Erlebnisse in der "Dritten Welt"

Guinea Bissau (2) Arbeits- und Lebensstationen im Ausland seit 1976. Aufzeichnungen für die Daheimgebliebenen

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Guinea Bissau (2)

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Foto: Ehemaliges "Grande Hotel" in Bissau, Quelle: "Rui's öffentliches Web-Album/Picasa"

Meine Ankunft in der damals 100.000 Einwohner zählenden Hauptstadt (Gesamtbevölkerung z. Z. der Unabhängigkeit etwa 650.000) von Guinea Bissau war abenteuerlich. Trotz der Morgenstunde empfing uns Fluggästen eine brütende, feuchte Sauna-Hitze. Es herrschte das typische Klima zu Ende der Regenzeit. Jenseits der Landebahn war die Landschaft von zweimeterhohem, saftig grünen Elefantengrass verschluckt. Die wenigen Schritte zum Flughafengebäude genügten, mich klitschnass den Zollbeamten zu präsentieren. Ich war der einzige Weiße in einem Wirbel von schwitzenden, vor Freude überquellenden Menschen, die die Neuankömmlinge erwarteten. Von allen Seiten drängte man sich um mich herum und sprach wasserfallartig in Kreolisch auf mich ein, so dass mir nach diesem schlaflosen Nachtflug, im Flugzeug genossenen Portwein und dem drastischen Klimawechsel ganz schwindlig wurde. Mein Portugiesisch war holperig, aber irgendwie konnte ich mich dank eines Einladungs-Telegramms von Vasco Cabral, dem damaligen Planungs- und Wirtschaftsminister und zweitem Mann im Staate, in dessen Ministerium ich helfen sollte, die Abteilung für Investitionsplanung aufzubauen, mit meinem Gepäck aus dem Gebäude drängeln. Ich hoffte, jemand vom Ministerium würde mich abholen. Aber mein Telegramm mit den Ankunftsdaten landete erst zwei Tage nach meiner Ankunft in den Händen des Ministers. Als vorläufiges Domizil war das „Grande Hotel“ angegeben, das damals erste Hotel am Platze mit ruhmreicher Kolonialvergangenheit. Dort kam ich denn auch mit dem einzigen klapprigen Bus, eingepfercht wie in einer Sardinenbüchse, nach einer 10 km langen Fahrt heil an.

Mein zugewiesenes Zimmer war abgedunkelt, roch feucht-modrig, besaß eine Dusche neben dem weiß bezogenen Doppelbett, einen Schrank und, wie ich mit Schrecken feststellen musste, jede Menge Riesen-Kakerlaken, die frech aus dem Ablaufrohr krabbelten, und die sich selbst auf dem Bettlaken tummelten. Die Kakerlaken waren meine erste Begegnung mit tropischen Insekten, mit denen fortan ein ewiger Abwehrkampf zu bestehen war. Ich hatte Glück, einen funktionierenden Deckenventilator im Zimmer zu haben sowie eine Glühlampe, bei deren Licht man sich die Augen verdarb. Nach all dieser Aufregung seit meiner Ankunft in Bissau fiel ich umgehend in tiefen Schlaf, zwei Stunden dauernd, nackend, schwitzend aus allen Poren, traumlos.

Jäh wurde ich durch starkes Klopfen an der Tür aufgeschreckt. Mit einem Handtuch notdürftig bedeckt und hinter der Tür versteckt, öffnete ich diese einen Spalt. Eine barbusige, stark gebaute Guineerin, nur mit Lendentuch bekleidet, stand vor der Tür, wild auf Kreolisch gestikulierend. Ich verstand zuerst nur Bratkartoffeln. Dann wurde mir durch ihre Gesten klar, dass sie mir ihre Liebesdienste anbieten wollte. Irritiert durch soviel Dreistigkeit, wie es mir damals erschien, schüttelte ich verneinend mit dem Kopf und schloss die Tür abrupt.

Warum erwähne ich diese ersten, scheinbar unwichtigen Begebenheiten nach meiner Ankunft in einer mir bisher völlig unbekannten Welt? Noch heute, nach beinahe 40 Jahren, sehe ich jede Szene detailgetreu vor meinem inneren Auge, wie in einem Film.

Ich meine, dass längst vergangene Sprünge in unserem Leben immer dann lupenhaft klar hervortreten, wenn es sich um Eckpunkte handelt, die den bisherigen Verlauf in eine besondere Richtung wenden. Das alltägliche Flussbett des Lebens verliert sich mehr oder minder in der Erinnerung. Tobende Wasserfälle jedoch, die Sinne und Geist für eine kurze Wegstrecke in neue Bahnen lenken, brennen sich tief in die Persönlichkeit der Menschen ein und werden ihr Wesens-Mal bis zum Tod unauslöschlich machen. Meine Ankunft in Bissau war so ein Eckpunkt.

Welche vorherigen hatte ich bereits hinter mir?

