolitisches Himmelfahrtskommando. Abgesehen von auffälligen Ähnlichkeiten zu den Jahren 2008 und 2012, als mit anderen Erzählungen derselbe Rahmen definiert wurde, lohnt es sich, die objektive Funktion der Konstitution dieser (scheinbaren) Selbstverständlichkeit zu ermitteln. Unter den Wählerinnen und Wählern, die sich eher im Mitte-Links-Spektrum einordnen, dürfte die Aussicht, mit der eigenen Stimme ohnehin keinen Regierungswechsel zu bewirken, jedenfalls nicht mobilisierend wirken. Viele unentschiedene Wählerinnen und Wähler, die sich in der politischen Mitte verorten, dürften je näher die Wahl rückt nach dem Prinzip „Go with the Winner.“ eher in Richtung Union und FDP mobilisiert werden. Und diejenigen, die ihren Protest und ihre Unzufriedenheit mit der derzeitigen Regierung und ihrer Kanzlerin artikulieren wollen, werden jedenfalls nicht in der linken Mitte ihre Stimme abgeben, sondern wie auch bisher eher am rechten Rand bei der AfD, oder gar nicht. .

Werfen wir einen oberflächlichen Blick auf die verfügbaren demoskopischen Daten zur kommenden Bundestagswahl. Die aktuellen Ergebnisse der sogenannten Sonntagsfrage, wie sie das Portal Wahlrecht.de zusammenstellt, weisen im Durchschnitt von sieben Instituten für die Union 33,1%, für die FDP 7%, für die AfD 12,7%, für die SPD 21,2%, für die Grünen 12,7% und für DIE LINKE 8,8% aus. Der Pollytix Bundestagswahltrend, der für sich in Anspruch nimmt, fortlaufend Durchschnittszahlen der verfügbaren Erhebungen zu publizieren, weist zum 17.5.2016 für die Union 32,5%, für die FDP 6,9%, für die AfD 13,1%, für die SPD 21%, für die Grünen 13,1% und für DIE LINKE 9,o% aus.

Ordnet man diese Ergebnisse nach den politischen Lagern, dann ergibt sich ein Verhältnis von 52,6% zu 42,7% bzw. 52,5 zu 43,1% zwischen Schwarz-Gelb-Blau und Rot-Rot-Grün.

Nun existiert kein rot-rot-grünes Bündnis, ebenso wenig wie ein schwarz-gelb-blaues. Aber objektiv ist eine parlamentarische Mehrheit für die Parteien SPD, LINKE und Grüne das einzige Szenario, in dem die Option einer nicht von der Union geführten Bundesregierung auf dem Sondierungstisch liegt.

Unionswahlkampf 2017: Operation Abendsonne

Gegen den politischen Frame der Jahre 2008, 2012 und 2016, dass eine Mehrheit jenseits der Unionsparteien undenkbar sei, hilft nur die realistische Erkenntnis: CDU und CSU gehen in die kommende Bundestagswahl aus einer Position der Schwäche. Untereinander zerstritten, der Mythos der unbesiegbaren Kanzlerin durch die eigenen Leute in Frage gestellt und von rechts durch die AfD unter Druck und mit einer untoten FDP, die sich leise berappelt konfrontiert. Sichere Sieger sehen anders aus.

Angesichts dessen und mit Blick auf die Umfragedaten ist eine rot-rot-grüne Bundestagsmehrheit alles andere als unerreichbar. Die drei Parteien müssten zusammen maximal rund 48 Prozent der Stimmen erreichen, also rund fünf Prozentpunkte mehr als jetzt. Soll keiner behaupten, dass dieses Ziel illusorisch sei.

Mit anderen Worten: Wenn DIE LINKE erfolgreich um die Zweistelligkeit kämpft, die SPD wieder die 25-Prozent-Marke ins Auge fassen und die Grünen ihr Niveau halbwegs halten, dann müssten alle drei Parteien nur realistische Wahlziele formulieren und erreichen, um ein großes Ziel zu schaffen: eine nicht mehr von der Union geführte Bundesregierung in den Bereich des Möglichen zu rücken.

