Geblütsfragen II

Diskriminierung&Hassreden Wirksame Diskriminierung braucht Hassredner. Kollektive Diskriminierung muss Spaß machen und Lust befriedigen. Otto Weiningers einsame Angstlust, endete im keuschen Tod.

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Geblütsfragen, Teil II (zum Teil I)

>>Es gibt etwas,

das ist in Rom und tötet in Syrien

es ist in Syrien und tötet in Rom

Was ist das?

Die Zunge<<

(Vajjikra Rabba Kap. 26 und Debarim Rabba Kap.5, aus Georg Nádor, Jüdische Rätsel aus Talmud und Midrasch)

Die diskriminierenden Hassredner- Das Beispiel Brasilien

Die in Wien lehrende Brasilianerin Liriam Sponholz und ihr Kollege Rogério Christofoletti von der Universität Santa Catarina (Brasilien), entwickelten, ausgehend von Max Webers Konzept der Idealtypen, eine eingängige Analyse der schlagkräftigsten, öffentlich wirksamen Hassredner, die sich das heute wichtigste symbolische Kapital (Bourdieu), nämlich Medienöffentlichkeit, aneignen konnten.

Den Typus des Hasspredigers, repräsentiert der evangelikale TV- Prediger Silas Malafaia. Seit Jahrzehnten hetzt der Gottesmann, über private Fernsehsender bei denen er Sendezeiten kauft, gegen die legale Abtreibung und LGBTQIA+- Gleichstellung. Durch die Eingebung des Herren, kam er auch zu einem profunden Hass gegen Linke, besonders aber Dilma Rousseffs, die den privaten TV- Medien Brasiliens den Verkauf ihrer Sendezeiten an Dritte verbieten wollte. Malafaia hat nicht nur Einfluss auf den derzeitigen Staatspräsidenten Bolsonaro, sondern auf viele konservative Politiker im Parlament und in den Regionen. Er befürwortet Gewaltanwendung gegen jene, die er als Feinde oder Gegner, als die "Bösen", erkannt hat. Seine Legitimation kommt aus einer anderen Welt, dem Glauben an die Eingebung und Auserwähltheit, die alle Menschen irgendwie kennen, auch wenn sie behaupten an nichts zu glauben. Für ihn gehört der neugetaufte Staatspräsident Brasiliens zu den "Chosen people".

Als rechter Populist tritt der ehemalige Hauptmann und Hinterbänkler einer Splitterpartei im Parlament, der jetzige Staatspräsident, Jair Bolsonaro auf. Das Charakterzeichen dieses Typus ist, dass er, ohne einfachen Zugang zu den Medien, zuerst einmal Aufmerksamkeit schaffen muss. Rechte Populisten provozieren, um wahrgenommen zu werden. Sie beanspruchen Legitimation, indem sie den "einfachen Bürger" zu vertreten vorgeben, der sich in unerträglicher Weise Eliten und zahlreichen Minderheiten beugen müsse. Die Gewaltanwendung gegen politische Gegner, Minderheiten, gehasste Personen, wird regelmäßig als mögliche und erlaubte Handlungsoption verteidigt und Legalität vornehmlich als Ermächtigung verstanden.

Bolsonaro agitiert gegen ein breiteres Spektrum an gehassten oder verachteten Gruppen: Homosexuelle, Frauen, Schwarze und Indigene, Flüchtlinge, Intellektuelle, Wissenschaftler, besonders Sozial- und Umweltforscher. - Als Präsident, will er die staatlichen Bildungsetats kürzen und besonders die als feindlich angesehenen staatlichen Hochschulen maßregeln.

Den dritten Typus stellt der Polemiker in den Medien. Ihm fehlt es zunächst an materiellem Kapital und an einer größeren institutionellen oder gar repräsentativen Basis. Er entwickelt sich in den journalistischen Medien und muss sich daher an bestimmte professionelle Vorgaben halten, solange er nicht ausreichend Aufmerksamkeit erzielt hat. Sein Legitimationsargument lautet, er erzähle die Wahrheit und bediene sich dazu der Meinungsfreiheit. In Brasilien vertritt der in den USA lebende, aber dort wirkende, Olavo de Cavalho diese Form des Hassredners und -Schreibers. Cavalhos jahrzehntelange Mühen richten sich gegen Linke, besonders gegen Kommunisten oder wen er dafür hält, gegen Homosexuelle und jeden, den er als "Idiot" einschätzt.

