Antrag auf einstweilige Verfügung eingereicht

Herztransplantation Im Fall des Zweijährigen Muhammet Eren Dönmez stehen grundlegende Fragen des Transplantationsgesetzes zur rechtlichen Klärung an

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Pressemitteilung

Heute haben die Eltern von Muhammet Eren Dönmez für Ihren Sohn einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) beim Landgericht Gießen eingereicht. Sie wollen damit erwirken, dass ihr schwerkranker Sohn einen Platz auf der Warteliste für eine Herztransplantation erhält. Einen Wartelisten-Platz hatte ihm das Universitätsklinikum unter Berufung auf „Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation“ verweigert. Diese Haltung war zuletzt von der „Überwachungs- und Prüfungs-Kommission nach §§ 11, 12 Transplantationsgesetz“ bestätigt worden. Nach ihrer Auffassung schließen die Richtlinien die Herztransplantation bei einem Kind mit einem Hirnschaden aus.

Diese Interpretation der Richtlinie ist nach Auffassung der Anwälte der Familie nicht mit dem Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen aus Artikel 3 Absatz 3 Satz Grundgesetz zu vereinbaren. Sie verstößt auch gegen Artikel 25 der UN-Behindertenrechtkonvention, die eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderungen in Deutschland verlangt. Deswegen muss die Richtlinie, die keinen Gesetzescharakter hat, so ausgelegt werden, dass sie mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

„Wer auf die Warteliste kommt, hat Chancen weiterzuleben, wer nicht muss meistens sterben“ heben Ramazan Akbas und Dr. Oliver Tolmein, die Anwälte der Familie, hervor. Deswegen müssen ihrer Meinung nach angesichts der gegenwärtigen Rechtslage alle Patienten, bei denen eine Transplantation überhaupt medizinisch notwendig und nicht aussichtslos ist, das Recht haben auf die Warteliste zu kommen – und zwar unabhängig davon, wie sich der Nutzen, den sie aus der Zuteilung eines Organs ziehen könnten, im Verhältnis zu dem Nutzen anderer Menschen darstellt, die ein Organ benötigen.

Die Organknappheit könne nicht auf Kosten von Menschen mit Behinderungen dadurch abgemildert werden, dass ihnen keine oder nur geringe Chancen gegeben werden. „Insofern hat die Auseinandersetzung um den Wartelistenplatz für Muhammet Bedeutung über den Einzelfall hinaus“ hebt Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein hervor, der im Bundestag als Sachverständiger vor der Reform des Transplantationsgesetzes 2012 gehört worden war. „Es geht um die Frage, ob der Gesetzgeber die Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien Organe verteilt, also Lebenschancen in unserem Gesundheitswesen vergeben werden, einfach an die Bundesärztekammer abgeben darf.“

Rechtsanwalt Ramazan Akbas weist darauf hin, dass sich am Fall seines Mandanten zeige, „wie schwach ausgestaltet die Stellung der Patienten, die Organe benötigen, gegen die Transplantationszentren ist.“ Im Transplantationsgesetz müsste ein klar ausgestalteter Rechtsschutz für Patienten geregelt werden. Klare Aussagen, welche Rechte Patienten haben, die Organe benötigen, würden auch allen Beteiligten helfen, auftretende Konflikte besser lösen zu können.

Die Anwälte der Familie heben hervor, dass jetzt die Gerichte am Zug seien: „Wir verbinden damit die Hoffnung auf eine sachliche und unabhängige Klärung dieser schwierigen Fragen.“

Hamburg, Berlin, Gießen, Wiesloch, den 7.9.2014

Hinweis für Journalisten:

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei Menschen und Rechte, 040.600094700, kanzlei@menschenundrechte.de

Oder wenden Sie sich an Rechtsanwalt Ramazan Akbas, Rechtsanwaltskanzlei Akbas & Kollegen, Lempenseite 58, 69168 Wiesloch, Telefon: 06222.387185, Telefax: 06222.387241, info.wiesloch@kanzlei-akbas.de

Über den Fall wurde in der deutschen Presse zuerst am 2. August in der SZ S. 16 berichtet, taggleich wiedergegeben auf freitag.de - Lokale Medien veröffentlichten am selben Tag eine erste PM des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM) zu medinischen Aspekten und wenig später eine zweite PM zu den Behandlungskosten. Erste Berichte der Lokal- und Regionalpresse sind dort in der Diskussion aufgeführt.

