Aufhebung von Ausgrenzung von Minderheiten

Fahrt zur Moskitia Projekt: Gründung einer technischen Universität für Afrika-Abstämmige in La Ceiba, Honduras, Karibikküste

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Foto: Hermann Gebauer (6. März 2015), Pulperia Nohemy in La Ceiba, Karibikküste Honduras

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Meinen Kaffee nahm ich am ersten Morgen nach Ankunft in La Ceiba vor der Pulperia (kleines Lebensmittelgeschäft mit allerlei Krimskrams) von Nohemy, einer liebenswürdigen, fülligen Besitzerin und Köchin in einer Person, ein. Sie arbeitet hinter einem schützenden Eisengitter, durch das sie mit Mühe Essen und Waren hinausschieben sowie Händeschütteln kann. Sie klärte mich sogleich auf, warum La Ceiba in den Jahren nach meinem letzten Besuch in 2008 derart heruntergekommen war. Die Narcos, der Drogenhandel und die damit verbundene höchste Kriminalitätsrate in der Welt hatten aus einer pulsierenden, typisch feuchtwarmen Karibikstadt eine Stadt gemacht, in der zahlreiche Betriebe ihre Produktion eingestellt hatten, die Besitzer das Weite meist in den USA suchten und auch die Jugendlichen nichts sehnlicher wünschten als auszuwandern.

Die elfjährige Angela aus einer Mittelstands-Ladino-Familie (so werden die Mestizen in Honduras genannt) hatte wahrlich das Gesicht eines Engels. Ihre Mutter hatte ihr und der vierzehnjährigen Maria erlaubt, mich zu einer zwei Straßenecken entfernten Pulperia zu begleiten. Es war bereits gegen sechs Uhr am Nachmittag. Wir würden vor Einbruch der Dunkelheit zum zweistöckigen Apartmenthaus zurückkommen. Ohne Begleitung durften die Kinder sowieso nicht aus dem mit Vorgarten und Garagenplatz ausgestatteten Haus hinaus. Angela besuchte des morgens die sechste Klasse der Grundschule. Maria, die sich gerade im besten Adoleszenten-Alter befand, hatte den Besuch der dritten Klasse in ihrer Sekundarschule auf Veranlassung der Eltern aufgegeben, weil, wie sie sagte, es „hombres malos en todos los lados“ (überall üble Männer) gäbe. Die Familie hatte das Apartment unter meinem, mit einem chilenischen Kollegen geteilten, gemietet, da sie auf dem Sprung in die Vereinigten Staaten ist. Vor einiger Zeit war ein Onkel von Narcos erschossen worden. Sie hatten ihr gutgehendes Geschäft aufgegeben und hoffen nun, irgendwann von der US-Botschaft das Visa zur Ausreise zu bekommen. In den Staaten haben sie Verwandte.

Was hatte mich dazu gebracht, aus meiner schönen Costa Esmeralda an der panamaischen Pazifikküste zu einem dreiwöchigen Aufenthalt nach Honduras aufzubrechen? Welches Insekt hatte mich da wieder gestochen, mein beschauliches und einigermaßen sicheres Rentnerdasein zu unterbrechen, das wie geschaffen zum Schreiben ist und dazu einlädt, sich den Ozeanwinden und einem gesunden Lebensstil hinzugeben? Was konnte es Besseres geben nach einem oft risikoreichen, doch äußerst interessanten und nützlichen Arbeitsleben als Entwicklungsberater in der „Dritten Welt“ als „Meine Costa“?

Celeo, der Präsident der Nichtregierungsorganisation ODECO in La Ceiba, der größten Stadt an der Karibikküste von Honduras, schickte mir eine Mail, er sei augenblicklich in Panama auf einem Seminar über AIDS und seine Eindämmung in Lateinamerika. Da ich zwischen 2003 und 2009 mit den autochthonen Völker Honduras gearbeitet hatte, Celeo und seine Organisation, die die Rechte der Garifuna (ehemaliges Sklavenvolk) vertrat, sehr gut kannte, fuhr ich von Costa Esmeralda nach Panama City, um mich mit ihm zu treffen. Celeo fragte mich, ob ich die Garifuna bei der Planung einer Universität für die Afrika-Abstämmigen in Lateinamerika unterstützen könnte.

