Abgehört: Das andere Amerika

NPRs Tiny Desk Radio Bob Boilen ist der Hausmeister des kleinen, aber feinen digitalen Radioapparats, genannt Tiny Desk. Hier spielen die anderen Staaten, das weite Land, ernst und heiter.

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Abgehört: Das andere Amerika

Foto: Keystone, Hulton Archive/ AFP/ Getty Images

Abgehört: Das andere Amerika

Eine Hommage an das öffentliche Radio im Land der Tapferen und Freien

Was Macht und Politik, Politik und Macht, derzeit täglich ein wenig mehr verspielen, das gewinnen die musikalischen Vereinigten Staaten, immer noch und immer wieder, mit Leichtigkeit. Einer der dafür sorgt, dass diese unendlichen Quellen niemals versiegen und die ganze Welt eine Ahnung von Woody Guthries Land, auf der Suche nach seinen besseren Engeln erhält, ist Bob Boilen am Tiny Desk im Programm von NPR.

NPR steht als Akronym für National Public Radio. Gegen alle Widerstände hält sich hier hartnäckig eine Kultur der Offenheit, der Heiterkeit und des Ernstes, die die Weite und Großzügigkeit des Landes und den Anspruch auf Akzeptanz der Gegensätze musikalisch zu den Hörern und mittlerweile auch zu den Sehern bringt.

Wie immer ist meine subjektive Auswahl eine Angelegenheit für die schwüle, die unruhige, die schlaflose Sommernacht, in der die Ohren mehr hören und die Augen mehr ahnen. Die Fantasie lässt die Feldraine würzig duften, die Städte rauschen und klingen und die musikalischen Sprachen Amerikas und seiner Gäste ziehen zu einem Weltkonzert durch den Äther. - Dabei ist heute alles digital und in Millisekunden rasen die Signale von Server zu Server durch Kabel um den Globus.

Ob die NSA, zur Erbauung und moralischen Stärkung auch diese NPR-Gigabites mitschneidet, für einen Meisterkurs in ethisch-moralischer Spionage?

Macklemore- Gott ist auch ein schwuler Hip-Hopper

Ich starte also meinen kleinen Lauschangriff auf das Empire mit einem Minikonzert Macklemores und Ryan Lewis´. - Herzzereißende Kontrabande, so wie es Bob Boilen beschreibt, „tears and laughers“ in 15 Minuten und eine klare Botschaft: „Same love“ geformt aus Hip hop und Rap, von einem Künstler, der nicht nur viele eigene Probleme, mit der Sucht und seiner angreifbaren Persönlichkeit bewältigen musste, sondern musikalisch eigene Wege ging, obwohl ihm Musik nicht an der Wiege gespielt wurde.

>>...When I was at church they taught me something else
If you preach hate at the service those words aren't anointed
That holy water that you soak in has been poisoned
When everyone else is more comfortable remaining voiceless
Rather than fighting for humans that have had their rights stolen
I might not be the same, but that's not important
No freedom till we're equal, damn right I support it....<<

(...Wenn du im Gottesdienst Hass predigst, sind diese Worte nicht auserwählt (gesalbt, heilig)/ Das Weihwasser das du aufnimmst, es wurde vergiftet...)

Heute ist der Junge aus Seattle ein Weltstar und der zweite Titel des Kurzkonzerts im Sender, „Thrift Shop“ („Billigheimer“) ein Welthit.

Macklemore glaubt an Gott in der Welt und das merkt man der musikalischen Energie an mit der er (fast) jeden Menschen bewegen kann, gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Große Kunst und Hochscholastik à la Duns Skotus, dem ersten Denker der Philosophie und Theologie, der Gott völlig aus der Liebe erklärte, Lehrer zur heiligen Musikstadt Köln.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=JrEJmvuKSwo

Maya Beiser – selbstantwortende Cello-Loops

Die israelisch-amerikanische Cellistin Maya Beiser, der nächste Gast bei Bob Boilen, spielt virtuos Cello mit Pedalen zur elektronischen Verzerrung und einem Soundsampler, der die Loops (Tonaufnahme-Schleifen, die wieder eingespielt werden) speichert und das Stimmvolumen des Soloinstrumentes vervielfältigt, so, wie man das aus der Pop- und Rockmusik kennt. Das erste Stück, Osvaldo Golijovs „Mariel“, zeigt trotzdem die Nuancen des Streichinstruments, die es der menschlichen Stimme so ähnlich machen.