Am 13. August sendete RTL NRW seinen ersten Bericht zum Fall [hier stand urpsprünglich: " ... in dem der Vorsitzende der Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, Prof. Birnbacher, die Entschdeidung ehtisch damit begründet, dass man mit dem knappen Gut eines Spenderorgans mehr oder weniger Gutes tun könne, je nachdem, wem man es gebe." Dies Statement gab Prof. Birnbacher jedoch dem WDR, Genaueres hier am Ende der Info-Box]

Die zweite Welle der Berichterstattung begann tagsdarauf am 14. August mit einer "Seite 3" der SZ und einer kürzeren online Fassung - taggleich gespiegelt auf freitag.de - mit Statements der Bundestagsfraktionen Grüne und Linke zum Fall und dem politischen Handlungsbedarf einer Überprüfung des Transpalnationsgesetzes (TPG) und den darauf aufbauenden Richtlinien der Bundesärztekammer unter dem Gesichtspunkt Diskriminierungsfreiheit und Behinderung.

Am Tag darauf veröffentlichte das UKGM eine dritte PM zur angeblich gefährdeten Sicherheitslage im Klinikum (bislang aus keiner unabhängigen Quelle bestätigt), in der es seine Entscheidung gegen eine Transplantation des Jungen mit den jüngsten ärztlichen Stellungnahmen der externen Gutachter Prof. Wilken (Kinderneurologie, Kassel) und - darauf aufbauend - Prof. Reichenspurner (Herzchirurgie, Hamburg) begründet, was tagleich zusammen mit dem SZ-Bericht vom Vortag von den Agenturen dpa und afp verbreitet und deutschlandweit von vielen Medien aufgegriffen wurde.

In der RP bezweifelte daraufhin der international renommierte Hirnforscher Niels Birbaumer (Tübingen) die dabei öffentlich gewordene Diagnose oder Prognose einer "schweren irreversiblen Hirnschädigung", die das UKGM unter Berufung auf Prof. Reichensprurner als eindeutige "Kontraindiaktion" gegen eine Transplantation angeführt hatte.

Am 18. August veröffentlichte die Behindertenorganisation Zentrum selbstbestimmtes Leben (ZsL) Gießen eine erste PM zum Fall "Diskriminierung bei Transplantationen muss gestoppt werden!" in der sich das ZsL gegen Prof. Reichenspurner auf die UN Behindertenrechtskonvention und Artikel 3 GG beruft.

Am 1. September berichtete dpa erneut über den Fall, diesmal unter Wiedergabe der Mitte August von der SZ veröffentlichten Politikerstatements, wiedergegeben in vielen Zeitungen und Portalen.

Am 4. September reagierte das UKGM mit einer vierten PM, in der die Öffentlichkeit darüber informiert wird, dass am 22. August drei Ärzte der Überwachungs- und Prüfungskommission der Bundesärztekammer den Jungen selbst untersucht hätten und keine Verstöße gegen die Transplantationsrichtlinien festgestellt hätten. In Verbindung mit dieser neuen Information fordert das UKGM die Eltern und den Patienten zum Verlassen des Klinikums und der Republik auf.

Taggleich reagierten darauf die neuen Anwälte des Patienten mit einer ersten PM sowie das ZsL Gießen mit einer zweiten PM, in der beide dem hefitg widersprachen, in der sie je eigene Zweifel an der medizinischen und rechtlichen Begründetheit dieser Auskünfte geltend machen.

Die vierte PM des UKGM und die beiden Gegenstatements wurden bislang nur am 5. September in der Gießener Lokalpresse wiedergegeben.

(Nachtrag:) Als Termin für die mündliche Verhandlung hat das Landgericht Gießen Freitag, 12. September 2014, 10:00 Uhr, bestimmt, Raum 107, Adresse: Ostanlage 15, 35390 Gießen (Az: 3 O 290/14)

Das Urteil wurde am 24.10.2014 verkündet und hier auf freitag.de diskutiert.

Berichtigung: Der Beitrag, in dem sich Prof. Birnbacher zur Entscheidung äußerte, wurde am 27.08.2104 vom WDR in der Sendung Atuelle Stunde ausgestrahlt. Dort hieß es wörtlich:

"Dieter Birnbacher ist Philosoph mit Schwerpunkt Ethik. Der Düsseldorfer sitzt der zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer vor. Er verteidigt den Punkt 'Erfolgsaussichten': 'Dieses Kriterium halte ich persönlich für berechtigt. Angesichts der Knappheit sollte man die Ressourcen, über die man verfügt, möglichst so verteilen, dass sie möglichst viel Gutes stiften. Und das ist eine Regel, die unfair erscheint, weil die Schlechtestgestellten, denen es ohnehin schon am schlechtesten geht, dadurch zusätzlich benachteiligt werden.'"

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden