Rechtspopulismus auf Schwedisch

Wahlen Im September wählt Schweden ein neues Parlament. Dabei zeichnen sich die rechtspopulistischen Schwedendemokraten bereits jetzt als Gewinner ab, egal wie die Wahl ausgeht

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Der Rechtspopulismus bahnt sich seinen Weg
Der Rechtspopulismus bahnt sich seinen Weg

Foto: Jonathan Nackstrand/AFP/Getty Images

In wenigen Tagen, am 9. September wird in Schweden ein neues Parlament gewählt. Dabei zeigen sich in dem Land mit sonst so vorbildlicher und historisch starker Sozialdemokratie Tendenzen wie im Rest Europas: Der Rechtspopulismus bahnt sich seinen Weg in den politischen Mainstream. Nicht zuletzt deswegen kann der diesjährige Wahlausgang als so unvorhersehbar wie noch nie in der jüngeren Geschichte schwedischer Politik beschrieben werden.

Die Sverige Demokraterna (SD), eine Partei mit Gründungszusammenhang in der rechtsextremistischen Szene, sitzt schon seit 2010 im Reichstag. Umfragen prognostizieren dieses Jahr nun einen erneuten Zugewinn an Stimmen, der die Rechtspopulisten zur zweitstärksten, wenn nicht sogar stärksten Partei Schwedens machen könnten. Mit 12,9 Prozent, 49 Mandate bei insgesamt 349 Sitzen, sind die Schwedendemokraten bereits stark im Parlament vertreten, jedoch blieb ihr Einfluss ohne die Zusammenarbeit mit anderen Parteien bisher isoliert. Die derzeitig prognostizierten rund 20 Prozent würden ihre Position ernsthaft stärken.

Einher gehen eine Krise der Sozialdemokratie, ähnlich wie der deutschen, und erhebliche Stimmverluste der regierungsbildenden Parteien Socialdemokraterna (S) und Miljöpartiet (MP). Für letztere, die grüne Umweltpartei, war selbst die Vierprozenthürde lange eine Herausforderung, die im Kontext der verheerenden Waldbrände der letzten Monate jedoch an Relevanz verloren hat. Gleichzeitig wäre ein Ergebnis von derzeit prognostizierten rund 24 Prozent auch für die in der Vergangenheit eigentlich so bedeutenden schwedischen Sozialdemokraten ein Armutszeugnis. Sollte es dieses Jahr ein sozialdemokratisches Bündnis, trotz Hang zur Minderheitsregierung nicht schaffen, welche Optionen sind damit offen? Löst das bürgerlich-konservativ Bündnis ‚Alliansen‘ die Regierung unter Staatsminister Stefan Löfven ab? Jedenfalls liegen die beiden Lager um die großen Volksparteien prozentual bisher ungefähr gleich auf. Doch auch die konservativ-liberalen Moderaterna, noch zweitstärkste Partei, verlieren an Stimmen und ihre christdemokratische Bündnispartei balanciert bereits länger entlang der nötigen vier Prozent.

Das Parteienbündnis Alliansen

Noch 2006 und 2010 waren die Situationen eindeutiger. Mit einem 2004 gegründeten Parteienbündnis aus Moderaterna (M), Liberalerna (L), Centerpartiet (C) und Kristdemokraterna (Kd) wurden die zuvor bereits drei Wahlperioden regierenden S abgelöst. Mit der das Bündnis gründenden Ansage, dass wer für eine dieser Parteien stimme, für alle stimme, konnte dann auch 2010 erneut eine regierungsbildende Mehrheit erlangt werden. Doch ob dieses Bündnis auch dieses Mal die Sozialdemokraten ablösen kann ist höchst unsicher. Gleich zwei Parteien, die Liberalen und die Christdemokraten könnten es mit derzeit in den Umfragen liegenden fünf Prozent (L) und vier Prozent (Kd) vielleicht gar nicht ins Parlament schaffen. Und selbst bei einer prozentualen Mehrheit wäre der Regierungswechsel nicht gesichert, gleiches gilt für das linke Lager. Entscheidend ist nämlich, dass sich keine parlamentarische Mehrheit gegen die neue Regierung findet. Diesbezüglich knapp wurde es bereits vor vier Jahren für die rot-grüne Regierung, die lediglich 138 Parlamentssitze erreichte und selbst mit der informellen aber bisher verlässlichen Zusammenarbeit der linken Vänsterpartiet (V), sich zunächst nicht sicher wähnen konnte. Doch hätte die Opposition der Alliansen mit den Rechtspopulisten zusammenarbeiten müssen, ein bis dato absolutes No-go.

