Verreiß´ mich nicht, ein Vollverriss

Bücherkalender Verreiß´ dich selbst. Das ist, wie Schach spielen, gegen sich selbst. Janusköpfig. Two face, eben

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Verreiß´ mich nicht, ein Vollverriss

Foto: jokebird/photocase

Verreiß´ mich nicht, ein Vollveriss

Verrisse sind dieses Jahr Thema der adventlichen Kalenderblätter für die dFC.

„Schreib´ du mal einen!“, rief Kommunautin Calvani per Post und ich antwortete nicht, das heißt, nur indirekt, unter Goedzaks jüngster Krimizerlegung, ich sei recht eigentlich für dieses spezielle Gewerbe nicht geeignet.

Durch mich solle doch ein Ruck gehen, kam es prompt zurück. „Zier´ dich nicht so!“, übersetzte ich es mir. - Also werde ich mich selbst verreißen, denn ich schreibe so mancherlei und daher ausreichend viel, um es zäh, uferlos, unentschlossen, stilunsicher, platt, abseitig, völlig belanglos, fehlerhaft und auch langweilend nennen zu dürfen.

Mir fehlt es bei mir an der Musike. Hätte ich doch nur ´ne Kesselpauke oder gar ´ne Trommel, wenigstens eine helles Triangelchen in meiner Schreibe und die Fähigkeit zum Scherz und Witz in jeder Lebenslage, vertikal, horizontal und schräg, am Boden liegend, auf hoher See, im Untergang, in jeglicher Atmosphäre, bei Helios auf dem Sonnenwagen, ich könnte ganz anders Krach machen.

Hingegen gerät mir alles zum Anlass unsäglicher Mühen, nur ja kein starkes Urteil zu fällen, wird alles langsam und lang, und länger. So kann es doch nicht weiter gehen! Ich hasse doch die Zopf- und Bartsysteme.

Zumindest nicht für ein Kalenderblatt, du Hasenfuß, flüstert da mein Alter zu seinem Ego und ist schon wieder klüger, als ich es real je sein kann.

Verlorene Texte sind wie verlorene Eier

Verlorene Texte sind, wie verlorene Eier, eine Reminiszenz an alte Gewohnheiten und Eigenschaften. Kaum einer kocht so was noch, kaum einer schreibt so was heute. Dabei ist das verlorene Ei, für gute Köche, immer nur ein Ausgangspunkt für allerlei Feinheiten. - So weit kommst du gar nicht, witzelt die Anima dem Animus, von einer Hirnhälfte in die andere hinüber.

An Tagen wie diesen, hasse ich den blöden Stumpfsinn des neudeutschen Liedes, dessen Titelrefrain trotzdem mein Hirn vollmistet, so, wie ich meine Unfähigkeit, dem spontan nachzugeben und einfach einmal ein wenig zu grölen, sei es auch nur dagegen, zum Beispiel beim Luftgitarre spielen, nicht mag. - Ich werde nie Luftgitarre spielen und kann daher kaum etwas für oder gegen Luftgitarrespieler schreiben. Ich kann nicht grölen und kaum gut nölen, bin also eine tote Hose, in dieser Beziehung und damit auf dem Niveau der Band, nur viel stiller.

Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, so überzwerch über Commies Joods,Inder,Frauen und die Jugend eines schwarzen Mannes zu schreiben. Zu Recht, gab es dafür keine Aufmerksamkeit und dieses schweißtreibende, afrikanische Blog teilte gnädig sein Schicksal mit dem anderer Blogs, hervorragender, viel besser schreibender ForistInnen und den Texten mancher professioneller dF-Schreibenden, die sich beruflich an dieses Schicksal öfter einmal völlig unverschuldet gewöhnen müssen und dabei cool bleiben, weil ich und andere sie so manches Mal, aus purem Neid und uneingestandener Missgunst, nicht beachten. - Keine Zeit zu haben, ist ja, bei so überschaubarem Umfeld, nur eine billige Ausrede. Oder etwa nicht?

Alles landet im digitalen Weltmeer der Texte, das schon auf Deutsch kaum überschaubar ist und mittlerweile, auf Antrag, auch ein Recht auf ´s gnädige Vergessen kennt.

