Alternative zu Altparteien und AfD (2)

BT-Wahl 2017 Wie könnte ein Programm von partei-unabhängigen Direktkandidaten aussehen? Das Mögliche möglich machen. Das Weiterso beenden. Zweite Folge

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Zur ersten Folge hier:

https://www.freitag.de/autoren/costa-esmeralda/alternative-zu-altparteien-und-afd-1

2. Was heißt pazifistisch?

Pazifistisches politisches Handeln bedeutet, die Sicherheit des Bürgers durch geeignete Innen- und Außenpolitik auf friedvolle Weise und durch vorbeugende Maßnahmen zu gewährleisten.

Im Innern

Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu garantieren darf nicht alleinige Aufgabe von staatlichen Sicherheitsorganen sein (Geheimdienste, Polizei). Unter dem Vorwand, die Innere Sicherheit des Bürgers zu schützen, schlittert die Republik immer tiefer in einen Polizei- und Überwachungsstaat, der keine Privatsphäre mehr zulässt und den Bürger zum „Gläsernen Bürger“ macht. Zudem haben ausländische Geheimdienste (US- und britische) den deutschen Bürger fest im Visier und die Bundesregierung macht nichts oder zu wenig dagegen.

Wie müsste eine pazifistische Sicherheitspolitik im Innern aussehen? Zuerst einmal und primär ist eine aktive friedvolle Konfliktvorbeugungs- bzw. –vermeidungs-Politik zu entwickeln, die geeignet ist, Konflikte zwischen den Bürgern bereits im Ansatz zu mindern und die dadurch zu erhöhter Sicherheit und Vertrauen zwischen den Bürgern beiträgt. Gesellschaftliche Konflikte entstehen im Wesentlichen durch Diskriminierung, seien sie materieller, sozialer, religiöser, kultureller oder politischer Art. Deshalb gilt, Diskriminierung jeglicher Art durch eine aktive Friedenspolitik im Innern entgegen zu treten.

Erste Forderung muss sein, gemeinnützige Nichtregierungsorganisationen (NROs), die sich der Vorbeugung bzw. Minderung von gesellschaftlicher Diskriminierung in den Gemeinden widmen, aus Steuergeldern zu fördern.

Eine zweite Forderung muss sein, in Schulen einen Pflichtunterricht über Ethisches Verhalten einzuführen, der besonders die Inhalte der Aufklärung, die Universalen Menschenrechte, aktive Friedenspolitik und Konfliktvermeidung als Grundlehrstoff anbietet.

Was das Recht Deutschlands auf militärische Verteidigung seines Territoriums anbelangt, so ist damit die Bundeswehr im Rahmen der NATO beauftragt. Dieses Recht sollte allerdings die Lagerung und den Gebrauch von Nuklear-, chemischen und biologischen Waffen (Massenvernichtungswaffen) ausschließen, auch wenn sie der Verantwortung von NATO-Partnern auf deutschem Gebiet unterstellt sind. Deutschland hat sich verpflichtet, dass von seinem Boden nie wieder Krieg ausgeht. Das muss auch für die NATO-Partner gelten. In diesem Sinne sollte ebenso die US-Basis in Ramstein/Pfalz, von der aus die USA den weltweiten Drohnenkrieg steuert, geschlossen werden. Im Allgemeinen sollte deutsche Sicherheitspolitik darauf hinarbeiten, dass Herstellung und Gebrauch von Massenvernichtungswaffen und die Durchführung von Drohnenkriegen im Rahmen der UN durch internationale Abkommen geächtet werden.

Nach Außen

Deutschland hat eine florierende, besonders auf den Export ausgerichtete Waffenindustrie, die weltweit in kriegerischen Konflikten zum Tod Tausender unschuldiger Menschen beiträgt. Aktive Friedenspolitik nach Außen beginnt mit staatlicher Einschränkung der Produktion und des Exports von militärischen Gütern. Wenn es um die Sicherheit des Bürgers geht, hat der Staat die Verantwortung über die Kontrolle von im Inland hergestellten militärischen Gütern. Produktion und weltweite Vermarktung dieser Güter darf nicht dem „Freien Markt“ überlassen bleiben. Konkret sollte das bedeuten, besondere Steuern auf die Produktion militärischer Güter zu erheben. Vor allem aber sollte die Ausfuhr dieser Güter zu einem totalen Stopp führen. Des Weiteren:Erklären sich Entwicklungsländer bereit, aktive Friedenspolitik im Innern und nach Außen zu betreiben, sollten sie auf die Unterstützung vonseiten Deutschlands zählen können.

