Humanistische, Weltbürgerliche Bewegung

Was kommt nach Merkel? Politischer Wandel als Antwort auf das festgefahrene parlamentarische System und den gesellschaftlichen Stillstand in der Republik

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Foto: Wikimedia Commons: Deckenfresko zur Schöpfungsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle, Gott, mit Eva unterm Arm, erschafft Adam, von Michelangelo 1508-1512 [Machen sich der deutsche Adam und die deutsche Eva nach mehr als 70 Jahren Nachkriegszeit auf den humanistischen, weltbürgerlichen Weg in die Freiheit oder verharren sie stumpf in Knechtschaft?]

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Mensch muss das politisch Mögliche, das in die Freiheit führende, denken und immer wieder öffentlich aussprechen, solange bis es in einem günstigen historischen Augenblick tatsächlich möglich wird.

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Plädoyer für die Konstitution einer „Humanistischen, Weltbürgerlichen Bewegung“ für die Nach-Merkel-Zeit

Man möge mich Phantast, Spinner, Idealist und was auch immer nennen, trotzdem beharre ich auf meiner Meinung: Gesellschaftlicher Wandel ist in eingerosteter, selbstgefälliger Republik dringend erforderlich und bei gutem Willen und wachem Verstand möglich.

In meinem letzten Beitrag „Merkel-Krise, Nehmen Sie Ihren Hut Madame“ ( hier ) führte ich unter anderem auf:

Zehn Jahre Merkel-Herrschaft haben das parlamentarische System der Republik in eine Bundestags-Parteien-Diktatur ausarten lassen, das jedwede demokratische und humanistische Erneuerung im Keim erstickt.

Wir wissen es alle: Merkel muss weg, inklusive „Schatten“ Schäuble, und das schleunigst. Aber nur eine stetig anschwellende Rechte spricht offen aus, was längst hätte passieren müssen.

Die Kanzlerin, die nach dem Mauerfall den Kapitalismus mit Löffeln gefressen hatte, hechelt ratlos und verzweifelt, Schäuble im Gefolge, den in immer kürzeren Abständen auftretenden Krisen hinterher und merkt nicht, dass alle Krisen einen Ursprung haben, nämlich in der Merkel-Krise, in ihrer Person selbst.

Die wichtigsten Gründe für Merkels sofortigen Abgang fasste ich wie folgt zusammen:

Innenpolitisch:

Praktizierung des Merkel-Syndroms, d. h. einer Politik der Angst und des Stillstandes (Weiterso), charakterisiert durch:

(i) Verfestigung des politischen Seilschaften-Systems mit Aufrechterhaltung des Untertanen-Status der Bevölkerung.

(ii) Bedingungslose Anerkennung des tod- und entfremdung-schaffenden, kapitalistischen Systems als „alternativlos“ statt allmählichen Einstieg in eine alternative, menschenwürdige Solidarwirtschaft zu initiieren.

(iii) Festhalten und Verschärfen der Agenda 2010, die eine Spaltung der deutschen Gesellschaft in Habende und Habenichtse, in satte, entpolitisierte, besitzheischende Mittelschicht und „arme“ Ausgegrenzte herbeigeführt und damit die Grundlage für eine neuerliche, xenophobe Rechtslastigkeit der Ausgegrenzten geschaffen hat.

(iv) Komplettes Fehlen von Anstößen zur Weiterentwicklung von universalen Menschenrechten und einer Ethik des Miteinander im Innern.

(v) Das Merkel-Syndrom wurde urplötzlich diktatorisch durch das „Wirschaffendas“ „verraten“. Doch gerade die Ausführung dieses ethischen Gebotes der Unterstützung von Menschen in äußerster Not wurde durch die spontane, diktatorische Entscheidung der Kanzlerin, die die deutsche und EU-Gesellschaft ungefragt in Haft nahm, konterkariert. Deutsche und europäische Bürger sind nicht gehorsame Erfüllungsgehilfen einer Kanzlerin, sie sind der Souverän in ihren Staaten.

