Wer hat Macht in der Kunstwelt?

Rankings Kunstmagazine küren jedes Jahr die wichtigsten Figuren der Branche. Dieses Jahr gehört indirekt die Pandemie dazu
Ausgabe 48/2020
„Eternity and Brevity“ von Pang Maokun, ein Kunstwerk über den Kampf gegen das Coronavirus im Nationalmuseum von China, Peking
„Eternity and Brevity“ von Pang Maokun, ein Kunstwerk über den Kampf gegen das Coronavirus im Nationalmuseum von China, Peking

Foto: STR/AFP/Getty Images

Jedes Jahr im November wird die Machtfrage gestellt. Dann veröffentlicht die Kunstzeitschrift Art Review ihre Power-100-Liste der einflussreichsten Personen der Kunstwelt. Bald 20 Jahre gibt es diese Liste, die ein anonymes Gremium erstellt, was oft kritisiert wird, weil die Liste selbst mächtig ist, wenn es darum geht, wer im Kunstbetrieb hot oder not ist. Das deutsche Kunstmagazin Monopol erstellt seit ein paar Jahren ein Ranking nach dem gleichen Prinzip, was ein wenig einfallslos ist, als gäbe es keine anderen Kriterien. Als in Berlin noch Partys stattfanden, gab es eine Reihe, die hieß „Die 100 schönsten DJs der Stadt“ und war irre beliebt. Natürlich wurden sie nicht nach ihrem Aussehen ausgewählt, was zählte, war die Behauptung.

In der Dezember-Ausgabe von Monopol, die schon erschienen ist – die Kunstwelt bleibt avant la lettre –, wird aufgelistet und ausgeführt, wer 2020 den größten Einfluss hatte. Auf Platz 1 steht Black Lives Matter, was damit begründet wird, dass die Bewegung die Personal- und Ausstellungspolitik der Museen verändert hat. Die Verschiebung einer Ausstellung wird angeführt, die Arbeit der ersten Schwarzen Kuratorin am New Yorker MoMA und die Demission der Direktorin im Zuge von Rassismusvorwürfen. Außerdem die Verschärfung der Debatte, die nicht nur in den USA über Denkmäler für Sklavenhändler und andere Profiteure des Kolonialismus geführt wird, sowie in Deutschland: Soloausstellungen Schwarzer Künstler an großen Museen, die vor einigen Jahren allenfalls Kunstvereine ausgerichtet hätten. Eine ähnliche Entscheidung traf Art Review 2018, als die Zeitschrift #metoo auf Platz 3 ihrer Liste wählte.

Das Konzept der einflussreichsten Person oder auch Persönlichkeit, wie die Formulierung bei Monopol lautet, wird hier sehr weit gefasst. Aber ist das zeitgemäß oder Augenwischerei? Anders gefragt: Liegt die Macht jetzt nicht mehr bei denen, die jahrelang die Listen angeführt haben, bei den Großgaleristen, Mäzenen und Großeinkäuferinnen? Bei den Industriellen, die sich ihre eigenen Denkmäler mit Museen setzen, die ihren Namen tragen?

Über Larry Gagosian (Platz 27) stand bei Art Review 2019 zum Beispiel: „Business as usual für Larry Gagosian: Mit seinen 17 Galerien weltweit setzt er etwa eine Milliarde Dollar im Jahr um (die genaue Zahl verschweigt er) …“ Oder über David Zwirner (Platz 5): „Ein Jahr nachdem die Art Basel seinen Vorschlag aufgriff, dass die großen Galerien die kleineren unterstützen sollten, brach Zwirner alle Rekorde der Messe mit dem Verkauf eines Gerhard Richter für 20 Millionen Dollar.“ Das Interessante an diesen Listen schien ja immer zu sein, dass sie einmal im Jahr den Betrieb durchleuchteten. Anders als die Best-of-Listen der Theater- und Musikzeitschriften, in denen es ausschließlich um Werke, Künstler und die Demonstration des eigenen erlesen Geschmacks geht. Dem näherten sich die Kunstwelt-Rankings in den vergangenen Jahren schon an, wenn zum Beispiel die Künstlerin und Theoretikerin Hito Steyerl immer weiter in den Listen nach oben rückte.

Konsequent wäre es gewesen, die Corona-Pandemie zum mächtigsten Player zu erklären. Indirekt steht sie im Monopol-Ranking auf Platz 10: Die öffentliche Hand ist dort gelistet, weil sie sich „als eines der wirkungsvollsten und krisenresistentesten Fördersysteme der Welt erwiesen hat“. Das klingt, als habe man sich lieber für die gute Nachricht entschieden.

Christine Käppeler schreibt hier fortan alle vier Wochen über Kunst. Kommende Ausgabe folgt das Podcasttagebuch

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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