Eine herausragende Rolle in der auswärtigen Friedenspolitik sollten internationale, interkulturelle Bildungseinrichtungen spielen: Weltweiter internationaler Schüleraustausch, internationale, multikulturelle Berufsschulausbildung sowie internationale Universitäten, in denen Jugendliche aus verschiedensten Kulturkreisen der Welt gemeinsam studieren und zu verantwortungsbewussten Weltbürgern heranreifen. Die derzeitig ausgeschütteten 500 Mio. Euro jährlich an die parteinahen Stiftungen sollten dabei als Startkapital zur Förderung internationaler Bildungseinrichtungen herangezogen werden.

Neben präventiver internationaler Friedenspolitik ist besonders eine Neuausrichtung der deutschen Bündnispolitik dringend erforderlich. Das Ende des „Kalten Krieges“ hat leider nur ein kurzes Innehalten der Großmächte und Deutschlands in ihrer Außenpolitik bewirkt, um nach einer kurzen Pause des „Tauwetters“ diesen „Krieg“ nun mit umso verbissener Stärke fortzusetzen.

Eckpfeiler deutscher Friedenspolitik muss die Kontinuität des europäischen Einigungsprozesses sein. Dieser Prozess hat in den Nachkriegsjahrzehnten zur längsten Friedensphase in der europäischen Geschichte beigetragen. Allerdings wird seit Beginn des 21ten Jahrhunderts dieser Einigungs- und Friedensprozess durch deutsche Hegemonialpolitik zunehmend in Frage gestellt. Die Schaffung des Euro ohne gleichzeitige europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik hat die Hegemonialstellung der deutschen Wirtschaft innerhalb des Euro-Raumes zur Folge gehabt. Besonders seit der Griechenlandkrise 2010 hat das deutsche Spardiktat die übrigen Euro-Staaten in ihrer Ausgabenpolitik derart geknebelt und strukturelle Ungleichgewichte verstärkt, dass Deutschland und seine Regierung erstmals in der Nachkriegsgeschichte wieder als Hegemon inmitten der europäischen Staatengemeinschaft wahrgenommen wird, dem sich die übrigen Euro-Staaten nicht länger unterwerfen wollen. Zusammen mit der einseitigen und autoritären deutschen Herangehensweise an eine europäische Flüchtlingspolitik wurde ein gefährlicher Spaltungsprozess in Europa in Gang gesetzt.

Was ist zu tun, um den schleichenden Zerfall des europäischen Kontinents aufzuhalten und wieder zu einem weltweit respektierten und modellhaften Staatenbündnis zu gelangen, das aktiv zum inneren europäischen wie zum Weltfrieden beiträgt?

Es sollten folgende politische Maßnahmen ergriffen werden:

(i) Was für die „kranke“ deutsche Demokratie und fehlende politische Freiheit gilt, das gilt ebenso für die übrigen „kranken“ europäischen Demokratien. Die europäischen Bürger in ihrer Gesamtheit sind unfrei und lediglich ausgenutzte Untertanen der jeweils herrschenden Parteien und Eliten. Die Bürgerferne politischer und wirtschaftlicher Eliten ist am ehesten an den überstaatlichen europäischen Institutionen festzumachen, auf die der einzelne Bürger überhaupt keinen Einfluss hat. Die vornehmste Aufgabe einer neuen deutschen Regierung in der Europapolitik muss sein, entsprechend zum Demokratisierungs-Prozess in Deutschland, einen Reform-Prozess in ganz Europa anzustoßen, der die tatsächliche Teilhabe des mündigen Bürgers am öffentlichen Geschehen zum Inhalt hat und darauf hinzielt, die Monopolmacht der herrschenden politischen Parteien zu brechen. Eine europäische Identität wird niemals gegen den Bürger entstehen können sondern nur mit ihm als Souverän. Es existieren bereits zivilgesellschaftliche Vorschläge einer bürger-getragenen EU, die aufgegriffen, weiterentwickelt und in Form eines wahrhaft demokratischen europäischen Regelwerkes (Verfassung) den europäischen Bürgern und Bürgerinnen zur Abstimmung vorgelegt werden sollten.