Den letzten Idealtypus bildet der intolerante Comedian. Auch er ist ein Medienprofessioneller, jedoch tritt er als Unterhalter an. Zunächst verfügt er über wenig mediales Kapital und begleitet keine journalistischen Leitungsfunktionen. Sein Vorteil bei den zahlreichen Auftritten in den privaten Unterhaltungsprogrammen, ist seine permanente Sichtbarkeit. Er beruft sich grundsätzlich auf die Freiheit der Satire. Im Amazonas- Staat füllt diese Rolle zum Beipiel Danilo Gentili aus. Seine bevorzugten Ziele, die mit Hassreden und Beleidigungen überzogen werden, sind Frauen, Homesexuelle, Schwarze und Juden. Dieser Typus hat in den meisten Staaten Westreuropas weniger Chancen, weil öffentlich- rechtliche Systeme ihm keine ausreichenden Spielwiesen anbieten, solange sie nicht von illiberalen Demokraten an der Macht reformiert wurden.

Was geschieht, wenn plötzlich alle vier Hassredner- Typen in die gleiche Richtung ziehen? Einer von ihnen wird Präsident Brasiliens! - Analogien zu den vier Idealtypen des Hassredners, dürften auch in Europa leicht mit Namen zu nennen sein. Aber selbst Marine Le Pen hat Mühe, es zum Beispiel dem französischen Medienintellektuellen Éric Zemmour, der dort den Polemiker- Typus und "Idioten"- Entlarver mimt, gleichzutun.

Der Einzelne, der sich nicht einzeln denken kann, in seinem Eigensinn

Zum diskriminierenden Individuum, zur Person des Diskriminierers, dem kleinsten unteilbaren Element, gilt es nochmals eindringlich festzuhalten, dass es ohne den Glauben daran, viele dächten und handelten bei Gelegenheit ebenso - selbst wenn es sich real nicht so verhält - nicht auskommt.

Es gibt keinen einsamen Rassisten, keinen letzten Antisemiten, keinen selbsterklärten und verselbstständigten Antifeministen oder eine solche Männerhasserin, keinen Patriotismus und keinen religiösen oder nationalen Auserwähltheitsglauben, in der Vereinzelung. Alle diese Diskriminierungen gelingen immer nur in einem dafür positiven, sozialen Umfeld, völlig eingebettet.

Diskriminierung in jeglicher Form hat nur einen Sinn, mag sie auch noch so moralisch übel und gar dysfunktional für das eigene Alltagsleben und die Weiterentwicklung der Gesellschaft sein, wenn sie spontan ausgelebt werden kann. Sie muss alltäglich werden. Kommt es zu immer weniger Skandalisierungen, durch Gewöhnung, steigert sich ihre Wirkung. - Ich persönlich, als RassistIn, als Fremdenfeind, als Männerhasserin, hätte nichts Positives in der Hand und kein gutes Gefühl, stünde ich völlig allein, sähe ich mich vereinzelt.

Weil das so ist, ist das Phänomen auch so weit verbreitet und befeuert die Akteure, die mit ersichtlichem Willen und mit Lust agieren. Ihre Freude und ihre Bestätigung, in der Selbstbetätigung, lässt sich regelmäßig abbilden. Sie fällt bei den rechten Reden und Widerreden im Bundestag ebenso auf, wie bei den Aufmärschen, die heute, ähnlich wie Flash- Mobs, für eine Gemeinde gleichgesinnter Menschen spontan organisierbar sind oder auf den Zuschauertribünen mancher Fußballstadien regelmäßig stattfinden. Sie wirkt bei der Einrichtung privater Bürgerwehren oder bei den hochritualisierten Konventen der studentischen Burschenschaften. Sie wirkt in der neurechten Hofgutakademie und bei den Gipfeltreffen der Nationalisten, an Erinnerungsorten mit Bedeutungshorizont. Sie eint die Mitglieder der Hayek- Gesellschaft und der Desiderius Erasmus- Stiftung der AfD.

