Flüchtende sind willkommen

Freiwillige Hilfe Refugees Welcome sprüht sich leicht an Häuserwände. Wenn aber Zehntausende kommen, muss mitangepackt werden. Ein Bericht aus Berlin-Marzahn

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Flüchtende sind willkommen

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Man muss schon in die Knie gehen, um ganz unten im Regal die preisgünstigen Dinge zu finden: Rasierschaum für die Männer, Haarshampoo für die Frauen. Drei große Kartons von jedem, dann ab zur Kasse. Hier im Großmarkt dürften sie solche Mengen gewohnt sein. Eine halbe Stunde zuvor waren wir in einem Drogeriemarkt an der Kassiererin gescheitert. Irgendetwas in Richtung „Scheiß Flüchtlinge…“, lautete ihr Kommentar zu unserem beabsichtigten Einkauf; wir mussten unverrichteter Dinge abziehen. Die Deutschen im Herbst 2015: Die einen fühlen sich von den Geflüchteten überfordert und haben Angst, andere vertrauen achselzuckend dem gebetsmühlenartig vorgetragenen „Wir schaffen das!“, wieder andere packen mit an.

Jede Generation erlebt ihre Herausforderung

Wie Emilie. In der Notunterkunft am Rande von Marzahn, die seit 5 Tagen in Betrieb ist, fühlt sie sich für die Kleiderkammer und den Hygieneraum verantwortlich. Dort stapeln sich in Regalen geordnet Rasierer, Seife, Cremes, Damenbinden, Zahnbürtsen, zwei Kisten mit Zahnpasta stehen auf dem Fußboden. Die Regale sind beschriftet, die Sammelstelle hat System. Die Regale gebe es seit gestern, erzählt Emilie, vom Baumarkt geholt und gleich zusammengebaut. Gestern Abend, bis ein Uhr in der früh. Emilie ist mit dem Herzen dabei. Und wohl Mitte zwanzig. So alt wie die meisten der an die zwanzig Freiwilligen, die mithelfen, aus drei Etagen eines ehemals als Fachschule genutzten leerstehenden Neubaus eine Bleibe für 250 Menschen zu schaffen. Betreiber ist die Volkssolidarität. Im vom Evangelischen Jugendfürsorgewerk betriebenen Haus gegenüber sind in den letzten Tagen bereits 400 Asylsuchende eingezogen.

Jede Generation scheint ihre eigene Herausforderung zu erleben. 2002 zogen Tausende an die Elbdeiche, um Städte wie Dresden vor einer Jahrhundertflut zu beschützen. Auch dreizehn Jahre später sind es Freiwillige, die das stemmen, was Politiker gern eine Jahrhundertaufgabe nennen. In Marzahn bestand sie gestern im Aufstellen von 250 von der Bundeswehr vor dem Haus abgeladenen Feldbetten. Heute werden Matratzen geliefert, Bettwäsche fehlt noch, zwei Helfer ziehen los, um sie aufzutreiben.

Dann heißt es warten. Die Busse mit rund zweihundertfünfzig Menschen treffen ab 13 Uhr ein heißt es zunächst, dann soll es 16 Uhr werden, später heißt es sie kämen heute gar nicht mehr. Zehn Minuten später die Information: Der erste Bus mit Flüchtlingen kommt ab 21 Uhr, der letzte wohl gegen Mitternacht. Die allermeisten Freiwilligen werden bleiben.

Warten ist auch die Hauptbeschäftigung der meisten Flüchtlinge im Haus gegenüber. Sicher, es gibt auch schöne Bilder. Etwa wenn die syrischen Kinder mit den zumeist griechischstämmigen Wachschutzleuten Fußball spielen. Die Sonne scheint, alle lachen. Ein paar Meter weiter sitzen ein dutzend junge Männer auf dem Rasen, sind mit ihren Handys beschäftigt – und warten. Über einen Asylantrag soll in fünf Monaten entschieden sein. Im positiven Fall besteht Anrecht auf Sozialleistungen, eine Wohnung, Bis dahin – warten.

Petra Pau ist Mitglied der Linkspartei, Bundestagsabgeordnete, ihr Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Sie will heute bis zum Schluss dabei sein, wenn die Flüchtlinge ankommen, registriert werden, ihren Hausausweis und die Willkommenspaket genannten Beutel mit Hygieneartikeln und dem Notwendigsten erhalten, dann von den Helfern zu ihren Zimmern begleitet werden. Morgen tage der Innenausschuss des Bundestages, da wolle sie den CDU-Innenminister mit ihren in Marzahn gemachten Erfahrungen konfrontieren. Doch die althergebrachten politischen Rituale sind hier draußen weitestgehend ohne Bedeutung. Soeben kommen zwei Container an, 12 Duschen für 650 Menschen. Fünf Freiwillige machen sich ans Werk, dem Technischen Hilfswerk beim Aufstellen zu helfen.

„Und was“, fragt einer der Wachschutzleute, „wenn die hier alle in einem halben Jahr eine Wohnung suchen“. Das wird nicht mehr mit Freiwilligen zu bewältigen sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

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