Wie das Theater auf die Kacke kam: Die besten Performances 2023

Jahresrückblick Von der „Hundekot-Attacke“ auf eine Kritikerin bis zur prall gefüllten Fäkaltrickkiste am Theater Basel: Unsere Kolumnistin Eva Marburg blickt zurück auf das Theaterjahr 2023 und stellt fest, es gab da ziemlich viel Sch****
Ausgabe 50/2023
„Die Hundekot-Attacke“ begeistert Zuschauer:innen im Theaterhaus Jena
„Die Hundekot-Attacke“ begeistert Zuschauer:innen im Theaterhaus Jena

Foto: Joachim Dette

Eva Marburg studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Berlin und New York. Nach Arbeiten als freie Dramaturgin und Autorin am Theater, studierte sie Kulturjournalismus an der UdK in Berlin und ist seit 2018 Fachredakteurin für Theater bei SWR2. Für den Freitag schreibt sie regelmäßig das Theatertagebuch.

Rabimmel, Rabammel, liebe Theaterfreund*innen (oh ja, hier wird jetzt noch gegendert, bis der Weihnachtsmann kommt – oder wenigstens so lange, bis der X-Mas-Grinch Markus Söder uns auch noch das letzte Gendersternchen unter dem Tannenbaum weggeklaut hat). Rabimmel, Rabammel, wollte ich sagen, es ist Zeit für den großen Jahresrückblick in der Rubrik „Beste Performances 2023“!

Alles begann mit einem wunderlichen Kackhaufen, der es sogar bis in die Tagesschau schaffte. Vom Requisit zur Hauptrolle, wer kann das schon von sich behaupten? Zwei Tage vor dem Valentinstag „traktierte“, wie es so schön hieß, der Ballettdirektor und Choreograf Marco Goecke die Tanzkritikerin Wiebke Hüster mit den Exkrementen seines Dackelchens, und zwar während einer Premierenpause am Staatsschauspiel Hannover. Der Grund: Sie hatte zwei negative Kritiken über ihn geschrieben.

Die „Shit-Show“ um das Schauspielhaus Zürich

Wie bitte, was ist los?, fragte sich die internationale Theatergesellschaft und hielt es für das unterhaltsamste Bühnenstück: Wie hat er das geplant? Hat er die Kacke in der Jackentasche gehortet? Trägt er öfter die Kacke seines Dackels mit sich rum? Ist er „kackophil“?, raunte es durch die winterlichen Stuben und Kantinen. Goecke nölte, dass die Kacke seines Dackels medial breitgetreten wurde, und gab zu, dass die „Wahl des Mittels nicht so super gewesen“ sei, in der Sache aber fand er sich im Recht. So war es ihm sicher ein Trost, dass seine „Hundekot-Attacke“ Gegenstand eines gleichnamigen Theaterstücks wurde, das im Herbst im Theaterhaus Jena uraufgeführt wurde.

Vielleicht ist das Entertainmentpotenzial von Kot allgemein unterbewertet. „Scheiße, hier ist Kacke!“, rief schließlich auch die Krankenschwester angesichts des Haufens, den eine Patientin einst vor der Zimmertür von Christoph Schlingensief hinterlassen hatte. Tagelang hatte sie ihn im Krankenhaus finster angestiert, bis sie ihrem rätselhaften Ärger so dann Ausdruck verlieh. Über den poetischen Ausruf „Scheiße, hier ist Kacke!“ musste Schlingensief so lachen, dass er kurz vergessen konnte, dass er gerade wegen Lungenkrebs operiert worden war.

Unter einer ganz ähnlichen Überschrift war dieses Jahr auch eine wahrlich royale Kack-Orgie am Theater Basel zu erleben. In Molière – Der eingebildete Kranke wurde nämlich eine genüsslich zelebrierte Scheiß-, Furz-, und Dünnpfiff-Orgie zum Besten gegeben; wirklich, ich hatte noch nie zuvor im Theater nasse Fürze an die Wand klatschen sehen, ich lachte mich kaputt über die Effekte aus der theatralen Fäkaltrickkiste. Der Schauspieler Jörg Pohl spielte diesen abführmittelsüchtigen Molière so großartig, dass er kürzlich dafür prompt mit einem bedeutenden Theaterpreis, dem Gertrud-Eysoldt-Ring, geehrt wurde!

Eine absolute „shit-show“ hingegen legte die unsägliche Wokeness-Debatte um das Schauspielhaus Zürich hin, die im neokonservativen Kostüm die Leitung des Theaters öffentlich dafür anklagte, dass es sich darum bemüht hatte, das Haus einer diverseren Stadtgesellschaft zu öffnen. Die „Braune Trophäe der Theaterkritik“ geht für mich dieses Jahr deshalb an ein Feuilleton, das sich in großen Teilen nicht gescheut hat, diesem Misthaufen spießbürgerlicher Erregungskultur – „Scheiße, wir kommen nicht mehr vor!“ – zur Bedeutung zu verhelfen.

Hubert Aiwangers und Markus Söders Verwechslungsfarce

Der „Goldene Kackhaufen“ für die mieseste Darstellung geht an die Doppelbesetzung Aiwanger/Söder in der Verwechslungsfarce „Mein antisemitisches Flugbatt oder Der Bruder hat’s getan“ unter der Regie der CSU. Der Publikumspreis für die Darstellerin der Herzen geht jedoch eindeutig an die uns unbekannte haarige Wildsau, der es gelang, uns im Sommerloch von ihrer Identität als Löwin zu überzeugen. Nur wahre Schauspielkunst vermag das Publikum so lebendig zu täuschen.

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