Sprachmörtel

Was trieb mich, der Community ein reimloses Gedicht über einen Wiener Baulöwen, die urbane Großplanung und den, mit Wasser aushärtenden, Beton vorzustellen? Anmaßung, Maßlosigkeit, Selbstüberschätzung! Fehlendes Gespür, Sachen für mich zu behalten, die nur ich verstehe. Mangelndes Vermögen, zu wissen, was einem immer schon vorgestellten Publikum gefällt oder es irgendwie interessieren könnte.

Die puzzolanische Putze

Staub, Staub, Feinstaub.

Ich nehme Wasser

das bindet,

wasserfest.

Rom hat mich,

Speer und Luggi

der Prächtige,

Mörtel.

Ich, Putze, überall,

ewig und abriebfest.

Ich bin unlöslich,

nach dem Aushärten.


Hol´ den Hammer

und Pressluft,

sonst bleibe ich

auf ewig angestellt.


Ich halte,

bin da kein Risiko.

Ich gehe ins Auge,

tief ätzend.

Du siehst nichts?

Atme wenigstens nicht!

Das sind keine Pisaner Gesänge. Zum Glück, sagt mein Alter, auch wenn mein Ego sich das ersehnte. Alter pischpert, es ist schon im Ansatz nicht möglich. Alter handelt, wie ein persönlicher Servus publicus, hinter dem Ego: "Bedenke, du bist nur..." ein Anschreiber und Aufschreiber. Sieh´ dich um, dann fallen dir die Schuppen von den Augen. Deine Scheuklappen sperren dir den Rundumblick. Daher trabst du nur, wie jeder andere, gut eingerittene Gaul und legst dir selbst das Geschirr um, damit es nie anders werde.

Die kleine Freiheit, Nummer Null

Freiheiten muss man sich herausnehmen und auch einmal ergauckeln. Was hatte die Evolution nur mit mir vor, dass ich mir das nicht zutraue? Ich liebe die Freiheit und bin mit ihr doch skeptisch. Das ist Selbstbehinderung! Ist die nötig?

So lag ich mit „Frei“ völlig daneben. Keiner wollte was davon wissen. Der selbstorganisierte und selbstverwaltete Freiheitskampf führte zu abwegigen Dunkelheiten:

(...)

Freiheitskämpfer

Wir haben das Recht auf sechs Wochen bezahlten Urlaub erkämpft!

Der ist aber teuer!

Stimmt.

Freidenker

Ich fühle mich völlig frei im Denken.

So, so.

Wollen Sie wissen, was ich gerade denke?

Nein.

Warum nicht?

Darum.

(...)

Vom Gender

Bei einem Lieblingsthema der Community One, rund um den Hegelplatz 1, fühle ich mich ausgegrenzt und missverstanden, obwohl ich selbst die Ursache meiner Beschwernis liefere.

Ich habe einfach zu viel Verständnis für die Frauen und die übrigen NN- Geschlechter. Das drückt sich in der Missachtung entsprechender Texte aus. Sänge ich, wie die Ärzte einst, „Männer sind Schweine“; schriebe ich, wie der Übermenschenphilosoph, "Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!", oder irgend etwas in gerade modischer Thematik, zum Beispiel: warum Regenwürmer den besten Sex haben sollen; quälte ich mich nicht so sehr ums Gutsein, als bekäme man was dafür, sondern zeigte die Verfüllung meiner Mördergrube, Herzen und Hass, Zu- und Abschriften, flögen mir unbedingt und zahlreich zu, und sie befriedigten endgültig meine Eitelkeit.

Niemals aber, darf ich dann noch solche Sachen sammeln, die keiner lesen will oder wohl schon mehrfach gelesen hat und sich daher daran langweilen würde. - „Verkauf ´ uns keine ollen Kamellen aus dem Rinnstein, vom vorletzten Fastnachtsumzug!“

Der Krampf der Geschlechter

Woher kommt es, dass die ewigen Kriegsmetaphern zwischen Mann und Frau so kleben, sich als beständig erweisen und fortpflanzen? - Dazu etwas zu erfahren, könnten wir zum Beispiel in die Prager Straßenbahn, Linie 22, einsteigen und auf Libuše Moníkovás Lieblingsstrecke ein wenig mitfahren.