Die Idee der Gründung einer praxisorientierten Universität, die Schüler, Eltern und Studenten, kurz die gesamte Bevölkerung des ehemaligen Sklavenvolkes der Garifuna in Honduras und auch afrika-abstämmige und indigene Studenten aus dem übrigen Lateinamerika in die Errichtung einer eigenen Universität einschließt, war unser gemeinsamer Traum seit 2006, als wir zusammen mit indigenen Völkern eine Entwicklungsstrategie entwickelten. Mit Beginn der Kolonialzeit bis zum heutigen Tag sind die autochthonen Völker vor allem politisch, ökonomisch und sozial ausgegrenzt. Insbesondere die Garifuna-Familien haben wegen der Diskriminierung seit Generationen ihr Heil in der Auswanderung nach Nordamerika oder in die Städte gesucht. So sind die Daheimgebliebenen, vorwiegend Frauen und Kinder, von Geld-Überweisungen aus dem Ausland, einer Subsistenz-Landwirtschaft und Fischfang für den Eigenbedarf abhängig. Das Positive der Überweisungen ist die Möglichkeit der Finanzierung des Schulbesuchs bis zum Abschluss der Sekundarausbildung. Das Negative ist die dadurch geweckte Sehnsucht der Jugendlichen, ebenfalls auszuwandern und ihr Heil in der Fremde zu suchen.

Die Errichtung einer praxisorientierten Universität soll berufliche Ausbildung und Existenzgründung in den von den Vorfahren vererbten Gemeinden an der Karibikküste von Honduras und anderen Gebieten in Lateinamerika und Karibik möglich machen und den Exodus in die Fremde nach und nach einschränken. Die Universität soll gleichzeitig neben dem Vollstudium der Studenten berufsbildende Schulung für Jugendliche mit kürzerer Schulausbildung sowie Fortbildung für Erwachsene anbieten.

Es ist ein Konzept, dass ich so auch als vielversprechendstes ansehe, um Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern der Peripherie erfolgreich werden zu lassen, d. h. um mittel- und langfristig diesen Ländern den Start zu einer endogenen Entwicklung zu ermöglichen. Die weltweite Ausbeutung der Peripherie durch kapitalistische Metropolen seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Menschheit an den Rand einer Katastrophe gebracht. Bisherige „Entwicklungshilfe“ seit 60 Jahren ist schlichtweg Neokolonialismus, mit wenigen Ausnahmen, zumeist Tropfen, die im Wüstensand versickern. Das betrifft auch die milliardenschwere deutsche Entwicklungszusammenarbeit, die Generationen von deutschen „Experten“ und Bundestagsparteien-„Soldaten“ einträgliches Rentnerdasein finanzierte und deutsche Industrie mit zum schäbigen Blühen auf Kosten der Elenden der Welt verhalf. Dieser Elend produzierenden „Hilfe“ kann nur begegnet werden, wenn Zivilgesellschaften in aller Welt befähigt werden, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und lernen, die Gefräßigkeit und Eigennützigkeit nationaler und internationaler Regierungen zu zügeln.

ODECO hatte seit 2011 eine erste weltweite Konferenz der afrika-abstämmigen Völker in La Ceiba einberufen und in der Vollversammlung der UN erreicht, dass das Jahrzehnt 2015 bis 2024 zur ersten Entwicklungsdekade dieser Völker erklärt wurde. Im Rahmen dieser Dekade soll die internationale, multikulturelle und praxisorientierte Universität das Gerüst für zukünftige autonome Entwicklung in den jeweiligen Heimatländern werden und gleichzeitig transkontinentale kulturelle Bindungen stärken und so zum Frieden beitragen.

Am 6. und 7. März hatte ich mit dem chilenischen Kollegen eine erste Gelegenheit, mit Jugendlichen aus La Ceiba über Lebens- und Arbeitsperspektiven zu diskutieren. Sie waren einhellig der Meinung, Zukunft gäbe es nur bei Auswanderung. Andererseits konnten sie sich vorstellen, bei guter beruflicher Ausbildung und entsprechenden Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten im Lande ihrer Väter und Mütter zu bleiben und ein neues Kapitel in der Geschichte ihres Volkes aufzuschlagen. Ihre Studienpräferenzen waren in erster Linie Informatik, dann Rechtswissenschaft und Medizin.

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Foto: H. Gebauer (6.3.2015), Diskussion mit Jugendlichen in den Räumen von ODECO

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Mit Daniel (Name geändert), meinem chilenischen Kollegen, begab ich mich am Sonntag, den 8. März auf einen Stadtrundgang, auf dem wir den Niedergang La Ceibas in Augenschein nahmen. Am Montag, dem 9. März, wollten wir frühmorgens zu einer dreitägigen Tour in die Moskitia-Region an der Grenze zu Nicaragua aufbrechen, um mit drei Garifuna-Gemeinden ebenfalls ueber die Nuetzlichkeit einer Universitaetsgruendung fuer die laendliche Bevoelkerung nachzudenken.

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Foto: Hermann Gebauer (8.3.2015), Blick auf einen Stadtteil La Ceibas von der neuerbauten Mole aus

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Ende der ersten Folge

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

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