Gar nicht feig und faul!

Kindheitsforschung Entwicklungsbegleitung, Resilienzförderung und Bildungsarbeit. Solche Ideen finden sich schon bei den Denkern der Aufklärung: die Ermutigung zur Mündigkeit

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So nicht
So nicht

Foto: Hulton Archive/Getty Images

In der Zeit der Früh- und Gegenaufklärung, in den Jahren 1680 bis 1790, rücken durch die Beförderung der Vernunft vermehrt menschliche Werte in den Mittelpunkt der Weltdeutungen: Die Hoffnung auf eine positive Zukunft, das Recht auf Glück für jedermann und die Ehrfurcht vor der Schöpfung regen ein neues Treiben an, das auch im erzieherischen Bereich neue Früchte hervorbringt.

"Man wird sich vielleicht darüber wundern, dass ich vom vernünftigen Gespräch mit Kindern rede!"

So erläutert der Aufklärer John Locke (1632-1704) schon vor dreihundert Jahren in seinen Gedanken über Erziehung (1693), dass das Kind sich stets so entwickeln sollte, dass es „bei allen Anlässen geneigt ist, nur dem zuzustimmen, was der Würde und dem hohen Range eines vernunftbegabten Wesens angemessen ist“ (§31). Die Erziehung zur Mündigkeit sieht Locke als pädagogische Aufgabe an, die nur vor einer Orientierung an der Würde eines Menschen vollzogen werden kann und so die Würde des Einzelnen erhält. Wer also Menschen zur Unmündigkeit erzieht, verletzt die Würde dieser Menschen, weil er ihre Selbstbestimmung untergräbt und sie zum Objekt staatlichen Handelns macht. Außerdem legte Locke die Vernunft als Mittel zur Erreichung dieses Ziels fest und hält dankenswerterweise fest, dass „der gewöhnlich bequeme und kurze Weg durch Züchtigung und Rute […] für die Zwecke der Erziehung der ungeeignetste ist.“ (§47). Bemerkenswert fortschrittliche Gedanken, die sich da vor dem Hintergrund eines im siebzehnten Jahrhundert üblichen ambivalenten Erziehungsstils ausbilden und so zu einem Wandel der Eltern-Kind-Beziehung beitragen: Eltern und Erzieher sehen die Kinder nun nicht mehr als reine Projektionsflächen ihrer unbewussten Spannungen an, sondern haben nunmehr die Aufgabe, aktiv auf das Kind einzuwirken, indem es körperlich und geistig geformt wird. Daher werden Kinder wieder von der Mutter gestillt und früh zur Reinlichkeit erzogen. Üblich ist zudem, sie zum Beten zu zwingen, anstatt das Freispiel mit Gleichaltrigen zu fördern. Masturbation wird hart bestraft. Dafür drängt die Reglementierung der Zöglinge durch Erzeugung von Schuldgefühlen zunehmend die Prügelstrafe mittels Peitsche in den Hintergrund. Zeitgleich gewinnt die Bildung an Bedeutung, so erläutert Locke sehr genau, wie mit der Neugier der Kinder umgegangen werden muss: „Neugier bei Kindern ist nichts als Wissensdrang; sie sollte daher ermutigt werden, nicht nur als gutes Zeichen, sondern als das große Werkzeug, das die Natur bereitstellt, um die Unwissenheit zu beseitigen.“ (§118).

"Die Natur will, dass die Kinder Kinder seien, ehe sie Erwachsene werden!"

Fast hundert Jahre später ist auch Jean Jaques Rousseau (1712- 1778) mit seinen frühen reformpädagogischen Schriften seiner Zeit voraus, so betont er in Emilie oder Über die Erziehung (1762), dass Menschen zu autonomen Bürgern erzogen werden müssen, indem man das Lernen als Selbstverwirklichungsprozess betrachtet. Er greift damit der Erziehungsform des neunzehnten Jahrhunderts vor, in der ein Sozialisationsgedanke im Mittelpunkt der Erziehungsbemühungen steht: Nicht mehr die blinde Unterwerfung des Willens leitet die Erziehung des Zöglings, sondern die Anpassung an die Umwelt durch Bildung und der Aufbau einer Beziehung zum Kind war nun das Ziel guter Erziehung. Einhergehend erfolgt eine Abkehr von der Einwirkpädagogik, hin zu einer an der Natur orientierten Betrachtung von kindlicher Entwicklung. Die Kindheit wird erstmals klar vom Erwachsenenalter abgegrenzt, zudem ist das Kind nun nicht mehr der "kleine Erwachsene", sondern ein schützenswertes Individuum.

"Mit dem Dressieren ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, dass Kinder denken lernen!"

Auch Immanuel Kant (1724-1804) beschäftigt sich im Zuge der Reflexion der Aufklärung mit dem Phänomen der Unmündigkeit und kommt in Was ist Aufklärung? (1784) zu dem Schluss, dass „es für den Menschen schwer ist, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen, und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ“ (Kap.1). Kant geht davon aus, dass jeder Mensch den Mut aufbringen sollte, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Mit seinem Leitspruch „Sapere Aude!“ legt er somit den Grundstein für die Ausformung des klassischen Bildungsideals der Mündigkeit und formt zugleich die Aufgabe der Pädagogen neu aus: Stiftet die Kinder zum Denken an! Eltern und Erzieher sollen, so Kant, ihre Kinder daher nicht nur dazu erziehen, dass sie in die Welt hineinpassen, vielmehr sollten sie ihre Kinder zum Denken erziehen, damit die Welt eines Tages besser wird.

Um seine Gedanken fruchtbar zu machen, fordert Kant das Einfachste und Unschädlichste ein, was nach der Unterwerfung unter die notwendigen und vom Menschen kreierten Gesetze nötig ist, um sich sich noch frei zu fühlen. Das, was von der Freiheit überhaupt gefordert werden kann und auch im postfaktischen Zeitalter an Relevanz nicht verloren hat: Freiheit für den Einzelnen, damit er in der Öffentlichkeit unbeschadet von der Vernunft gebrauch machen kann!

Kant, I. (1784). Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Berlinische Monatsschrift, S. 481-494.

Locke, J. ([1692] 2007). Gedanken über Erziehung. Stuttgart: Reclam.

Rousseau, J. ([1762] 1997). Emile Oder von der Erziehung. (S. Schmitz, Hrsg.) Düsseldorf: Artemis und Winkler Verlag.

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