Dafür ist es nicht notwendig, sofort einen rot-rot-grünen Frühling auszurufen, den es ohnehin nicht geben wird. Ob und wie eine Machtoption genutzt wurde, ist in der Geschichte der Bundesrepublik nie spekulativ sondern immer in einer konkreten Situation und von Akteuren entschieden worden, die eine konkrete Situation zu nutzen verstanden.

Was tun? Was tun!

Im Moment würde es schon reichen, wenn die Parteien des Mitte-Links-Spektrums die Merkel-muss-weg-Attitüde nicht der AfD überlassen würden.Dafür müssen sie nur ihren Job machen.

Im Wahlkampf muss das Mitte-Links-Lager in Form der drei Parteien mit den jeweils eigenen Konzepten für das jeweils eigene Segment im gemeinsamen rot-rot-grünen Spektrum werben.

Darüber hinaus müssen die drei Parteien aufhören, vor allem gegeneinander zu arbeiten. Ein Blick nach Österreich, nach Frankreich und auf die jüngsten Landtagswahlen zeigt: die politische Kontroverse ist mit der Union zu führen. Wer Merkel wählt, wählt nicht die souveräne Kanzlerin früherer Jahre sondern eine Partei- und Regierungschefin, die letztlich von der Agenda Seehofers und der CSU abhängig ist. Aus dem Diktum: rechts von der Union dürfe keine demokratische Partei existieren ist für die CSU geworden, soweit nach rechts zu rücken, dass rechts tatsächlich der undemokratische Rand beginnt. Die Politik der CSU, die Öffnung nach rechts, bereitet der AfD das Feld und vergiftet das politische Klima nachhaltig.

Wir haben an anderer Stelle auf diesem Blog deutlich gemacht, dass die rot-grün-roten Parteien das verbliebene Zeitfenster bis zur Bundestagswahl ebenfalls nutzen sollten, in inhaltliche Verständigungen darüber einzutreten, worin der Mehrwert einer politischen Mehrheit im Bundestag bestehen könnte.
Als rot-grün-rote Vorhaben für 2017-2021 benannten wir die Fortentwicklung des Mindestlohns, die Lösung des akuten Problems massenhafter Altersarmut aufgrund ungerechter Rentenentwicklung, eine Renaissance des Prinzips der Gemeinschaftsaufgaben als Instrument zur Lösung gesamtstaatlicher Herausforderungen wie z.B. der Integration sowie die Steuergerechtigkeit.

Ein solches Vorgehen würde dazu führen, dass jüngere Äußerungen wie der Vorschlag von Gregor Gysi, r2g solle einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten oder Kanzlerkandidatin bestimmen, bzw. des SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann, r2g sei für 2017 nicht ausgeschlossen, einem anderen Prinzip folgt als dem bekannten Strickmuster, r2g als illusorische Spielmarke des politisch-medialen Betriebs zu kommunizieren. Dann würde r2g der SPD und den Grünen nur als eine Variante dienen, die eigene linke Wähler/-innenschaft zu mobilisieren und der Union als Schreckgespenst zur Mobilisierung ihrer Anhängerschaft, die ansonsten mit der AfD liebäugeln würde.

Kurzum: Wer r2g für inhaltlich und rechnerisch unmöglich erklärt, irrt. Scheitern kann eine Mitte-Links-Mehrheit jenseits der Union nur an eigenem Unvermögen, Chancen zu verwerten und mangelndem Selbstbewusstsein im rot-rot-grünen Lager.

Gemeinsam verfasst mit Alexander Fischer, Referatsleiter in der Landesvertretung Berlin des Freistaates Thüringen. Dieser Beitrag erschien in kürzerer Fassung zuerst auf www.fliesstexte.de. Beide Autoren geben in diesem Text ihre persönliche Meinung wieder.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

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