Der jüdisch-argentinische Komponist arbeitete unter anderem lange mit dem Kronos Quartett zusammen. Neben seiner Vorliebe für Kammermusik, schrieb er eine Markus-Passion zum 250. Todestag Johann Sebastian Bachs (2000), mit der er international für Fuore sorgte. Hörenswert! Bekannt sind seine Filmmusiken für Coppolas „Youth Without Youth“ und „Tetro“, sowie Alejandro Gonzalez Iñarritus „ Darkness 9'11' “

Heute schreiben klassische Komponisten wieder sehr häufig für Solokünstler, so wie das bis ins späte 19. Jahrhundert recht üblich war. Nicht anders verhält es sich mit dem zweiten Stück des Konzerts am kleinen Schreibtisch. Maya Beiser spielt einen Ausschnitt aus Michael Harrisons „Just Ancient Loops“.

http://www.npr.org/event/music/193895301/maya-beiser-tiny-desk-concert

Was ist der Vorteil der „richtigen“ oder „reinen“ Stimmung, dieser alten, aus dem ptolemäischen Griechenland und aus China stammenden Form, gegenüber unserer heutigen, „gleichförmigen“, „gleichmäßigen“ Stimmung, bei der die Abstände zwischen den Tonschritten immer gleich bleiben, so wie wir es vom Klavier her gewohnt sind? Die richtige oder reine Stimmung beruht auf Verhältnissen, Brüchen, zum Grundton, d.h. die Abstände der Tonschritte bleiben nicht gleich.

Nun, die menschliche Singstimme kommt, ohne große Schwierigkeiten, in jede nur mögliche tonale Stimmung, sie kann „daneben“ liegen und gerade das macht ihren Reichtum aus. Für die meisten Instrumente erleichtert die moderne Stimmung das Komponieren und die Kombination verschiedener Instrumente in einem Ensemble. Aber die richtige oder reine Stimmung ermöglicht es z.B., Dissonanzen als passive und trotzdem stimmungsvolle, meditative Elemente einzusetzen. Genau das, kann man bei „Just Ancient Loops“ gut heraushören. Ein anderer Vorteil ist die größere Variabilität bei den überhaupt verfügbaren Stimmungen.

The National- Geschichtenerzähler der Rockmusik

http://www.npr.org/event/music/190382702/the-national-tiny-desk-concert

Zur Einweihung des neuen NPR -Tiny Desk Studios kam eine Band, die heute mit vollem Recht als ein American Icon der Rockballaden gelten kann: „The National“. Der Bandname hat wenig bis nichts mit Nationalismus zu tun. Eher schon mit dem Anspruch, überall im Land auch gehört zu werden und neben der Musik eine Botschaft ins Land zu tragen.

Bariton Matt Berninger singt mit unverwechselbarer Stimme die melancholisch- dunklen Songs. Aber nicht nur das Songwriting dieser Band überzeugt auf ganzer Linie, sondern ebenso ihre schönen, dabei aber sparsamen Arrangements.

The National ist für ihr soziales und politisches Engagement bekannt und unterstützte die beiden Wahlen Barack Obamas. Bei Bob Boilen stellen sie vier Stücke (This Is The Last Time, I Need My Girl, Pink Rabbits, Sea of Love) aus ihrem sechsten Album „Trouble Will Find Me“ (2013) vor. Während der Einspielung des Materials wurde die Band zweimal von durchziehenden Wirbelstürmen überrascht und einige Bandmitglieder mussten sich um ihre Familien Sorgen machen. Vielleicht erklärt sich so der Titel?

Am Ende dieses Minikonzerts spricht Bob Boilen aus dem Off: „Everything is better in the new building.“ Bob Boilen, seiner Redaktion und dem NPR, wünsche ich alles Gute und lange, lange Ausdauer.

Wer noch nicht genug hat, der gehen bei NPR spazieren und entdecke, was es dort zu hören gibt.

Christoph Leusch

Zugabe:

Menahan Street Band und Charles Bradley

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=yBdTVmSVq14

Als Zugabe, eine Aufnahme der Menahan Street Band mit Charles Bradley.

Blues, Soul, Funk und Bluesrock kann derzeit wohl kaum besser gespielt werden, als von dieser Formation aus Brooklyn/New York, die, passend zur Nachdenklichkeit über die Vereinigten Staaten, den Altmeister des Blues und Soul begleiten. Der Songtitel „Why is it so hard to make it in America?“, erklärt fast schon alles. Warum ist es im Land der Milch- und Honigflüsse so schwer ein gutes Leben zu haben? Nichts scheint sich geändert zu haben, fragen die Musiker.

KEXP ist ein von Seattle (Bundestaat Washington, Westküste) ausgestrahltes, öffentliches Radioprogramm, spezialisiert auf Rock. Wer in den Weiten von NPR nicht fündig wird, der bekommt hier Anregungen, was hörenswert ist. Die Sendelizenz gehört der staatlichen Universität Washingtons, die, gemeinsam mit dem NPR, den Sender unterstützt. Beiden Sendeanstalten, KEXP und NPR, arbeiten bei Produktionen zusammen.

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