Die Verdrängung in deutschen Städten hat viele Gesichter. Die Gesichter des Pärchens mit zwei Kindern, das keine bezahlbare Wohnung mehr in Frankfurt am Main findet und darum nach Kassel zieht. Oder die Gesichter demonstrierender Bürger in Berlin, die auf Transparenten fordern: „Keine Rendite mit der Miete“. Und natürlich die vielen Gesichter in den Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen in vielen Großstadtbezirken.
Sie alle illustrieren ein Problem, das die gesellschaftspolitische Debatte in Deutschland wie ein Grundrauschen begleitet: Insbesondere in den Ballungszentren mangelt es an bezahlbarem Wohnraum. Der Markt regelt es so. Und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ausgerechnet der freie Markt verursacht das, was Marktliberale an staatlich regulierten Systemen immer belächelt haben: lange Schlangen für eine Mangelware, bezahlbaren Wohnraum.
So steigen die Mieten weiter und weiter. In den 20 größten deutschen Städten zwischen 2004 und 2014 um 24,8 Prozent in der mittleren Preisklasse. 2014 bezahlten laut Statistischem Bundesamt 17 Prozent aller Haushalte in Deutschland 40 Prozent oder mehr des Nettoeinkommens für die Miete, empfohlen wird ein Drittel. Besonders hart trifft es armutsgefährdete Personen, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie müssen im Schnitt 51 Prozent des Nettoeinkommens in die Miete stecken. Da bleibt zum Leben nicht viel.
Im Koalitionsvertrag 2013 wurden daher große Pläne geschmiedet, um der Entwicklung entgegenzuwirken. Doch nun, nach vier Jahren, ist keine Besserung in Sicht. Aus der Großen Koalition hätten die Mieter in den vergangenen Jahren keine wirkliche Unterstützung erfahren, urteilte deshalb vergangene Woche Franz-Georg Rips, der Präsident des Deutschen Mieterbundes.
Es ist nicht so, dass es nicht versucht worden wäre. So wurde etwa die Mietpreisbremse 2015 unter großem Getöse verabschiedet. Wo der Markt angespannt ist, dürfen Neuvermietungen höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Ein Großteil der Bundesländer beteiligt sich inzwischen daran. Der Schönheitsfehler: In der Realität macht die Regelung die Situation nicht besser.
Ende Mai veröffentlichten die Grünen ein Gutachten zur Wirksamkeit der Mietpreisbremse. Demnach überweist jeder Mieter im Schnitt 1.700 Euro pro Jahr mehr, als er nach dem Mietpreisbremsgesetz müsste. Das sind insgesamt 310 Millionen Euro im Jahr 2017. Zudem kritisiert das Gutachten, dass sich die Mieter oft nicht trauten, das einzufordern, was ihnen zusteht –aus Sorge vor der Auseinandersetzung mit dem Vermieter oder Unkenntnis über die Höhe der Vormiete.
Vom Gericht abgeräumt
Als wäre das nicht genug, gerät die Preisbremse auch noch von Seiten der Hausbesitzer unter Beschuss. So entschied Anfang Juni ein Amtsgericht in Hamburg, dass ihre Einführung in der Hansestadt unwirksam sei. Die Begründung, Hamburg habe einen angespannten Wohnungsmarkt, sei zu dünn. Die regierende SPD hofft nun auf die nächste Instanz, Ausgang ungewiss.
Doch eine Preisbremse allein kann auch wenig ausrichten. Es braucht vor allem neue Wohnungen. Die werden auch gebaut – 240.255 Wohnungen waren es laut Statistischem Bundesamt 2016, allerdings bei einem jährlichen Bedarf von 400.000. Aber: Der Wohnraum soll sich rechnen. Betongold als Investitionsmöglichkeit. Und rechnen tut es sich vor allem bei hohen Mieteinnahmen. Wer die nicht zahlen kann, muss wegziehen.
Die Folge sei eine Verdrängung der Armen und Prekären an die Stadtränder, sagt die Politologin und Urbanistin Inga Jensen. Doch auch dort stiegen die Mieten oftmals. „Eine weitere Folge ist die Zunahme massiver Überbelegung von Wohnungen”, warnt Jensen. Dazu könne es auch kommen, wenn das soziale Umfeld von existenzieller Bedeutung für die Betroffenen sei. „Wenn man auf die Nachbarin angewiesen ist, die mal auf die Kinder aufpasst, oder auf den Gemüsehändler, der mal anschreiben lässt, dann rücken die Menschen oft enger zusammen, indem sie zum Beispiel noch die Oma mit in die Wohnung holen.“ Dass sich die Tendenz von selbst abschwächt, glaubt Jensen nicht. Dafür seien die Gegenmaßnahmen zu lasch.
Ein Index dafür ist auch die schrumpfende Zahl der Sozialwohnungen: 1987 gab es noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, 2013 waren es noch 1,48 Millionen. Laut Mieterbund liegt die Zahl inzwischen sogar bei nur noch 1,25 Millionen.
