Fotografin Jen Osborne über die Waldbrände: „Als wäre ich lebendig in der Hölle gelandet“
Interview In Kanada ist bereits jetzt so viel Fläche verbrannt wie in keinem Jahr zuvor und die Waldbrandsaison dauert an. Die kanadische Fotografin Jen Osborne weiß, wie es sich anfühlt, einer 100 Meter hohen Feuerwand gegenüberzustehen
In der Nähe des Orts Forest Hill in Kalifornien fotografierte Jen Osborne während der „Mosquito-Feuer“ im September 2022. Das Pink der feuerhemmenden Mittel aus den Löschflugzeugen vermischt sich mit dem Rauch des Brandherds, der die Ortschaft bedrohte
Foto: Jen Osborne
Die nackte Zahl ist schwer zu fassen. Acht Millionen Hektar sind in diesem Jahr in Kanada bereits verbrannt, das entspricht in etwa der Fläche von Österreich. Inzwischen steht fest, dass es die zerstörerischsten Waldbrände seit Beginn ihrer Aufzeichnung sind. Die kanadische Fotografin Jen Osborne ist auf Vancouver Island aufgewachsen und lebt seit 2018 wieder in ihrer Heimat. Sie versucht, mit der Kamera zu erfassen, was vor sich geht.
der Freitag: Jen Osborne, während wir in Nordeuropa über die kommende Klimakatastrophe reden, scheint Kanada schon mittendrin zu sein. Als ich Ihre Fotos das erste Mal sah, musste ich an Leonard Cohen denken: „I’ve seen the future, it is murder.“
Jen Osborne: Ich denke an Shakespeare: „Hell is empty, and al
Jen Osborne: Ich denke an Shakespeare: „Hell is empty, and all the devils are here.“ Wenn man vor einer Feuerwand steht, die aus bis zu 100 Meter hohen Flammen besteht, fühlt es sich so an, als sei man buchstäblich bei lebendigem Leib in der Hölle gelandet. Es ist so ziemlich das Grauenhafteste, was ich je gesehen habe. Beim ersten Mal habe ich diese Flammen später vor meinem geistigen Auge gesehen. Jedes Mal, wenn ich mir im Bad das Gesicht wusch, sah ich Flammen. Die Feuerwehrleute erklärten mir, es läge daran, dass mein Gehirn versucht, zu verarbeiten, was ich gesehen hatte. Mein Gehirn wusste nicht, was es damit anfangen sollte.Wie schützen Sie sich praktisch in solchen Situationen?Ich halte Abstand, achte darauf, dass herabstürzende Bäume mir nicht den Weg abschneiden können und gehe den Einsatzkräften aus dem Weg, damit ich nicht hinter einem Feuerwehrauto festsitze. Ich trage eine Menge Schutzausrüstung. Nomex, ein teures feuerhemmendes Material, spezielle Feuerstiefel, Lederhandschuhe, eine Schutzbrille, Helm, Maske. Die abstrahlende Hitze ist enorm, selbst in 30 Metern Entfernung. Einmal hatte ich eine Wasserflasche aus Metall außen an meinen Nomexanzug geschnallt. Als ich die Handschuhe abnahm, um daraus zu trinken, habe ich mir die Hand an der Flasche verbrannt.Placeholder image-1Sie haben auf Instagram kritisiert, dass die kanadische Regierung Journalisten den Zugang zu den Brandzonen verweigert.Wenn ich als Pressefotografin in eine Brandzone will, muss ich mich hineinschleichen, was wirklich gefährlich ist, denn das geht nur zu Fuß. Oder man hat Glück und ist da, bevor die Polizei die Straße absperrt. Im Mai war ich für die New York Times in Alberta und bin nach Swann Hill gefahren, um zu fotografieren. Die Stadt war komplett evakuiert worden, überall war Rauch, es sah wirklich dramatisch aus. Die Polizei hatte ein paar Kilometer vor der Stadt eine Straßensperre errichtet. Ich sagte ihnen, ich sei Pressefotografin, und sie erklärten, ich müsse den Bürgermeister um eine Genehmigung bitten. Sie brachten mich in eine unheimliche Halle der Bundespolizei, wo der Bürgermeister und seine Helfer Notfallmanagement betrieben. Die schickten mich weg und sagten, von der Stadt werden keine Bilder veröffentlicht. Mich hat das schockiert, sie halten die Situation vor der Öffentlichkeit geheim. Jedes Mal, wenn ich mit Feuerwehrleuten spreche, sagen sie, die Regierungsbehörden hätten sie angewiesen, nicht mit der Presse zusammenzuarbeiten. Das ist beunruhigend. Die Polizei hat mich in Swann Hill dann gezwungen zu gehen. Sie hätten mich verhaftet, wenn ich mich