Im Kindesalter waren es die Panzer der britischen Alliierten und der Begriff „Auschwitz“. Beides rief Schrecken und jahrelange Albträume hervor, obwohl ich die Zusammenhänge gar nicht verstand. Danach: Das glückliche Jugendalter im Wirtschaftswunderland wurde durch die filmischen Dokumentationen über die Konzentrationslager blitzartig unterbrochen. Scham machte sich breit und auch die bange Frage der möglichen Mitschuld der Eltern. Letztere gab es nicht, es gab aber auch keinen aktiven Widerstand. Die elterliche Familie stand am Beginn, das Lebens-Fundament für zahlreiche Kinder und „Adoptivkinder“ zu gießen. In mir erwuchs der unbedingt im Leben zu verfolgende Gedanke, dass Widerstand gegen unmenschliche Herrschaft ein Leitsatz meines Lebens sein müsste, dem man nicht ausweichen darf. Nächste Station war das Erleben der Liebe und die Familiengründung, während der späten Schulzeit, den zwei Jahren der Bundeswehr und Beginn des Studiums. Dann rückte der 2. Juni 1967 mit der Erschießung von Benno Ohnesorg in Berlin durch einen Verfassungsschützer meine ganze Aufmerksamkeit auf zukünftig zweigleisig zu verfolgende Ziele:

Materielle Sicherung der Familie bei gleichzeitigem gesellschaftlichen Engagement für ein freies Deutschland: Niemandem untertan aber auch im Innern wie im Äußeren Niemanden unterdrückend.

Diese Ziele brachten mich unmittelbar und mit aller Energie mitten hinein in den Strudel der 68er-Bewegung; nicht als theoretischen Dogmatiker wie viele meiner ehemaligen Kommilitonen, sondern schon seit Beginn als libertären Anarchisten und Praktiker. Autoritäre Knüppel in der damaligen Studentenbewegung riefen bei mir Assoziationen mit menschenverachtenden Herrschaftssystemen hervor, die die Geschichte zahlreich vor uns ausgebreitet hatte. Etliche lagen sozusagen vor der Haustür, gleich hinter der Mauer. Viele Befreiungsbewegungen und auch die kubanische Revolution wussten um die Freiheits-Sehnsucht der antiautoritären 68er-Generation der westlichen Welt und verpackten ihre ideologischen Botschaften geschickt hinter Begriffen wie u. a. demokratischer, freiheitlicher Sozialismus, die begierig aufgegriffen wurden. Doch saß bei mir bezüglich der Begriffe Sozialismus und Kommunismus bereits ein warnender Stachel im „Fleisch“. Alle bisherigen gesellschaftlichen Systeme, die sich sozialistisch oder kommunistisch bezeichneten, waren Kinder zumeist kleinbürgerlicher, selbsternannter autoritärer Eliten, die Revolutionen von oben herab durch Avantgarden anstrebten.

Mit diesem ideologischen Gepäck auf dem Rücken, mit Hoffnung und mit Misstrauen zugleich, machte ich mich auf den Weg nach Guinea Bissau und wollte meinen bescheidenen Teil zu einer besseren Welt beitragen. Die Entscheidung fiel dabei innerhalb von zwei Wochen. Vasco Cabral hatte die Amilcar Cabral Gesellschaft um Beistand zum Aufbau seines Ministeriums gebeten, und ich entschloss mich spontan, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Für mich bedeutete das, einem beruflichen Traum nachzukommen. Meine beiden Kinder waren schon beinahe 10 und 12 Jahre alt und lebten in der Familie der neuverheirateten Mutter. Meine Unterhaltszahlungen für sie waren geregelt, und ich besaß eine Ersparnis von 3.000 DM. Mit dieser hoffte ich, die ersten Monate in Guinea Bissau zu überbrücken. Und vielleicht würde es mir gelingen, später „Dienste in Übersee“, die Nichtregierungsorganisation der evangelischen Kirche (heute „Diakonisches Werk“), zu gewinnen, mir einen dreijährigen Einsatz in Guinea Bissau zu finanzieren. (Was mir dann auch gelang, obwohl ich damals längst aus der evangelischen Kirche ausgetreten war. Das rechne ich der evangelischen Kirche hoch an. Wenn doch die Anstellung von Staats wegen ebenso unabhängig erfolgen würde, wäre schon Vieles in Deutschland gewonnen.)

Für einen jungen Ökonomen mit Interesse in Entwicklungspolitik war Guinea Bissau gleich nach Erlangung der Unabhängigkeit das ideale Land, um die Geheimnisse einer Staats- und Nationenbildung hautnah mitzuerleben und selbst Teil eines freiheitlichen Entwicklungsprozesses zu sein. Jedoch wurde dieses kleine Land, das einen zehnjahrelangen Befreiungskampf gegen den portugiesischen Kolonialismus hinter sich hatte, der die traditionalen Gesellschaftsstrukturen der verschiedenen Ethnien, animistische und islamisierte, nur marginal berührt hatte, in der Folge ganz schnell und mithilfe einer winzigen, hauptsächlich kapverdischen Assimiliertenschicht, der sozialistischen PAIGC, zum Experimentierfeld auswärtiger Mächte.

Es war kurz vor Mittag, als ich mich nach einem starken Espresso auf der Terrasse des „Grande“ auf einen ersten Spaziergang durch die „Steinstadt“ begab. Diese vormals von den Portugiesen erbaute Kernstadt von Bissau erstreckt sich im Wesentlichen vom Präsidentenpalast bis hinunter zum Hafen am Geba-Fluss, dort, wo er es nicht mehr weit hat, um sich in der Weite des Atlantik zu verlieren.

Untenstehendes Foto zeigt den im Bürgerkrieg (in den 90er Jahren) zerstörten Präsidentenpalast, vormals Sitz des portugiesischen Kolonial-Gouverneurs. Quelle: Picasa Rui's öffentliches Web-Album.

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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