Kaum war der neue Bundespräsident gewählt, nein schon kurz vorher, kam die Frage aller Fragen wieder auf: Wer wäre denn eigentlich der bessere an der Spitze des Staates, Frank-Walter Steinmeier, der geschickt durchgesetzte Kandidat der SPD, oder vielleicht doch Norbert Lammert, der es nicht werden wollte? Der Bundestagspräsident nämlich stach Steinmeier mit seiner Rede bei der Wahl der Bundesversammlung klar aus. Der Sozialdemokrat fragte richtig, was der Kitt ist, der unsere Gesellschaft im Kern zusammenhält – aber er wagte darauf keine Antwort. Dagegen machte Lammert deutlich, was der Kern ist: „unsere Haltung – zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und den Prinzipien der repräsentativen Demokratie“.
Der Bundestagspräsident unterstrich noch einmal, warum ihn Union und Kanzlerin nicht im höchsten Amt haben wollten – er ist einfach zu selbständig und kritisch. Er hat sich, obwohl selbst lange in der Politik, aus den Bindungen, die das mit sich bringt, vollkommen gelöst. Er las dem Bundestag elegant die Leviten, weil der unfähig ist, die Zahl der Abgeordneten zu reduzieren. Er stichelte unnachahmlich gegen Horst Seehofer, indem er den letzten Bayern an der Spitze der Deutschen im 18. Jahrhundert verortete – „bis zu Roman Herzog“. Und er mahnte den US-amerikanischen Präsidenten, ohne seinen Namen zu nennen – und behielt doch die Balance: „Wenn weder der amerikanische noch der russische Staatspräsident ein Interesse an einem starken Europa erkennen lassen, ist dies ein zusätzliches Indiz dafür, dass wir selbst dieses Interesse an einem starken Europa haben müssen.“ Das Echo nach Lammerts und Steinmeiers Auftritten war eindeutig: Alle redeten über die glanzvolle Rede Lammerts – und von Steinmeier blieb im Grunde nur ein einziger Satz übrig: „Lasst uns mutig sein, dann jedenfalls ist mir um die Zukunft nicht bange."
Auch Steinmeier war indes mutig. Er zitierte eine tunesische Aktivistin mit dem Motiv des Muts. Das war für nicht wenige in der rechten und antidemokratischen Echokammer eine Zumutung – ausgerechnet nach dem Anschlag eines Tunesiers eine Frau aus diesem Land in der Bundesversammlung zu würdigen. Aber Steinmeier hat als Bürgerpräsident eine schwere Last abzutragen: als Kanzleramtschef trug er mindestens dazu bei, den Bürger Murat Kurnaz aus Guantanamo nicht nach Hause zu holen. „Diese Freilassungschance wurde ausgeschlagen, die Sicherheitsrunde im Kanzleramt lehnte zur Verwunderung der Amerikaner ab“, sagte Kurnaz Anwalt Bernhard Docke noch eimal zu dem Angebot der Amerikaner, den terrorverdächtigen Bremer Bürger zu befreien.
Trotzdem ist Steinmeier gerade auch ein bisschen Kult, und das gewissermaßen als Feminist und Facebooker. „Liebe Elke, ich will mich ganz herzlich bedanken, dass Du das mitmachst“, formulierte Steinmeier auf Facebook den Dank an seine Frau Elke Büdenbender. „Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich könnte es ohne Dich nicht machen und ich hätte es ohne Dich nicht gemacht.“ Das fanden im Netz manche „eine schnörkellose und top-romantische Alternative zum 'Dank meiner Frau fürs Rücken freihalten'“.
Bei genauerem Hinsehen wurde Steinmeiers „Merci, Schatz!“ wieder etwas wackliger. Tatsächlich wollte Büdenbender, die seit Ende der 1990er Jahre in Berlin als Verwaltungsrichterin arbeitet, ihren Job eigentlich behalten. Dann aber gab es Murren am Gericht, ob sie das wichtigste Gut einer Richterin noch habe: die zweifelsfreie Unabhängigkeit. Also verzichtete Büdenbender auf ihr Amt. Und der Gerade-noch-Außenminister relativierte selbst das Gewicht der Entscheidung seiner Frau. Steinmeier sagte am Rande eines Empfangs, er habe ihr „bisher bei jedem neuen beruflichen Abschnitt versprochen, dass es ruhiger wird. Das hab' ich jetzt auch. Das glaubt sie aber schon lange nicht mehr."
Aber vielleicht ist das private Engagement das, woran man bei Frank-Walter Steinmeier am wenigsten zweifeln muss. Er hat längst bewiesen, dass er eher ein Mann der Taten als der großen Worte ist: 2010 spendete er eine Niere für seine schwer kranke Frau. Das war mutig. Was das aber für das höchste Amt im Staate bedeutet, weiß man nicht: Als Bundespräsident ist Steinmeier kein Macher, sondern ein Redner. Er kann sich also noch beweisen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.