Außenpolitisch:

Praktizierung des Merkelschen Totspardiktates und der Isolierung Russlands bei gleichzeitiger unerträglicher Vasallentreue gegenüber den US:

(i) Der Beginn des Merkelschen Spardiktates, mit Schäubles Einflüsterung, seit Beginn der Griechenlandkrise in 2010, hat die Hegemonialstellung von Deutschland in Europa verfestigt, Armut und Arbeitslosigkeit vor allem in Südeuropa befeuert und generell Ressentiments gegenüber D und neuen nationalistischen Bestrebungen in der EU Auftrieb verliehen.

(ii) Der Ausschluss Russlands aus einem dringend erforderlichen gemeinsamen europäischen Haus und damit auch aus einem Konsens-Gefüge innerhalb des UN-Sicherheitsrates, notwendig für weltweite Friedenssicherung, ist ein Kardinal-Fehler Merkelscher Außenpolitik.

(iii) Aufrechterhaltung eines unwürdigen und unheilvollen Vasallenstatus gegenüber dem zusammenbrechenden US-Empire, das durch die tumbe deutsche Gefolgschaft in seinen weltweiten politischen Verfehlungen statt gebremst sogar noch beflügelt wird (Jüngste Beispiele unter vielen: TTIP und „Koalition der Willigen“ im sogenannten Krieg gegen den IS)

(iv) Das seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts uneingeschränkte Mit-Wirken von D im Kontext der kapitalistischen Ausbeutung (zusammen mit EU, Weltbank, Weltwährungsfonds und US) von peripheren, ex-kolonialisierten Staaten und Förderung von deren inneren sozialen, ethnischen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Widersprüchen. Gerade diese verhängnisvolle Politik fällt augenblicklich mit aller Wucht D und Merkel auf die Füße.

Zum Ausblick in die Zukunft, in die Post-Merkel-Zeit, die hoffentlich alsbald in 2016 anbrechen möge, allen Unkenrufen der Merkel-Fanatiker und Angsthasen vor dem Ende des Status Quo zum Trotz, führte ich u. a. Folgendes aus:

Wie sollte es ohne Merkel innenpolitisch weitergehen?

Erst einmal mit Neuwahlen, für die es höchste Zeit ist. Davor darf sich niemand fürchten, im Gegenteil. Ohne Merkel wird das Versagen der politischen Klasse überdeutlich und die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Kehrtwende erkannt. Weder Regierungs- noch Oppositionsparteien verfügen über einen Kanzlerkandidaten und „leader“, der wenigstens einigermaßen charismatisch ist und politisch etwas auf dem „Kasten“, d. h. Durchblick hat und ehrenhaft ist. Alle BT-Parteien werden an Stimmen verlieren; gewinnen wird in hohem Masse die xenophobe Bewegung aus Pegida und AfD.

Gleichzeitig besteht jedoch die Chance für die Entstehung einer unabhängigen, humanistischen, weltbürgerlichen Bewegung, die sich aus der Zivilgesellschaft heraus entwickelt (wie auch am Engagement vieler Bürger bei der Bewältigung der jetzigen Zuwanderung deutlich zu sehen ist) und die eigene Direktkandidaten ins Wahlrennen schickt.

Ich sehe die parlamentarische Demokratie in D aufgemischt durch diese zwei neuen Bewegungen, grob ausgedrückt die Anti-Humanisten und die Humanisten (oder die Xenophoben und die Weltbürger). Dass die Alt-Parteien von einer mündig werdenden Zivilgesellschaft dabei ausgequetscht und finanziell ausgetrocknet werden (durch Abschaffung, bzw. Eindämmung ihrer eigenen Lobbys, den „Parteinahen Stiftungen“), ist positiver „side-effect“. Diese beiden Bewegungen (ideologisch aufgeheizte Begriffe wie Rechts und Links taugen zu ihrer Beschreibung nur bedingt), werden letztlich darüber entscheiden, ob D gesellschaftlich im Sinne einer Weiterentwicklung der Aufklärung vorankommt, oder aber stecken bleibt im kapitalistischen und/oder faschistischen Sumpf.