Uneindeutig ist jedoch seit einigen Jahren, ob solch eine Zusammenarbeit weiterhin undenkbar bleibt. Seit der Regierungsübernahme durch die S scheinen die Moderaten sich diese Option zumindest offen halten zu wollen. Von einer rhetorischen und programmatischen Annäherung und der Suche nach Reaktionen von Bürgern und Bürgerinnen ist in diesem Kontext die Rede. Mit ungenauen Formulierungen in ihren politischen Vorhaben sowie vagen Antworten bezüglich den Fragen nach einer Koalition mit den Schwedendemokraten provoziert die Partei schon länger Assoziationen einer eventuellen Zusammenarbeit. Erst Anfang August wieder durch Tobias Billström, Fraktionschef der M, der in einem Artikel erklärte, „der Parlamentarismus basiert darauf, dass die Wähler über die Zusammensetzung des Parlaments bestimmen, das dann davon ausgehend arbeiten muss. Man kann das Wahlresultat nicht ignorieren“ und damit den Eindruck einer möglichen Zusammenarbeit der Parteien hinterließ.

Obendrein bleibt die Option einer Großen Koalition zumindest vor der Wahl definitiv ausgeschlossen. Weder die konservativ-liberalen Bündnispartner der M, noch das linke Lager der S könnten sich solch ein Modell nach deutschem Vorbildvorstellen. Beide Parteien fürchten zudem Stimmverluste bei der Ansage eines Koalitionsbündnisses mit dem langjährigen und anhaltenden politischen Gegner.

Druck von rechts

Deutlich wird, dass der Einzug rechtspopulistischer Parteien das gängige politische Gefüge erheblich durcheinanderbringt. Um rechten Überzeugungen Einhalt zu gebieten verfasste die Regierung auch rechtzeitig vor der Wahl eine Broschüre für den Fall von Krisen oder Krieg, die an alle Bürgerinnen und Bürger verschickt wurde. „Om Krisen eller Kriget kommer“, warnt vor falschen Nachrichten und bittet die Schweden und Schwedinnen wachsam mit Informationen umzugehen. Woher kommt eine Information, ist die Quelle glaubwürdig und gibt es die Nachricht auch auf anderen Kanälen? Handelt es sich um Fakten oder Ansichten, ist die Nachricht neu oder alt und welchen Zweck verfolgt sie? Zu guter Letzt wird auch darum gebeten nicht an Gerüchte zu glauben und sie erst recht nicht weiterzugeben.
Wie hilfreich diese Warnungen sind wird sich erst noch rausstellen müssen. Neben dem Sozial- und Pflegesystem und durch gegenwärtige Waldbrände präsenter gewordenem Thema Klimawandel, bleiben weiterhin Fragen nach Migration und Integration von Einwandernden, also die Top-Themen rechter Parteien, die wichtigsten der diesjährigen Wahl.
Gleichzeitig haben die Schwedendemokraten seit ihrem ersten Einzug in den Stockholmer Reichstag 2010 erheblich an ihrem Image gearbeitet. Ihre Erneuerungskampagne führte weg von den rassistischen und rechtsextremistischen Wurzeln und hin zu einer nationalen Partei, wie sie sich selbst bezeichnet, welche ‚traditionelle schwedische Werte sowie Kultur‘ vor der stattfindenden Einwanderung und Globalisierung schützen will. Besonders von Männern und Menschen außerhalb großer Städte finden die SD einigen Zuspruch. 2010 und 2014 konnten sie die prognostizierten Wahlergebnisse stets um einige Prozente übertreffen.

