O Canada...musikalische Perlensuche im Reich der Multikulturalisten

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O Canada,...

Musikalische Perlensuche jenseits des großen Teichs, im Reich der Multikulturalisten.

Das Netz muss frei bleiben sagt Seymour Hersh (www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,722693,00.html ), auch wenn es eine große Versuchung darstellt für Menschen mit Geld und solche mit der ganz großen Verwertungsidee, es zu einer geschlossenen Geschichte mit Kassenhäuschen zu machen, die Claims abzustecken und überall Eintrittsgeld zu verlangen. Was im Netz möglich ist, das beweist Canadas öffentlich- rechtliches Radio, CBC Radio 2, mit seiner Seite Concerts on Demand (www.cbc.ca/radio2/cod/ ).

In guter Qualität sind dort 600 Konzerte (vieler Musikrichtungen) kanadischer und internationaler Künstler abrufbar.

Vergleichbares gibt es bei uns nicht (Wer kennt was?) , weil blödsinnige Rundfunkrechte und Mediengepflogenheiten, übrigens völlig ohne Befragung des Volkes, dafür aber nach ausführlicher Konsultation der Musikindustrie und der Verleger, nebst deren Anwaltskanzleien, alles Schöne und Gute nach einer Woche kommerzialisieren und daher weg sperren, in die dunklen Archive, oder es gleich ganz weg schaffen, weil selbst das Archivieren noch Geld kostet.

Das Material hat das Volk bezahlt, aber anhören und ansehen soll es sich die Produktion nur einmal und zeitnah zur Erstausstrahlung und eventuell bei redaktionellen Wiederholungen.

Bei NPR (geändert von fälschlich NBR,29.10.2010) in den Staaten, da versuchen sie es wie die Kanadier, aber in einer schlechteren Qualität und mit Werbung verbunden.

Trotzdem, warum kriegen die hyperkapitalistischen Staaten, warum die multikulturalistischen Kanadier solche Zugänge hin und wir nicht?

Jedes dieser Konzerte lockt, denn auch nach stundenlangem nebenbei Hören, entdeckte ich keinen einzigen Auftritt, der es nicht wert wäre, beachtet zu werden. Es findet sich auf dieser Webseite einfach keine schlechte Aufnahme! Allenfalls der persönliche Musikgeschmack entscheidet, ob man ein Stilrichtung, eine Sängerin, eine Band, ein Quartett, ein Orchester mehr mag, ob man sich einhören kann oder genervt etwas anderes sucht.

Für die dort vorgestellten Künstler, kann es doch nur vorteilhaft sein, so liebevoll präsentiert zu werden. Denn bei einigen Auftritten ging es mir so, dass ich nicht mehr nebenher hören wollte, sondern nur noch hin hörte, und dann juckte es gewaltig in den Fingern, die CD-Titel aufzuschreiben und in den besten Plattenladen zu rennen, ob die denn ein Angebot machen oder bestellen können. - Man kann seine Musik auch im Web ordern, ich weiß das!

Was mir so nebenbei, und dann mit ganzem Herzen, im Ohr blieb:

The Mountains & The Trees“. Das ist eigentlich eine One man band, denn Jon Janes macht fast alles allein. Folk, Pop und Songwriting verschmelzen und das Ergebnis sind Songs, die sich im Ohr festsetzen. Mein Gefühl, ich will hinter diese Berge und zu diesen Bäumen. Für das Konzert tritt er mit Jillian Freeman (Stimme) und Andrew McCarthy (Schlagzeug) auf.

Für den ersten Eindruck habe ich einen Song ausgewählt, der so eingängig ist, dass man ihn bald mitsingt: „Minimum Wage Lovers“ ist einfach und klar und doch voller Ironie. Ich hab´ es mir in einer Endlosschleife immer wieder angehört. Anlass sind die privaten Dienstleister bei Kanadas Staatspost, die zwar die gleiche Arbeit machen wie ihre beamteten Kollegen, aber viel weniger verdienen. Das kennt man doch!

Die Liebe bleibt aber die gleiche Angelegenheit, verbeamtet oder als Leiharbeiter:

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100629mount/09.asx#The%20Mountains%20and%20The%20Trees%20live%20in%20St.%20John%27s%20NFLD|Minimum%20Wage%20Lovers

Gute Singer-Songwriter sind auf der Suche nach dem Private Idaho und Jon Janes ist keine Ausnahme. Die ersten Songs des Gigs auf CBC 2 beginnen in der Provinz und mit Kindheitserinnerungen. Den Gespenstern der Kindheit entkommen, verlässt er die kleine Stadt, heiratet und hat Heimweh.

Das ist vielleicht die universale Konstante der kanadischen Folkmusik (Northern Boys and Girls) und des Songwritings dort, vielleicht aber aller Musik mit einer Wurzel, vom Blues und Soul, bis in unsere weltmusikalischen Tage, nämlich immer und überall in der Fremde, das Eigene zu suchen oder darüber zu stolpern.

Es ist kein bösartiges Hinschlagen, sondern eher eine Hilfe, ab und an noch inne zu halten, selbst wenn die Tourneen oder sonstigen Aktivitäten, einen aus den Wäldern bis nach London bringen. Ein Gefühl der Verbundenheit mit einem Teil des Lebens, das auch dann besteht, wenn der Aufbruch in die größere Welt gelingt. Die Anregung zu dem folgenden Song, so berichtet Jon Janes während des Konzerts, stammt vom kanadischen Liedermacher Dan Mangan und dessen Album: „Nice, nice, very nice“.

„More and more and more“, ein Song über die Liebe die niemals loslässt:

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100629mount/07.asx#The%20Mountains%20and%20The%20Trees%20live%20in%20St.%20John%27s%20NFLD|More%20and%20More%20and%20More

Zum Abschluss ein Song im Stile eines Abzählverschens, wie es vielleicht mancher schon selbst einmal gedichtet hat. „Crossing crows“: www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100629mount/08.asx#The%20Mountains%20and%20The%20Trees%20live%20in%20St.%20John%27s%20NFLD|Crossing%20Crows

e.s.l.

Marta Jaciubek-McKeever kommt nicht aus Kanada. Aber seit dem 12. Lebensjahr ist die Maple Leaf- Nation ihre zu Hause. Die Polin vergaß ihre Heimat nicht und mischt die Volksmusiktradition in ihrer Stimme, Schrammeln und Bläsersound, mit Rock, Pop und Songwriting.

Dazu kommen, vor allem bei der Intrumentierung noch ein paar Jazz Einflüsse und ein wenig Blues. Klar, sie kennt natürlich auch die Independent bands ihrer neuen Heimat. Ihr Album „Eye Contact“(CD), Label Jericho Beach, lieferte die Songs, die sie auf dem Calgary Folk Music Festival 2010 spielte.

Folk-Music wäre aber für diese Art Fusionsmusik vielleicht eine zu verniedlichende Beschreibung, denn e.s.l., der Name der Band kürzt mit Hintersinn, „English as a second language“ ab, machen aus einer Combo-Besetzung und wenig Firlefanz ganz lebendige und laute Musik. Nebenbei erweist sich Marta Jaciubek-McKeever als eine hervorragende Meisterin des Coversongs. Solchen Klassikern wie Serge Gainsbourgs „Laisse Tomber Les Filles“ oder „Girls“ von Horovitz und Rubin (Beastie Boys) eine neue Note zu geben, ist schon verblüffend.

Ich habe eine Vorliebe für Zirkusmusik und diese manchmal blechern, scheppernde, manchmal melancholisch schmalzige Qualität haben die fünf Damen mit den multiplen musikalischen Sprachen. E.s.l schreiben, komponieren und arrangieren ihre Musik selbst. Die meisten Songs stammen von der Front-Frau Marta Jacubicek, aber auch Crystal Derkson, die Cellistin wirkt bei der Vorarbeit kräftig mit. Keine Frage, die anderen Frauen gehen auf der Bühne ebenso konsequent wie gekonnt zu Werke. Joy Mullen spielt das Schlagzeug, Tess Kitchen, die Trompete und Diona Davies die Geige.

Zuerst, als kleine Verneigung vor dem wunderbaren Musik-, -Verzeihung-, Frauen- und Mädchenmannschafts- Musikblog Verena Reygers, hier auf „dF-1“ ( www.freitag.de/community/blogs/verena-reygers ), „Girls“ von e.s.l:

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100725engsl/11.asx#2010%20Calgary%20Folk%20Music%20Festival:%20e.s.l.|Girls ,

dann der Zirkus: „Laisse Tomber Les Filles“ (Gainsbourg)

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100725engsl/12.asx#2010%20Calgary%20Folk%20Music%20Festival:%20e.s.l.|Laisse%20Tomber%20Les%20Filles ,

und hier, fast schon ein Stück Programm- oder Filmmusik, ein frauliches Electric Light Orchestra ohne Elektronik und ein wenig Swordfish Trombones (Waits): „I Don´t Buy It“, „Ich kauf´ es nicht ab“.

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100725engsl/07.asx#2010%20Calgary%20Folk%20Music%20Festival:%20e.s.l.|I%20Don%27t%20Buy%20It

Zum Schluss noch zwei Songs, die auch von Jazzern gespielt werden könnten:

„Walk With Me“, eine Widmung der Sängerin an ihren Bruder:

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100725engsl/05.asx#2010%20Calgary%20Folk%20Music%20Festival:%20e.s.l.|Walk%20With%20Me

und „Moon Song“, mit einer sehr guten Instrumentierung. Vor allem die Cellistin kann hier den nötigen Unterton liefern:

www.cbc.ca/radio2/cod/codPlayer.html?http://www.cbc.ca/radio2/media/20100725engsl/03.asx#2010%20Calgary%20Folk%20Music%20Festival:%20e.s.l.|Moon%20Song

Hier endet für heute das Nachtprogamm.

Christoph Leusch

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