Sie scheint auf in der notorischen Besesssenheit, mit der die paar Intellektuellen und Wortführer, die sich diskriminierend betätigen, ihre Vortragsprogramme und Bücher abarbeiten. Selbst der Sprachduktus und die Tonlage bei öffentlichen Reden, künden von der beseelten Durchdrungenheit und Selbstbestärkung, die mit dem Ausleben und Ausagieren von diskriminatorischen Akten verbunden ist. - Dem kann kein prinzipiell zweifelndes Individuum, keine dem Zweifel und Selbstzweifel tief verbundene Intellektualität, je entgegentreten.

Der "arme Otto W.", ein leidender und keuscher Diskriminierer

Selten in der langen Menschheitsgeschichte der Diskriminierungen, hat es leidende Akteure dieser Willensform gegeben, die man kennt. Ein rares Beispiel lieferte der Frauenfeind und jüdische Antisemit, der Amalgamierer von beidem, Otto Weininger, dessen historisches Maß an öffentlicher Selbstverstümmelung in sein Werk "Geschlecht und Charakter" einfloss. Der "arme Otto W.", weit ärmer noch, als der "Pauvre Holterling" in seinem Nekarturm, den er zu seinen literarischen Heroen zählte, wurde zum monströsen Forschungsobjekt. Seine übersteigerte Form des einsamen Diskriminierers und Leidenden, brachte keine Wunsch- und Lustbefriedigung, sondern führte nur in ein individuelles Leben zum Tode, in erhoffter Keuchheit. Letztere wünschte er der ganzen Menschheit, nicht nur sich selbst.

Der Blick in den Abgrund Weininger lohnt jedoch, weil er die bürgerliche Angstlust zu diskriminieren nicht nur austellte, sondern auf die Spitze trieb. Der solitärfanatische Kantianer Weininger glaubte tatsächlich, tiefste Menschenliebe, aufgeklärte Vernunftmoral, sowie die Gewissheit einer intelligiblen Transzendenz, sprächen aus ihm, um Frauen und Juden auszusperren, die keine "echte" Seele, Vernunft oder Moral besäßen. Gerade noch, dürfen sie als Menschen gelten und sogar ein wenig emanzipiert werden, allerdings zweiter Klasse. - Was als Meinung im Kaffeehaus und Salon noch skurril wirken mochte, erwies sich, sowohl in sozialen Bezügen, als auch in der Politik, gedacht von vielen, als Weg in die Gewalt.

Es gibt aber keine leidenden und enthaltsamen Sachsen, Thüringer oder Rheinland- Pfälzer, die "Absaufen, absaufen" rufen. Deren Rufe sind, wie andere, historische und aktuelle , z.B. "Tod Israel!", "Juda verrecke!", "Verzieht euch, ihr Muslime, ihr gehört nicht zu uns, nicht zu unserer Kultur!", wie das wieder stolze Gerede von "national befreiten Zonen", immer von Glücks- und Erweckungsgefühlen begleitet. Es sind wahrhaftige Lustschreie, mit Inbrunst vorgetragen. Die Wut ist oft nur gespielt. Sie gehört zur Inszensierung, zum Kalkül, wie eben auch einige brutale Akte, die Furcht verbreiten sollen. "Deutschland erwache!", hieß das einst und "nationale Revolution". Neuerdings gar wieder, irre verdreht, "Wir sind das Volk!" und "konservative Revolution".

Wie das Tragen eindeutig zweideutiger Symbole auf der Kleidung, wie das Zeigen verbotener Grüße, ist es eine tiefgehende Lust und eine, wenn auch gesellschaftlich dysfunktionale, Sinngebung zu diskriminieren.

Dies gilt auch für das potente und exklusive Gebaren der Ditib und der Staatspartei AKP, mitsamt ihrem Präsidenten Erdogan, zum Beispiel bei der Eröffnung einer der schönsten Moscheen Deutschlands. Die Art und Weise stammt aus dem gleichen einförmigen, aber durchsetzungsstarken Fundus aller Diskriminerung, aller Trennung, in "die" und "WIR", indem "WIR" uns groß reden, groß schreiben und mächtig fühlen, um endgültig und unaufhaltsam groß zu handeln.