Wenn Konsens darüber besteht, dass gesellschaftlicher Wandel in einer politisch erstarrten Seilschaften-Republik und die Abwehr einer Xenophoben Bewegung nur über eine starke „Humanistische, Weltbürgerliche Bewegung“ zu erreichen ist, sollte es doch möglich sein, die verschiedenen Differenzen und Eitelkeiten innerhalb einer mehrheitlich weltoffenen und menschenfreundlichen Zivilgesellschaft über Bord zu werfen und den Mut zu haben, längst überfälligen gesellschaftlichen Wandel in Angriff zu nehmen: in Richtung auf Fortschreibung der Aufklärung, der universalen Menschenrechte und der Stärkung des Bürgers im Sinne des, wie im GG vorgesehenen, Souveräns im Staat.

Welche wesentlichen Ziele sollte eine Humanistische, Weltbürgerliche Bewegung (HWB) verfolgen und welche Schritte sind zu ihrer Bildung notwendig?

I Hauptziele einer Humanistischen, Weltbürgerlichen Bewegung (HWB)

(i) Gesellschaftlicher Wandel des derzeitigen erstarrten politischen Seilschaften-Systems in Richtung auf Emanzipation, größere Freiheit und Verantwortlichkeit seiner Bürger gegenüber politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen, um die volle Souverän-Rolle im Staate auszuüben wie im GG vorgesehen.

(ii) Weiterentwicklung des Parlamentarismus mittels „Unabhängiger BT-Abgeordneter“ und Brechung der gegenwärtigen politischen Monopol-Macht der BT-Parteien.

(iii) Verhinderung eines gesellschaftlichen Rechtsrucks in der Republik.

(iv) Wiederherstellung des Ansehens Deutschlands in Europa und der Welt als ein friedliebender, weltbürgerlicher, weltoffener, solidarischer und nicht bevormundender Staat (Schlussendliches Begräbnis des „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“)

II Schritte zur Bildung einer Humanistischen, Weltbürgerlichen Bewegung (HWB):

(i) Propagierung der Idee bei den humanistischen und links orientierten unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft, bspw. Campact, Mehr Demokratie, Bund, attac und v.a.m.

(ii) Bündnisbildung dieser Organisationen unter dem Stichwort „Bildung einer Humanistischen, Weltbürgerlichen Bewegung (HWB)“ zum Zwecke des Erreichens eines Grundkonsenses über die oben angegebenen Ziele.

(iii) Propagierung der Bewegung in möglichst vielen Medien, vor allem in den „humanistisch und links“ orientierten Medien. Das könnte nach dem Muster geschehen, wie für den Protest gegen TTIP geworben wurde, bei Ausnutzung der Kapazitäten der vorhandenen unabhängigen Organisationen.

(iv) Bildung von lokalen Komitees dieser Bewegung in Wahlkreisen mit dem Ziel der Identifikation von geeigneten unabhängigen Kandidaten und eventuellen regionalen/lokalen zusätzlichen politischen Zielen neben dem Grundkonsens.

(v) Bekanntmachen der Kandidaten durch das Internet und andere lokal spezifische Aktionen sowie massive Unterstützung der Kandidaten beim Wahlkampf.

(vi) Nach der Wahl: Begleitung der unabhängigen Abgeordneten in ihrer Arbeit und außerparlamentarische Unterstützung ihrer Initiativen sowie Kontrolle ihrer Parlamentstätigkeit.

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Bundestags-Parteien-Diktatur und Kapitalismus sind nicht in Stein gemeißelt. Beide können und müssen zugunsten der Emanzipation der Bürger und der Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Systems im Sinne der Aufklärung und der Universalen Menschenrechte friedlich überwunden werden.

Wenn der Bürger Souverän in einem menschenfreundlichen, weltbürgerlichen Staat sein will, kann ihn nichts daran hindern, es sei denn, er will es nicht.

LG, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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