Sturmangriffe auf Dada-Bürger

Meinungsjournalismus Stefan Kornelius (SZ) vergleicht die Bürger Europas mit den Dadaisten. Der hohe politische Kunstwart, erklärt die Dada-Bürger zu Verursachern ihrer Selbstzerstörung.

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Die SZ: Sturmangriff auf Dada-Bürger

In den letzten Wochen gab es wieder einmal jenen seltsamen Moment, dass die fast einheitliche Meinung der politischen Klasse und der politischen Meinungsjournalisten Deutschlands zu den Vorgängen in der Ukraine und den politischen Reaktionen darauf, vom „Volk“, in diesem Falle den Lesern, Sehern und Befragten, mehrheitlich nicht geteilt wurde.

Führende Medialisten betrauern nun ihr liebgewonnenes, aber abgestorbenes Meinungsmonopol, diese Gewohnheit aus uralten Zeiten. Nur sie, die Minderheit der Gatekeeper, fanden diese Tradition wirklich toll.

Daher müssen nun Aufklärungssendungen, wie zum Beipiel der letzte Phoenix-WDR- Presseclub, laufen und Meinungsartikel wie, „Die europäischen Dada-Wähler“, von Stefan Kornelius geschrieben werden ( http://www.sueddeutsche.de/politik/wahlen-in-der-eu-die-europaeischen-dada-waehler-1.1931193 ), die dem Volk klipp und klar sagen, es sei im Grunde so dumm, wie man es schon länger in diesen Kreisen einschätze.

Neue alte Feindbilder und die Pressearbeit

Recht stabile Mehrheiten wollten partout nicht einsehen, warum im Konflikt um die Ukraine und die Krim, die Position Russlands und der prorussischen Bevölkerung in der Ukraine oder auf der Krim nicht ebenfalls eine Berechtigung hätte; warum sie unbedingt glauben sollten, dass Angehörige der Swoboda- Partei und die nationalistischen Taten der derzeitigen Interim-Regierenden in Kiew, nun demokratischer und gerechter seien, nur weil sie vom Maidan weg regieren dürfen. - Warum soll diese Art ukrainischer Nationalismus legitimer, vor allem demokratischer sein, als die Wünsche der größten Minderheit in dem gebeutelten Land?

Warum spielen unsere Politiker da mit, indem sie die Ukraine von westlicher Seite unter enormen wirtschaftlichen Anpassungsdruck setzen? - Die Russen verteuerten nun das Gas und der IWF im Schulterschluss mit der EU, forderte ein paar Tage davor, die Anpassung der Löhne, Beamtengehälter und Renten nach unten. - Nebenbei: Die Ukraine hat schon mit die niedrigsten Löhne und Gehälter auf dem europäischen Kontinent!

Das Staatsdefizit des Landes soll ausgeglichen werden, um mit den freiwerdenden Ressourcen vor allem den Aufbau einer neuen, 60.000- Mann Maidan-Nationalgarde und die Neubewaffnung aller Streitkräfte nach NATO-Standards finanzieren zu können. - Das ist gaga!

Seit dem Irak Krieg, seit Afghanistan und dem ewig verlängerten Engagement dort, seit den zahlreichen Beschwichtigungsversuchen der Politik nach dem bekannten Drei- Affen-Modell rund ums weltweite Spionieren unserer besten Freunde und der allerbilligsten Beschwichtigungsfloskel der Medien: „Ihr gebt doch freiwillig und täglich mehr eurer Informationen an uns und an die privaten Internet-Konzerne ab, als je bei der NSA landet!“, sind massenweise lesende und glotzende Bürger misstrauisch geworden. - Das gefällt jenen, die täglich meinen müssen, ganz und gar nicht. Was liegt näher, als eine Publikumsbeschimpfung?

Bei der nun seit mehr als einem Jahrzehnt anhaltenden Normalität, dass Drohnen Kriege führen, Todesurteile ohne Gerichtsprozesse und ohne Rücksicht auf Kollateralschäden mit ihnen vollstreckt werden, die Folter eine Sache der westlichen Wertegemeinschaft geworden ist, Kriegsgründe erfunden werden, Bodenschätze ohne Rücksichten ausgebeutet, ein permanenter Krieg gegen Terror und Drogen nicht abgesagt werden kann, ist diese zweifende Haltung der erfreulich belesenen Bürger jedoch nicht mehr ungewöhnlich, sondern sehr wohl vertändlich und nötig. - Wer Politik nur besser erklären will als die Politiker, der sollte sich als deren Sprecher bewerben und den Journalismus endgültig an den Nagel hängen.

Wir haben uns daran gewöhnt, in der Presse genau das zu lesen, was kurz zuvor auf Bundespressekonferenzen, Sicherheitskonferenzen und sonstigen noch halbwegs öffentlichen Formaten, als Statements von Politikern, in etwas weniger ausgeschmückter, auch weniger gekonnter Form, aufgesagt wurde. - Der recherchierte und ausführlich begründete Anteil des Berufsjournalismus sinkt, der Meinungsjournalismus blüht in Krisenzeiten. Er ist weitestgehend eine Art Regierungssprecher- Tätigkeit.

Die Regierungssprecher wehren sich

Viele politische Presse- und Fernsehleute fühlten sich jedoch völlig missverstanden und gehen zum Gegenangriff über. Sie erklären schlicht die Leser und Seher für uninformiert, falsch informiert oder gleich für nicht intelligent genug, weil die ihre Einseitigkeiten, die sie sich vor allem durch die angenehme Nähe, rund um die Stofflieferanten erarbeitet haben, nicht mehr als Wahrheit oder glaubwürdiges Abbild der Realität anerkennen wollen.

Das ist nicht das erste Mal in der Geschichte der neuesten Zeit so. Es war während des Vietnam- Konfliktes, nach 9-11 und im Irak-Krieg nicht anders.

Die Süddeutsche Zeitung, linientreu

Ein ganz besonderer, aktueller Fall ist jedoch die Süddeutsche Zeitung. Die dortige politische Redaktion hat sich recht einseitig festgelegt. Sie berichtet so einhundertprozentig deckungsgleich mit den Verlautbarungen der NATO, so in permanenter Fortsetzung der alljährlichen Münchner Sicherheitskonferenz, dass dagegen das Volk sich verhalten muss, wie einst jene armen Dadaisten, die sich, man lese und staune, selbst zerstörten!

Nur Konstanze Stelzenmüller, Senior Transatlantic Fellow with the German Marshall Fund of the United States, z.B. in der letzten Presseclub-Runde ( http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/311790_presseclub/20642590_totgesagte-leben-laenger-wie-sich-die-nato-in?buchstabe=P ), tritt noch überzeugter auf. Sie übte auch schon ein wenig länger das Antichambrieren.

Dada und Presse-Gaga

Wir erinnern uns aber besser, als Herr Kornelius von der SZ:

Dada, das war dieses kleine Häuflein friedenswilliger, auf Verständigung drängender Schriftsteller, Künstler und Intellektueller, die sich, zumeist aus Deutschland stammend, vor der allgemeinen Mobilmachung des Geistes und der Personen in die Schweiz flüchteten und sich dort, ab 1916, als kritische und durchaus anarchische Bewegung definierten. Ihre Stilprinzipien und ihre Selbstdefinitionen mit dem Zufallswort „Dada“ wurde zum Markenzeichen, aber niemals zum Mainstream! Ihre Kunst und ihre Appelle zum Frieden verkauften sich auch weit weniger gut, als der Politpop des SZ-Journalisten.

Die Dadaisten blieben, neben jenem ganzen völkischen und nationalen Gedöns, das in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg überall die Meinungsführerschaft in den Medien wieder übernahm, das auch ein große Zahl Intellektueller und vor allem, fast die ganze Presse Zentral- und Südosteuropas erfasste, nach dem Ende des ersten Weltkriegs eine verachtete Minderheit. Sie hatten zwar völlig Recht behalten, aber sie bekamen nie Recht! - Der Krieg lief genau so ab und ging genau so aus, wie sie es vorhergesehen hatten. Eine Minderheit in der Kunst und Kultur und eine Minderheit unter den maßgeblichen Intellektuellen der Zeit, blieben sie trotzdem. - Nur einer kann und will das ganz anders sehen, Stefan Kornelius.

In der Mainstream-Presse der damaligen Zeit galten die Dadaisten als Spinner und Realitätsblinde, manchen Nationalen und militärisch Gesinnten, manchem Systemverteidiger, zählten sie gar als gesellschaftliche Gefahr. Man überzog sie und die mit ihnen ebenso kritisierten, gegen den Krieg und den Militarismus angehenden Veristen, mit Hohn, Spott, Beschimpfungen und Strafprozessen, weil sie vorgeblich gegen die guten Sitte, den Anstand und die Ehre der Nationen verstießen. - Damit wird man nicht Mainstream!

Wir haben wieder Journalisten, die, wie jene aus den „Letzten Tagen der Menschheit“ des Karl Kraus, sich bemüßigt fühlen, dem Volke, ihren Lesern und Sehern, die Floskel vom Dada als Selbstzerstörung entgegen zu halten.

Wir, das Volk und die Leser, sind jetzt eine Art Mainsteam-Dada, die Männer und Frauen auf der Straße, die sich nach Rechtsaußen orientieren. - Sie aber, die angeblich Vernünftigen, Realistischen und besser Informierten, beschimpfen ihre europäischen Medienkonsumenten an der Wahlurne und jene die der Meinung sind, sie müssten sich dem ausgerufenen neuen Ost-West-Gegensatz, der vereinigte Westen, das vereinte Europa und die USA gegen Russland, gar nicht erst anschließen, mit dem Begriff „Dada“, der im Volksmund und bei dieser Art Journalisten, nun einmal nicht mehr ist, als ein Tauschwort für das Kunstwort „gaga“: Verrückt, wirr, irr, irrational.

>>Die Dadaisten akzeptierten nicht, dass sie angekommen waren. Lieber zerstörten sie ihre Ordnung wieder.<<, so Stephan Kornelius. - Das ist schon auf die Kunst und die Situation der Zeit bezogen, eine falsche und polemische Auslegung. Denn die Dadaisten wussten sehr genau, wer die Lunte für den nächsten Krieg bereits auslegte. Die Presse schrieb mehrheitlich auf der Seite der Kriegstreiber und der Nationalisten, die das Ende in Versailles eher als Anfang des nächsten Konfliktes ansahen. - Dass sich diese Regel auch in den besten demokratischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts mehrfach wiederholte und nun im 21. Jahrhundert wieder auftritt, es einige „eingebettete“ Journalisten auch einräumen, stört den völlig konformen SZ- Redakteur gar nicht.

Europa droht Rechtslastigkeit. Deutschland ist keine Aunahme!

Aber Halt, Stefan Kornelius Meinungsartikel drehte sich ja vor allem um Europa und die anstehenden Wahlen. - Da droht, dass Nationalisten und rechtskonservative Parteien, aber auch die ewig lange schon mächtigen, konservativen Großparteien, die sich längst als geborene und selbstverständliche Staatsparteien verstehen, grandiose Siege, ohne allzu viel Wahlbeteiligung einfahren. So, wie das zuletzt bei den Kommunalwahlen und Nationalwahlen in einigen Ländern der EU der Fall war. So, wie das zuletzt die Landtagswahl in Bayern und die Bundestagswahl vorführten. - Je mehr Bedrohungsgefühle sozial und ethnisch, je mehr neuer Sicherheitswahn beim Militär und bei der inneren Sicherheit, desto verlässlicher wird nach rechts und konservativ gewählt.

Die Parteien mit den größten Wahlchancen sind aber meist für eine starke NATO und einen recht engen Schulterschluss mit den wieder stärker militärpolitisch, geopolitisch und sicherheitspolitsch auftretenden Vereinigten Staaten. Die „Falken“ im Land der Freien und Tapferen sehnen den Ablauf der Regierung Obama herbei. Den schwarzen Präsidenten hassen sie, auch wenn der mit schönen Worten und noch besseren „Looks“ nur fortführte, was sein, dem Größenwahn und der Hybris verfallener Vorgänger ins Rollen brachte.

Ungarn das Musterland der neuen EU und der NATO

Zum Beispiel, ist die erneut bestätigte, rechtskonservative und nationalistische, fremden- und romafeindliche ungarische Regierung, die eine freie Presse gar nicht mag, sehr daran interessiert, bilateral mit den USA in allen Sicherheits- und Finanzfragen eng zusammen zu arbeiten.

Im Herbst 2013 fand noch in allergrößter Harmonie eine Konferenz der obersten NATO-Militärbefehlshaber in Ungarn statt, auf der die große Übereinstimmung gefeiert und beschworen wurde. - Ähnlich sehen es manche andere Balkanstaaten, die gegenwärtige polnische Regierung und die baltischen Länder. Ungarn ist auch ein prächtiges Investorenland! Nur die Bevölkerung hat davon wenig. Dafür aber, blüht die Korruption und der Rassismus.

Der große Abgleich

>>Am anderen Ende des Spektrums gilt es, das gewachsene Misstrauen etwa der Briten zu verstehen, deren ungebrochenes, tief verwurzeltes Gefühl für ihre Nation und ihre Demokratie sie skeptisch sein lässt gegenüber der Dynamik im Zentrum Europas. <<, lesen wir weiter, bei Stefan Kornelius. - Diese Art des Misstrauens in aller Freundschaft, drückt sich derzeit vor allem darin aus, dass Großbritannien in der Finanzpolitik und in der Sicherheitspolitik eine bilaterale Abstimmung mit den USA immer höher einschätzt, als ein loyales und partnerschaftliches Verhalten in der EU. Die Briten handeln seit Jahren konsequent danach. Da bildet sich die wahrhaftige Spaltaxt für das zukünftige politische Europa!

Die Spähaktionen der Dienste ihrer Majestät, die offene und aggressive Rhetorik des britischen Regierungschefs Cameron und seines Verteidigungsministers, die völlig einseitige, auf den eigenen Vorteil bedachte Haltung in den Fragen der EU-Finanz- und Wirtschaftspolitik, sollten einen außenpolitischen Journalisten höchsten Ranges doch zu mehr Nachdenklichkeit anregen. Stattdessen gibt es die Wähler- und Publikumsbeschimpfung wohlfeil aus der SZ- Redaktion, die sich um die Gründe des Rechtsrucks wenig Gedanken macht, weil sie ihn gesellschaftspolitisch, wirtschaftspolitsch und sicherheitspolitisch letztlich mit trägt.

Innenminister-, Verteidigungsminister- und Wirtschaftminister-Konferenzen sind unter politischen Journalisten und den beteiligten Politikern die beliebtesten, bestorganisierten und einförmigsten Veranstaltungen, schon seit langer Zeit. Die Rhetorik ist auch danach, vor allem eine des „Abgleichs“ der Meinungen und Daten.

Stefan Kornelius fordert, >>Europa muss seine Handelspolitik prüfen und mit den USA abgleichen<<. - Der Abgleich mit dem Unvereinbaren führt aber zur Gleichheit mit ihm!

Überhaupt sind solche „Müssen“-Rhetoriken ein gerne gepflegtes Markenzeichen. Unverzichtbar in der kleinen, außenpolitischen Medienwelt, rund um den Reichstag und die diversen Transatlantik- Brücken: Jeder Meinungsartikel und jede öffentliche Stellungnahme, ein neuer Mitgliedsausweis!

Fazit:

Etwas mehr Dada-Moderne würde man dem irrationalen und von Vorurteilen getriebenen, politischen Kunstkenner Stephan Kornelius doch wünschen, damit er erkennt, dass nicht Dada sich selbst zerstörte, sondern es die Regierenden Europas waren, die dieses Geschäft für die Zeit des Ersten Weltkriegs, gegen die Ansichten und Überzeugungen der Dadaisten, besorgten.

Nach diesem Krieg bereiteten dann nationalistische und revanchistische Regierende und die unangetasteten Mainstream-Eliten der alten mitteleuropäischen Kaiserreiche ein vergiftetes Klima auf, in dem es für eine „Dada-Friedenspolitik“ kaum ein Plätzchen gab. Der mediale Mechanismus, mit dem das funktionieren konnte, an dem die Presse zu allen Zeiten ihren gewichtigen Anteil hatte, weil sie nur so „eingebettet“ ein wenig Teilhabe an der Macht erhielt, arbeitet weiterhin, ganz ohne Unterlass und Einhalt.

Christoph Leusch

Nachtrag, 08.04. 2014 ,20.13 Uhr:

Sehr gerne, verweise ich auf das Blog, "ZDF-Skandal: Berichte im Auftrag Kiews?", von L. Applebaum:

Es geht der Frage nach, wer für das ZDF in der aktuellen Berichterstattung und Recherche zur Ukraine Medienpartner ist und wo da eventuell Gründe liegen könnten, dass aus dem krisengebeutelten Land recht einseitig berichtet wird. L. Applebaum beschäftigt sich mit dem "Ukrainian Crisis Media Center (UCMC)" einem >>internationalen PR-Netzwerk gegen "russische Propaganda"<<, das sowohl Gesprächskontakte vermittelt, als auch Nachrichtenmaterial liefert. In diesem Blog ist mittlerweile auch eine Stellungnahme des ZDF-Journalisten Lars Seefeldt zu lesen.

https://www.freitag.de/autoren/lapple08m214/zdf-skandal-berichte-im-auftrag-kiews

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