Kaum ein Dreivierteljahr ist es her, dass sich Christof und Nicola kennengelernt und ineinander verliebt haben, ein Paar in der Blüte ihrer Jugend – und schon reißt der Tod die beiden auseinander. Noch lebt Christof (Felix Jordan), schlafend liegt er in seinem Bett. Nicola (Camille Dombrowsky) stellt sich derweil vor, wie es wäre, mit ihm ihre alte Schule zu besuchen, noch einmal mit ihm zu schlafen. Ganz so, als wäre nichts, wird er als fideles Gegenüber von Jordan auf der Bühne verkörpert.
Doch beide wissen um das Ende, das bevorsteht. Ihre Ängste und Zweifel teilen sie mit all den anderen Figuren dieses Pandämoniums des Schmerzes, das Elmar Goerden in seiner Inszenierung von Simon Stephens’ Text Ein dunkles, dunkles, dunkles Blau a
dunkles Blau am Schauspiel Stuttgart entfaltet. Sei es die Lehrerin, die früh ihren Sohn verlor, oder der Witwer, dessen Frau durch einen Autounfall umkam – der Tod ist omnipräsent. Obwohl er normalerweise sämtliche Bande trennt, verbindet er hier die einzelnen, sich abwechselnden Szenentableaus.Als Sinnbild des Fragmentarischen lässt der Regisseur diverse, sich überlagernde Textschnipsel auf die hintere Wand projizieren. Verschwinden diese, bleibt nur die finstere Kulisse zurück. Ein gigantisches, schwarzes Loch. Davor schwebt lediglich ein Metallrahmen. Gelegentlich dient er den Figuren als Schaukel der Leichtigkeit, meist deutet er hingegen ihr Gefängnis aus Einsamkeit und Verzweiflung an. Möglich erscheint indes ebenso eine erbauliche Interpretation, stellt doch das Rechteck eine feste Form dar, die Halt versprechen kann – ein zumindest kleiner Hoffnungsschimmer in diesem ansonsten schonungslos naturalistischen Drama über Tod und Abschied.Melancholischer Klangteppich von Nils FrahmDabei gelingt es der Aufführung, große Momente der Schönheit herzustellen, ohne in den Kitsch abzudriften. Abgesehen von manchen etwas zu abschweifend ausfallenden Episoden finden sich mehrere Augenblicke, die tief berühren. So etwa, wenn Nicola sich vorstellt, mit Christof an einem Gewässer zu sein. Unterlegt mit dem melancholischen Klangteppich von Nils Frahm, blickt sie auf dem See gen Himmel, lässt sich für einen Moment hinwegtreiben aus all dem Unglück der Gegenwart. Ebenfalls stark fällt der Monolog von Christofs Vater (Boris Burgstaller) aus. Gen Publikum gerichtet, erzählt er von seinen Schuldgefühlen, mithin seiner Einsamkeit, die er mit seiner Masturbationssucht zu übertünchen versucht.Und schließlich gibt es noch einen fulminanten Tanz. Als könnte er tatsächlich den Wunsch vieler Figuren erfüllen, ihren eigenen Körper einmal zu verlassen, ermöglicht er einer Pädagogin und einem Religionsstudenten, ein kurzzeitiges Ventil zu finden. Sie wirbeln frei, ohne Ballast, durch den Raum.Regisseur Elmar Goerden setzt bemerkenswerte AkzenteElmar Goerden, der sich viel Zeit lässt, um die filigrane Entwicklung der Figuren darzustellen, setzt mit kurzen Fluchten aus dem Alltag wie diesen bemerkenswerte Akzente. Sie erzeugen Dynamik, wo allzu rasch eine lähmende Tragik triumphieren könnte.Und wo steht man als Zuschauer bei alledem? Wir werden in das Geschehen integriert, weil wir uns letztlich immer unter den gerade nicht spielenden, stets am Rande sitzenden Protagonist:innen befinden. Auf diese Weise schafft das Schauspiel Stuttgart für die Dauer der Aufführung eine Gesellschaft des empathischen Zuhörens. Und was wäre in Zeiten zunehmender Konfrontationen und sich abschottender Echokammern wertvoller?