Die Krise der Sozialdemokraten

Einher mit dem Erstarken des Rechtspopulismus geht die Krise der Sozialdemokratie. Auch in Schweden, wo die Sozialdemokraten von den letzten 50 Jahren 33 Jahre die Regierung gebildet haben, sind derzeit knapp 24 Prozent eine Schmach. Noch vor vier Wahlperioden erreichten sie 40 Prozent, in den 33 Jahren stellten sie achtmal alleinig die Regierung. Lediglich 2014 mussten die Sozialdemokraten durch ihr niedriges Wahlergebnis auf die Forderung der Grünen nach einer Regierungskoalition eingehen.
Sicherlich lässt sich diese Tendenz auch in Schweden durch einen Druck von rechts erklären, diskutiert wird jedoch vielfach auch die nicht-konsensorientierte Umsetzung eigener Interessen, die charakteristisch für die schwedischen Sozialdemokraten sei. Deutlich wurde dies in den letzten vier Jahren in der Regierung mit der Miljöpartiet. Nur wenige Wahlversprechen der Grünen wurde umgesetzt, im Gegenteil war die Politik der letzten Jahre sogar widersprüchlich zum Parteiprogramm. Dort ist von offenen Grenzen die Rede, beziehungsweise einer Welt, in der sich jede und jeder frei bewegen kann. Seit 2016 jedoch gibt es an der dänisch-schwedischen Grenze wieder Passkontrollen. In der Öresundregion, mit Kopenhagen und Malmö sowie den umliegenden Provinzen, betrifft dies jeden Tag etliche Brückenpendler und -pendlerinnen, deren Arbeit und Wohnung vom Öresund getrennt sind.

Die Sozialdemokraten unfähig zur Zusammenarbeit? Die Koalition mit den Grünen, die zum ersten Mal in der Regierung sitzen, lässt dies vermuten. Zudem war die größte Volkspartei die vielen Male, die sie allein die Regierung stelle, faktisch nicht zur Zusammenarbeit genötigt. Dennoch: In Stockholm, wo Minderheitsregierungen politische Normalität darstellen, ist Konsensorientierung das A und O für eine erfolgreiche Politik. Das viele Schwedinnen und Schweden mit der jetzigen Regierung unzufrieden zeigt sich deutlich in den Umfragen mit Verlusten von bis zu sieben Prozent.

Was ist also nach dem 9. September zu erwarten? Wird die rot-grüne, nach eigenen Aussagen ‚feministische Regierung‘, wie bereits vor 12 Jahren vom konservativ-liberalen Lager Alliansen abgelöst? Oder werden die rechtspopulistischen SD als zweitstärkste oder stärkste Partei die Ordnung der alten Volksparteien komplett umkrempeln? Falls dem so wäre müssten S und M erstmalig über die Option einer großen Koalition sprechen, damit steht aber auch das Bündnis Alliansen auf dem Spiel. Oder aber die Konservativen gehen jene Option ein, die sie sich die letzten Jahre offengehalten haben – eine Zusammenarbeit mit den SD. Sicher bleibt somit bisher nur eins, nämlich dass der Ausgang der diesjährigen Parlamentswahl in Schweden sich an wenigen Prozenten entscheidet und damit so unvorhersehbar ist wie lange nicht. Vielleicht sollten die Schwedinnen und Schweden sich bereits auf eine der Wahl zum Brexit und der amerikanischen Präsidentschaftswahl ähnelnde Überraschung einstellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Birthe Bird

Mensch. Schreibe über Schweden, Feminismus und bedingungslose Grundeinkommen.

Birthe Bird

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