Menschen die diskriminieren und zu sich selbst sagen: "Das zersetzt mich und meine Gruppe. Das zerstört unsere Moral. Das beschämt uns. Wir wären gerne freundlich, offen, tolerant und akzeptierend. Nur die für uns unerträglichen Umstände, die modernen Zeiten, lassen uns derzeit so sein", erliegen einer Selbsttäuschung oder folgen einer großen propagandistischen Lüge. Man muss Lust und Befriedigung empfinden und eine tiefe Überzeugung hegen, selbst wenn sie sich nur sehr einfach artikuliert. Man wird nicht getrieben durch die Verhältnisse und auch nicht angestiftet oder verführt. Das sind bürgerliche Beschwichtigungen bei der Motivforschung, in jeder Gesellschaft die diskriminiert oder die Wirkmacht der Diskriminierung wiederentdeckt. Von den politischen Wortführern der Unterscheidungslust, wird das allerdings als "Notwehr" des Volkes verbrämt.

Weil es so ist, prallen auch die Anwürfe und Bezichtigungen gegen die Wortführer und Ideologen von Diskriminierungen regelmäßig an diesen ab. Weil das so ist, werden auch alle jene, die mit den Ausgegrenzten sind, die aufgefordert oder selbsttätig dagegen vorgehen, eingemeindet unter die Gruppen, denen diese Akte gelten. Der Vorwurf lautet: "Warum sprichst, schreibst, redest und handelst du, im Interesse uns fremder und von uns abgelehnter Gruppen und Personen? Warum tust du uns das an? - Das kann doch nur aus Unkenntnis der Verhältnisse oder aus bösem Willen geschehen, du "Gutmensch", du Asozialer unter uns. Du gehörst nicht mehr zu uns, bist gar nicht echt, gar nicht identitär!"

Die neue Zeit schert sich nicht um ratifizierte Grundrechte

Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, vom 10. Dezember 1948:

>>Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Hautfarbe,Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.

Des Weiteren darf kein Unterschied gemacht werden auf Grund der politischen, rechtlichen oder internationalen Stellung des Landes oder Gebietes, dem eine Person angehört, gleichgültig ob dieses unabhängig ist, unter Treuhandschaft steht, keine Selbstregierung besitzt oder sonst in seiner Souveränität eingeschränkt ist.<<

Die durch ihre sozialen und ökonomischen Verhältnisse tatsächlich getriebenen BürgerInnen, agieren bewusstlos, kopflos, freudlos, selbstbezogen und stumm. Da hat Diskriminierung kaum einen Platz und gar keine Zeit, wie auch die individuelle Wut weitestgehend eine selbstzerstörische Angelegenheit bleibt.

Ganz wichtig ist, dass die übelsten Diskriminierungen kein Privileg der "kaukasischen Rasse", einer Religion, einer Kultur, eines Geschlechts sind, sondern ubiquitär vorkommen. Nur das Maß unterscheidet sich, unter je bestimmten Bedingungen.

Eine überwiegend blasse und weitgehend apolitische Gesellschaft, kann sich plötzlich mehr herausnehmen, wenn weniger moralische Bedenken ihren Trägern im Wege stehen. Zuviele demokratisch gesinnte Menschen denken, der Kern der Moralität sei die Sache einer je aktuellen Mehrheit, das Ergebnis eines öffentlichen Diskurses, der politischen Entscheidung einer Führung, des Volkswillens oder des "gesunden Menschenverstandes". - Immer wenn von Letzterem die Rede ist, sollte man auf das Schlimmste gefasst sein. Meist handelt das öffentlich vorgetragene Anliegen des gesunden Menschenverstandes vom glatten Gegenteil.

Es gibt aber eine bewusste Bindung an das Sittengesetz, an die Moral, an die "goldenen Regeln". Diese Rückbindung, die in den Artikeln Zwei und Sieben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Artikel Drei des Grundgesetzes besonders Diskriminerungen verbietet, liefert das eigentliche Fundament einer offenen und demokratischen Gesellschaft. Sich dem anzuschließen, ist eine immer unterschätzte intellektuelle, tatsächlich jedem mögliche, Leistung, die über das eigene Sein oder das der eignen Gruppe, weit hinausreicht.