geweigert hätte.Bei meinen Recherchen fiel mir auf, dass auch in großen Medien unter den Fotos oft anstelle des Namens einer Fotografin oder eines Fotografen „Handout“ steht. Was hat es damit auf sich?Die Regierungsbehörden geben den Medien Bilder, weil sie neutralen Journalisten den Zugang zu den Brandzonen verweigern, und das ist in zweierlei Hinsicht problematisch. A, verletzt es die Pressefreiheit und ich ärgere mich darüber, dass Nachrichtenagenturen diese „Regierungshilfe“ annehmen. Sie sollten das nicht tun. Ihr mangelndes Rückgrat ist enttäuschend. B, zerstört es das Vertrauen der Öffentlichkeit. Hier in Nordamerika haben wir ein großes Problem mit der Anti-Regierungsbewegung. Diese Leute misstrauen allem, was von der Regierung finanziert wird. Ich höre so viele Desinformationen. Vor allem in Alberta, einer Provinz, die fossile Brennstoffe produziert und gleichzeitig die Mittel für die Brandbekämpfung gekürzt hat. In Fox Creek traf ich zwei Leute an einer Straßensperre, die sagten, die Brände seien gelegt worden, aus Protest gegen die Brennstoffindustrie. Viele glauben, Ökoterroristen seien schuld. Manche sind überzeugt, dass es die Feuer nicht gibt oder dass die Regierung Chemikalien versprüht. Wenn also die Regierung den Nachrichtenagenturen Bilder zur Verfügung stellt, hält ein Teil der Bevölkerung diese für Fälschungen. Das klingt lächerlich und diese Leute sind paranoid. Aber sie sind laut und verbreiten sehr engagiert Falschinformationen über den Journalismus und die Waldbrände.Was fehlt Ihnen, wenn Sie sich diese Bilder ansehen?Sie sind nicht neutral. Sie zeigen Feuerwehrleute bei der Arbeit oder was sie vor Ort Gutes leisten. Außerdem zeigen die Fotos das Feuer so, wie die Regierungsbehörden es sehen wollen. Die Rolle der Journalistin besteht aber auch darin, die Behörden zur Rechenschaft zu ziehen. Die Öffentlichkeit sollte sich Gedanken darüber machen, ob die Brände bestmöglich gemanagt werden oder nicht. In Alberta habe ich Landwirte gesehen, die ihre Lastwagen mit Flusswasser befüllt und ihre Grundstücke damit besprüht haben, weil nicht genug Einsatzkräfte vor Ort waren. Wir müssen dort sein. Wenn die Behörden uns den Zugang zu den Brandzonen verweigern, vernichten sie Geschichte. In Australien sind 2020 Abermillionen Dollar bereitgestellt und gespendet worden, weil es starke Bilder gab und die ganze Welt sehen konnte, wie diese Feuer aussahen. In Kanada herrscht ein totaler Blackout, keiner weiß, wie die Brände aussehen.Der Rauch enthält krebserregende PM-2,5-Partikel, sie gelangen in die Lungen. Die Menschen müssen sich darauf einstellen, denn es wird immer mehr dieser Feuer geben. Es ist nicht Aufgabe von Journalisten, den Menschen zu sagen, was sie denken sollen. Die Aufgabe des Journalismus ist es, den Menschen zu sagen, worüber sie nachdenken sollen.Placeholder image-2Ich habe gelesen, dass Sie demnächst nach Los Angeles ziehen.Ich warte im Moment auf mein O-1-Visum für Künstler. Drei Jahre kann ich damit in die USA. Die Sommer über will ich in die Nähe der Brandzentren ziehen, nach Sacramento oder Chico. Ich will mehr Erfahrung darin bekommen, wie man Feuer fotografiert. Die bekommt man in Kanada nicht. Ich möchte sicher sein können, dass ich nach einer siebenstündigen Autofahrt in ein Brandgebiet reinkomme. In Kalifornien müssen sie mich qua Gesetz reinlassen.Macht es süchtig, Feuer zu fotografieren?Jemand hat mich neulich tatsächlich gewarnt und von einem Freund erzählt, der Tatorte fotografiert und süchtig danach geworden sein soll. Das sehe ich nicht kommen. Waldbrände zu fotografieren ist schwierig und alles andere als komfortabel. Es kommt vor, dass ich drei Nächte lang in meinem Auto schlafe, weil alle Hotels und Airbnbs im Umkreis der Brandzone geschlossen werden. Ich verbrauche eine Menge Treibstoff, weil es zu riskant wäre, in entlegene Gebiete mit einem Elektroauto zu fahren, das macht mir ein schlechtes Gewissen. Es ist harte Arbeit und sehr teuer.