Dabei gibt es Fördergelder und Erleichterungen für Bauträger, die bezahlbaren Wohnraum schaffen. Rund drei Milliarden Euro investieren Bund, Länder und Kommunen pro Jahr. Doch die mietgebundenen Wohnungen müssen nur für eine gewisse Zeit bezahlbar bleiben. So entstehen zwar neue bezahlbare Wohnungen, zugleich fallen andere aber aus der Bindung heraus. Jährlich sinkt die Zahl der Sozialmietwohnungen um 50.000 bis 60.000.
Fünf Städte, fünf Wohnungsmärkte Beispiele für regionale Unterschiede
München
In der teuersten Stadt Deutschlands sind die Mieten traditionell sehr hoch –und sie steigen immer weiter. Im Jahr 2016 mussten Mieter im Durchschnitt 16 Euro pro Quadratmeter zahlen. Das ist ein Anstieg von 21 Prozent gegenüber 2012. Zum Vergleich: In Berlin sind die Mieten in den vergangenen fünf Jahren mit 28 Prozent zwar extremer gestiegen, dennoch liegt dort der durchschnittliche Quadratmeterpreis mit 9,29 Euro weiter deutlich unter Münchner Verhältnissen.
Hamburg
Die Mieten in Hamburg sind hoch, allerdings sind sie es schon lange. Im Gegensatz zu anderen Städten fällt der Preisanstieg deshalb hier mit 6,7 Prozent moderat aus. In den teuersten Stadtteilen hat sich der Mietpreis auf hohem Niveau eingependelt, aber besonders einkommensschwache Haushalte sind von den starken Mietsteigerungen bei günstigen Wohnungen betroffen.
Wolfsburg
Die Autostadt verzeichnet den stärksten Preisanstieg: Die Mieten sind hier in den vergangenen fünf Jahren um 46 Prozent gestiegen. Etwa die Hälfte der Wolfsburger arbeitet bei VW. Wächst der Konzern, wächst auch die Einwohnerzahl. Zwischen 2012 und 2016 sind hier etwa 20.000 Arbeitsplätze entstanden. Das hat die Mieten in die Höhe getrieben. Nach dem Dieselskandal hat VW einen Stellenabbau angekündigt. Aktuelle Zahlen zeigen, dass der Mietpreis bereits sinkt.
Frankfurt/Oder
Die Städte mit dem geringsten Anstieg der Mieten finden sich alle in Ostdeutschland. In Frankfurt an der Oder sind die Mietpreise um 0,7 Prozent gesunken. Damit zahlen Mieter im Durchschnitt 5,46 Euro pro Quadratmeter. Im Vergleich zu Frankfurt an der Oder ist der Preis in Frankfurt am Main dagegen seit 2012 um 19,2 Prozent gestiegen und liegt nun bei durchschnittlich 12,50 Euro.
Jena
Auch in Jena sinkt der Mietpreis pro Quadratmeter – wenn auch nur minimal. Seit 2012 sind die Mieten hier im Schnitt um 1,2 Prozent günstiger geworden. Musste man vor fünf Jahren durchschnittlich 8,40 Euro pro Quadratmeter zahlen, waren es im vergangenen Jahr nur noch 8,30 Euro. Ein Blick nach Görlitz zeigt aber, dass die Miete in Jena bereits 2012 auf einem vergleichsweise sehr hohen Niveau war. In Görlitz beträgt der Quadratmeterpreis nämlich nur 4,59 Euro.
Neben einer Stärkung des sozialen Wohnungsbaus gibt es aber noch einen anderen vielversprechenden Ansatzpunkt – eine neue Form der Wohnungsgemeinnützigkeit. 2015 veröffentlichten die Grünen eine Studie, die sich mit der Möglichkeit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit befasste. Seitdem ist das Thema wieder stärker in der Diskussion.
Ein solches Modell lehnt sich an die Wohnungsgemeinnützigkeit an, die es in Deutschland bis Ende 1989 gab. Die Grundidee: Wenn Wohnungsunternehmen gemeinwohlorientiert wirtschaften, werden sie als gemeinnützig anerkannt und erhalten so Steuervorteile und andere Vergünstigungen. So sollen bezahlbare Wohnungen entstehen – und zwar dauerhaft. Anfang der 1990er Jahre war das Modell aus Kostengründen abgeschafft worden.
Auch die Linke hat jüngst ihre zweite Studie zur neuen Wohnungsgemeinnützigkeit gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht. An dieser hat Inga Jensen zusammen mit der Stadtforscherin Sabine Horlitz und dem Soziologen Andrej Holm (siehe Interview) mitgearbeitet.
In ihren Berechnungen gehen sie davon aus, dass Wohnraum schon für weniger als fünf Euro pro Quadratmeter möglich wäre – bei entsprechender Förderung, beispielsweise in Form günstiger Grundstücke, Steuererlassen oder Subventionszahlungen. Die sollen Unternehmen erhalten, die mit der Vermietung nicht mehr als vier Prozent Gewinn erwirtschaften wollen, Wohnungen dauerhaft an Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen vermieten und sich auf eine dauerhafte Mietpreisbindung einlassen. Zudem sollen Mieter ein stärkeres Mitspracherecht erhalten.
Fünf Euro pro Quadratmeter – eine solche Zahl ruft auch die privaten Wohnungsunternehmen auf den Plan. Die geben meist an, dass der Quadratmeter Neubau im Schnitt etwas über zehn Euro pro Quadratmeter koste. Damit rechtfertigen sie Mieten, die mit Sozialbau nicht viel gemein haben. Da überrascht es nicht, dass Haus & Grund, der größte Vertreter der privaten Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer in Deutschland, „eine staatliche Angebotsausweitung nachdrücklich“ ablehnt. Angesichts des demografischen Wandels würde die Wohngemeinnützigkeit nur Leerstand in den Jahren nach 2030 produzieren.
Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag privater Wohnungsunternehmen brachte sieben Argumente gegen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit hervor. Unter anderem sei sie für die Kommunen zu teuer, gemeinnützige Unternehmen seien schwer zu steuern und aufgrund fehlender Konkurrenz nicht effektiv. Und es würden so auch neue „Ghettos“ entstehen.
„Leistbare Mieten wird es nicht umsonst geben“, sagt Inga Jensen. Bei einer jährlichen zusätzlichen Förderung von zwei Milliarden Euro könnten laut Studie pro Jahr mehr als 32.000 neue Wohnungen zu Mieten von 4,50 Euro pro Quadratmeter gebaut werden. In einem Land, dessen politische Debatte von einem Schwarze-Null-Fetisch dominiert wird, klingt das für viele erst einmal nicht sonderlich attraktiv.
Allerdings müsste der Staat dann auch weniger Zusatzleistungen bezahlen, betont Jensen. Wenn es günstigere Mieten gäbe, müssten weniger Wohngeld und Kosten für die Unterkunft bezahlt werden. Auch den Vorwurf der „Ghettoisierung“ findet sie nicht überzeugend. „Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit soll über 60 Prozent der Bevölkerung ansprechen. Dann von Ghettoisierung zu sprechen, halte ich für einen absurden Vorwurf.“
Was die Warnung vor schlecht organisierten gemeinnützigen Unternehmen angeht, baut Jensen auf die Mitbestimmung der Mieter, die ein Interesse daran hätten, dass alles gut laufe. Darüber hinaus müsste es eine staatliche Aufsichtsbehörde geben, die mit externen Gutachtern zusammenarbeite. Ähnlich wie in Österreich.
Felix Austria! Österreich im Allgemeinen und Wien im Besonderen sind das Vorbild, wie eine solche Wohnungsgemeinnützigkeit aussehen könnte. Dort hat man die Sozialwohnungen nicht privatisiert, sondern den Bestand sukzessive ausgebaut. Heute wird Wien oft als Mieterparadies gelobt.
Grün-linke Gemeinsamkeit
In Deutschland ist das noch Zukunftsmusik, denn auch gemeinnützige Wohnungen müssten erst einmal gebaut werden. Kurzfristig könnten Wohnungsunternehmen aber bestehende Wohnungen in gemeinnützigen Wohnraum umwandeln – wenn eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit beschlossen würde.
Es sind also politische Entscheidungen gefragt. Und im Wahlkampf ließe sich das Thema durchaus zur Profilierung nutzen. Bislang haben das vor allem Linke und Grüne probiert. Letztere fordern in ihrem Entwurf zum Wahlprogramm explizit eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Im Wahlprogramm der Linken heißt es unter anderem: „Sozialwohnungen müssen gebaut und angekauft werden – mindestens 250.000 im Jahr, für über fünf Milliarden Euro im Jahr, vor allem durch gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbau.“
Die SPD bleibt bisher vage, ihr Entwurf klingt nach einem Weiter-so. Die Mietpreisbremse soll verbessert, die Höhe des Wohngelds regelmäßig angepasst und die Investitionsanreize verbessert werden. Immerhin wird auch bemerkt: „Wir setzen uns für mehr Wohnungen im öffentlichen und betrieblichen Eigentum ein.“ Die Wohnungsgemeinnützigkeit wird nicht explizit gefordert, innerhalb der Partei soll es dazu unterschiedliche Positionen geben. Noch im Januar lehnte die SPD Anträge von Linken und Grünen auf eine Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit ab – zusammen mit der CDU. Die Union will vor allem Fördergelder beim Bau von Eigenheimen zur Verfügung stellen, etwas, das auch die SPD vorschlägt.
Und die FDP ist der Meinung, dass kaum ein Lebensbereich in den vergangenen Jahren so stark reguliert worden sei wie der Wohnungsbau. Sie will der privaten Wohnungswirtschaft das Leben leichter machen, unter anderem mit der Abschaffung der Mietpreisbremse. Deren Abschaffung wird das Problem aber wohl am wenigsten lösen.
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