Das Volk und sein(e) Führer, stehen über dem Gesetz

Viele konservative und rechte Wahlbürger und ein paar Linke, eint die feste Überzeugung, nicht nur in einer medialen Lügenlandschaft zu leben, sondern in einer grundsätzlich kriminellen Welt, mit verbrecherischen PolitikerInnen und allein Mächtigen in der Wirtschaft und Gesellschaft. Daher müssten den eigenen Vorkämpfern und Führungsfiguren illegale Handlungen erlaubt sein, um sich überhaupt erst einmal durchsetzen zu können, wie eben auch dem "Volk", tritt es öffentlich in Erscheinung, letztlich Gewalt erlaubt sei.

Trump- AnhängerInnen, Pis- Bewegte, AKP- und Erdogan- Gläubige, sowie Orban- Fideszisten betonen regelmäßig, wie kriminell und lügnerisch ihre politischen Gegner, ihre Vorgänger und die verbliebene freie Presse seien. Bis die neualte Volksmeinung sich ausreichend gefestigt habe und mächtig genug sei, müssten die widersprechenden Medien aufgekauft, gemaßregelt und kontrolliert werden. Man könne schließlich von den eigenen Spitzenleuten in Verantwortung nicht erwarten, alte und universelle Moralpostulate unter dem Arm zu tragen, um sich immer nur mit legalen Methoden durchzusetzen, angesichts der realen oder imaginierten, ewigen großen Gefahr, angesichts der Verworfenheit aller Gegner und der kriminellen Geschicklichkeit der Fremden, angesichts der Ablehnung durch etablierte Medien, in denen ihre Meinung immer noch nicht ausreichend präsentiert werde. - Aktuell entlarvten sich Heinz Christian Strache und Johann Gudenus von der FPÖ, die ihre Fantasie und die ersten konkreten Schritte dazu, in einem Binge drink meeting ausplauderten.

Die antidemokratischen, "illiberalen" Präsidenten, Ministerpräsidenten und Minister dieser Welt wären politisch dumm, nutzten sie nicht diesen Teil des "Volksglaubens", der sich historisch recht regelmäßig zum akklamierten und proklamierten Volkswillen wandelt, um alle ihre Handlungen damit zu rechtfertigen.

Die Absolution vieler politischer Anhängerschaften, gilt sowohl für das politische, wie auch für das private Leben der jeweiligen Anführer. - Wahlkämpfer Trump fasste es so zusammen: "Ich könnte auf der Fifth Avenue jemanden niederschießen und verlöre trotzdem keine Wählerstimme". Der jetzige Präsident hat niemanden niedergestreckt, um seine Wahlkampfthese zu beweisen. Er verlor jedoch kaum eine Stimme, als bekannt wurde, dass seine Stiftung und seine ehemalige Privatuniversität betrogen hatten. Wesentlich wirkungsvoller war hingegen der unberechtigte Vorwurf, Hillary Clinton sei kriminell. Die zigtausendfachen Rufe und Tweets, sie vor Gericht zu stellen und ins Gefängnis zu bringen, hallen bis heute nach.

Ein übliches politisches Argument der neuen Diskriminierer lautet, dass ihr Herrschaftsantritt Korruption und Verbrechen radikal beenden würde. Wie das politisch gehen soll, zeigte gerade Rumänien. Die beliebtesten und erwähltesten PolitikerInnen des Landes wollten ein Gesetz durchbringen, das den Tatbestand einfach abschafft, um trotz Korruption an der Macht bleiben zu können und Ermittlungen gegen ehemalige und aktive AkteurInnen zu verhindern. In Ungarn oder in der Türkei, führen mediale oder juristische Versuche, die vom Volk auserwählten ersten Familien des Landes der Korruption zu bezichtigen und zu überführen ins Gefängnis. Populär ist hingegen, zum Beispiel in Ungarn oder Rumänien, aber auch in Tschechien und der Slowakei, hart gegen Obdachlose, Migranten und Roma vorzugehen, den alten europäischen Antisemistismus wiederzubeleben, sowie die Presse oder die außerparlamentarische Opposition zu verteufeln.

Für den ausreichend distanzierten Beobachter der wütenden Bürger und ihrer politischen Vorsprecher fällt zudem auf, dass deren Kritik an den so entscheidend einflussreichen Eliten der Wirtschaft und an den Vermögenden, die als Investoren tatsächlich herrschen und Macht ähnlich mancher Nationalstaaten ausüben, sowie aus ihren Claims regelmäßig überproportionale Gewinne ziehen können, eher sehr schwach ausfällt.

Christoph Leusch

(Zum Teil I)

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