Vorbei am unheilvollen Weißen Berg, geht es ins

„Tal der Wilden Šarka, wo der mythologische Mädchenkrieg einen seiner blutigen Höhepunkte fand, als die Anführerin Vlasta die schöne Šarka zwischen den Felsen anbinden ließ, als Lockvogel für den kämpferischen Ctirad. Als er sie befreien wollte, stürzten sich die Frauen aus dem Hinterhalt auf ihn und seine Begleiter, töteten alle, brachten den Edelmann auf ihre Burg und stellten ihn aufs Rad geflochten auf den Zinnen aus, den Männern zur Warnung. Das hat Přemysl, den Witwer von Libuše, seit deren Tod Frauen an Achtung und Respekt so eingebüßt hatten, daß sie den Krieg den alltäglichen Demütigungen vorzogen, so aufgebracht, daß er mit einer großen Übermacht von Männern gegen sie lospreschte und den Aufstand niederschlug; keine wurde verschont. Die Mädchenburg- Děvin- wurde dem Erdboden gleichgemacht, auf das kein Beleg existiere von der einstigen Macht und Wehrhaftigkeit der Frauen. Der Widerstand wurde ins Mythische verschoben (Libuše Moníková, „Verklärte Nacht“).“

Machasprüche

Mann:

>>„Der Untergang der DDR interessiert dich überhaupt nicht, stimmt ´s? Das ist wirklich bemerkenswert.“<<

Frau:

>>Ich pellte mich aus dem Handtuch und begann, mich anzuziehen. „Das konnte ja gar nicht klappen mit der DDR“, sagte ich. „Die vorrangigen Primateninteressen heißen nun einmal nicht Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern Macht und Geltung. Und letztlich werden diese Interessen in sämtlichen Staatsformen der Erde verfolgt. Mit unterschiedlichen Mitteln vielleicht, aber es sind immer dieselben Interessen.“

Mann:

>> „Ach ja, richtig - für Affen interessierst du dich ja auch noch. Aber du kannst nicht immer alles mit Affen erklären. Die sind nicht für alles zuständig, deine Affen. Wann sehe ich dich wieder?“<<

So schreibt Karen Duve in ihrem Roman „Taxi“, aus dem Jahre 2008, auf Seite Einsachtdrei.

(aus: „Die Stadt der Frauen, mauerlose Antifeste“, zum Weltfrauentag, 2012)

Das ist einfach zu brav, zu sozial angepasst, zu früh abgetopft, zu sehr idealistisch und kindergartenmäßig zusammengebastelt. Es fliesst bei mir ja nur Blut, wenn ich Verständnis für Beschneider habe. Ich habe keine Regel und keinen Triebstau. So kann es schreibend nicht weiter gehen und ist doch schwer zu ändern, weil eingefleischt.

Was bleibt zur Weihnacht

Anders, als es so manche Zeitgenossen glauben, die uns wieder zu Einfachheit, Glauben und schlichtem Gemüt, zur Treue im Deutschsein, zu überhaupt einer „Leitkultur“ bei Essen, Trinken und Meinen verführen wollen, ruft Georg Forster uns an, die Sinne und den Geschmack zu entwickeln und damit dem Verstand aufzuhelfen, der irgendwie im Strom der vielen Botschaften unterzugehen droht. Dazu gehört Mut und ein gutes „Intelligenz-Blatt“. Dazu gehört der Wille, eine Gemeinschaft, ob real oder virtuell, nicht nur aus Eigennutz gut zu finden und sich auch einmal zu trauen, neben den Hauptwegen nach essbaren und bedenkenswerten Früchten zu suchen.

In diesem Sinne wünsche ich Allen in der Community ein frohes Fest, dem „Der Freitag“ im kommenden Jahr die doppelte Abonnentenzahl, der Online-Ausgabe Wachstum und freundliche Prinzipien im Umgang miteinander. Den Köchen und Gärtnern, und dem Verleger, Ausdauer und Erfolg auf ganzer Linie.

(aus: „Über Leckereyen, statt des Weihnachtsmärchens“, 2009 )

Christoph Leusch

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Der ewige Leser II, aus Beton. Das Sprühfeld, eine Wasserspielanlage, wurde 1982 von dem in Frankfurt geborenen Steinmetz, Restaurator und Bildhauer Reiner Uhl für den Günthersburg-Park geschaffen. Der "Leser" ist Teil eines gelungenen Figuren- Ensembles. Das wird vielleicht ´mal Anlass zu einem Text, um den Park vorzustellen. (Foto, C. L.)

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