(ii) Der hegemoniale, autoritäre, bevormundende Stil deutscher Europapolitik, wie er sinnbildlich in Gestalt des Auftretens von Merkel und Schäuble bezüglich europäischer Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- und Flüchtlingspolitik zum Ausdruck kommt, muss einem gleichgewichtigen Dialog Platz machen, der Europa als Ganzes im Auge hat und nicht nur das einseitige Gedeihen deutscher Wirtschaftskraft und die sture Verfolgung einsamer deutscher Alleingänge. Autoritäre deutsche Europapolitik wie in der wilhelminischen und der faschistischen Epoche vorexerziert, gehört ein für alle Mal in die Mottenkiste verbannt. Stattdessen: Respekt vor dem Andersdenkenden heißt auf zwischenstaatlicher Ebene Respekt gegenüber den Eigenheiten und Verständnis für die Schwierigkeiten der übrigen europäischen Länder. Auf allen Politikfeldern sind gemeinsam erarbeitete und getragene Lösungen anzustreben. Es ist ein Irrglauben anzunehmen, nationalistische Politiken dienten der Wohlfahrt und dem Frieden der Bürger in einzelnen Staaten mehr als solidarisches Handeln zwischen den europäischen Staaten. Jeder einzelne europäische Staat, ob klein oder groß, ist nur solange stark, wie er in einem friedfertigen Bürger-Europa auf die Solidarität der übrigen Staaten bauen kann.

(iii) Das deutsche Verhältnis zu Russland muss einen grundlegenden Wandel erfahren. Russland ist Teil Europas. Es ist unverzeihlich, dass deutsche Außenpolitik, besonders nach Ende des „Kalten Krieges“, nicht aktiv daranging, wie von Gorbatschow vorgeschlagen, Stück für Stück das gemeinsame europäische Haus zu bauen. Deutsche Politik hat nach zwei verheerenden Weltkriegen, in denen durch deutsche Schuld 25 Millionen Russen ihr Leben lassen mussten, immer noch nicht begriffen, dass ein Freundschaftsvertrag mit diesem Land eine Priorität ersten Ranges sein muss. Dieses Versäumnis ist einer USA-hörigen Außenpolitik zu verdanken, die über den Rahmen einer von den USA diktierten NATO-Politik nicht hinaus zu denken vermag. Mit einer neuen Europa-Politik ist untrennbar eine Politik der freundschaftlichen Annäherung an Russland und dessen Einbeziehung ins „Europäische Haus“ verbunden. Sicherheit und Frieden in Europa sind nur mit Russland als engem Partner möglich, nicht gegen Russland. Die USA muss zur Tolerierung einer derartigen Friedenspolitik gewonnen werden, denn sie ist auch im ureigenen Interesse der USA und dient dem Weltfrieden. Der kapitalistische militärisch-industrielle Komplex der USA wird seine Weltpolizisten-Rolle notgedrungen aufgeben müssen, denn letztendlich werden auch die Bürger dieses Landes darauf drängen, nicht international isoliert und in dauernde kriegerische Konflikte verstrickt zu werden.

Wie sollte deutsche auswärtige Friedenspolitik bezüglich NATO, UN und Übriger Welt aussehen?

(i) Eine von den USA einseitig diktierte NATO-Politik sollte von Deutschland und EU nicht mitgetragen werden. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, kein Angriffsbündnis. Es muss darauf hingearbeitet werden, dass sich Russland diesem Bündnis in geeigneter Form anschließen kann. Sollten die USA einseitig und imperial militärisch intervenieren wollen, darf das nicht von D und EU mitgetragen werden. Ist eine militärische Präsenz und Einschreiten von D und EU in außereuropäischen Ländern gewünscht, bspw. aus humanitären Gründen oder aus Gründen der Prävention von Bürgerkriegen und der Sicherung des Weltfriedens, so sollte ein derartiger Einsatz einzig und allein aufgrund einer Ermächtigung des Sicherheitsrates der UN erfolgen. Konkret heißt das, dass die Bundeswehr nur mit UN-Mandat außerhalb Europas eingesetzt werden darf.

(ii) Die wohl wichtigste friedenspolitische Aufgabe einer neuen deutschen Außenpolitik muss das Bestreben sein, die UN zu reformieren. Sie ist die einzige international legitimierte Organisation, deren primäre Aufgabe die Sicherung des Weltfriedens ist und die internationales Recht sprechen und durchsetzen darf. Als solche wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg von allen Nationen der Welt begründet. Jedoch sind die UN mit der derzeitigen Organisationsstruktur völlig überfordert, dieser Aufgabe angemessen nachkommen zu können. Analog zur EU sind die UN ein Staatenbündnis, in dem die Regierungen der Staaten das Sagen haben, nicht die Völker. Um diesen Mangel zu beheben, haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche zivilgesellschaftliche Foren mit Menschen aus aller Welt gebildet, die einen immer größeren Einfluss auf Entscheidungen der UN nehmen (bspw. in Fragen des Klimas, der Abschaffung von Diskriminierungen aller Art, der Besserung der Lebensverhältnisse benachteiligter sozialer, ethnischer, kultureller Gruppen). D und EU sollten diese weltweiten, zivilgesellschaftlichen Organisationen fördern und dazu beitragen, dass ihnen im Rahmen der UN nicht nur Vorschlagsrechte sondern auch Entscheidungsrechte eingeräumt werden.

Der zweite entscheidende Mangel der UN ist seine Regierungsstruktur. Die UN-Vollversammlung, in der alle Staaten der Welt, durch ihre Regierungen vertreten, gleichgewichtig mitreden und bestimmen, hat gegenüber der „Weltregierung“, dem 15 Mitglieder zählenden UN-Sicherheitsrat, wenig Mitsprache bei Fragen des Weltfriedens. Im Sicherheitsrat sind es die fünf permanenten Mitglieder mit Vetomacht, die sich im Allgemeinen gegenseitig blockieren und so wichtige Entscheidungen für den Weltfrieden selten oder gar nicht treffen. Dieser unsägliche Zustand, der nun schon seit Gründung der UN andauert, muss endlich überwunden werden, um Konflikte in der Welt schneller und friedvoll zu lösen. Ein entscheidender Beitrag dazu könnte eine engere Zusammenarbeit von D und EU mit Russland sein. D und EU sollten Brückenfunktion zwischen den beiden wichtigsten Atommächten einnehmen, anstatt einseitig der imperialen US-Politik zu folgen. Würde Russland nicht ständig auf Betreiben der USA von der westlichen Welt isoliert, könnte seine Opposition im Sicherheitsrat gemindert werden, was zur Lösung zahlreicher regionaler Konflikte in der Welt beitrüge. Jedoch muss danach ein zweiter entscheidender Schritt für ein besseres Funktionieren des UN-Sicherheitsrates eingeleitet werden: Das Veto-Recht der permanenten Mitglieder ist mittelfristig durch ein qualifiziertes Mehrheitsrecht zu ersetzen.

(iii) Deutsche Friedenspolitik und Zusammenarbeit gegenüber den Schwellenländern und weniger entwickelten Ländern sollte unter dem Leitsatz stehen: Freundschaft, Solidarität und friedensfördernde Zusammenarbeit bei gegenseitiger Achtung und Anerkennung der universalen Menschenrechte als Richtschnur des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausches. Dabei muss eine nach dem Zweiten Weltkrieg begonnene neokoloniale Ausbeutung von Rohstoffen durch Deutschland und Europa umgehend ersetzt werden durch eine Politik, die darauf setzt, diese Länder zu befähigen, ihre Rohstoffe selbst zu Fertigprodukten zu veredeln, um sie auf dem Weltmarkt zu fairen Preisen zu handeln. Eine solche Kehrtwendung deutscher und europäischer Zusammenarbeit setzt in erster Linie den Transfer von Wissen und Technologien voraus, der durch den Aufbau von Wissens- und Technologiezentren im interkulturellen Kontext erfolgen sollte. Ein Brunnen oder ein gepflanzter Baum in der Wüste machen sich wunderschön im Deutschen Fernsehen, aber Brunnenbau und Aufforstung wie auch die Herstellung von Fertigprodukten sind erst dann nachhaltig, wenn die dazu notwendigen Techniken in Zentren zur Wissensübermittlung und beruflicher Bildung von der Jugend des betreffenden Landes erlernt und selbständig angewendet werden können. Die alten Kulturländer China und Indien haben vorgemacht, wie Entwicklung stattfindet, nämlich durch selbst erworbenes Wissen und Beherrschung technologischer Produktionsprozesse. Neokolonialistische, paternalistische Vorgehensweise in der internationalen Zusammenarbeit, die Deutschland auch an US-Seite tatkräftig mithilfe von Weltbank und Internationalem Währungsfonds seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts aufrecht erhält, muss endgültig der Vergangenheit angehören. Das wäre Deutschlands wichtigster Beitrag, um sozialen Missständen, Bürgerkriegen und Flucht in den Partnerländern entscheidend vorzubeugen und um schließlich das unheilvolle Kolonialerbe überwinden zu helfen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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