Der linke Landesvater

Bodo Ramelow Im Freitag-Salon blicken Jakob Augstein und Bodo Ramelow auf ein Jahr Rot-Rot-Grün zurück. Wie erging es dem Land unter der linken Schreckensherrschaft?

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Bodo Ramelow, geboren 1956, wurde im Dezember 2014 erster Ministerpräsident der Partei die Linke
Bodo Ramelow, geboren 1956, wurde im Dezember 2014 erster Ministerpräsident der Partei die Linke

Foto: Jens Schlueter/AFP/Getty Images

Landesväter und Landesmütter sind nicht nur politische Figuren. Sie sind Repräsentanten, an die besondere Erwartungen geknüpft werden. Eine Prise Lokalpatriotismus, staatsmännisches Auftreten und Volksnähe sind stets gefordert. Dieses Format zu beweisen und gleichzeitig links und authentisch zu sein, stellt nach wie vor eine Gratwanderung dar. Ein gewisser Bodo Ramelow beweist nun seit mehr als einem Jahr, dass er diese Attribute auf besondere Weise miteinander kombinieren kann. Wirklich zugetraut hatten das dem westdeutschen Linken und protestantischen Gewerkschafter nur die wenigsten.

2014 wurde er im ostdeutschen Thüringen zum ersten linken Ministerpräsidenten gewählt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wagte sich ein rot-rot-grünes Bündnis auf die Regierungsbank. Ein Experiment mit offenem Ausgang, dass für einige den Untergang des Abendlandes und für andere die große Hoffnung auf eine potenzielle Signalwirkung darstellte.

Im gestrigen Radioeins Freitag Salon wagten sich eben jener Bodo Ramelow und der Verleger Jakob Augstein an ein Fazit der ersten zwölf Monate heran. Gemeinsam blickten sie auf eines der spannendsten Jahre deutscher Landespolitik zurück. Selbstverständlich nicht, ohne die akute Situation von geflüchteten Menschen zu betrachten. Selbst in dieser schwierigen Phase gelang es dem Regierungschef linke Akzente zu setzen und das beste für die Menschen herauszuholen.

Die Bilder, wie er Geflüchtete im Land willkommen hieß, sorgten für Aufsehen. Dass der Regierungschef gleichzeitig einen Winterabschiebestopp durchsetzte und den Asylkompromiss im Bundesrat ablehnte, zeigt, welchen Stellenwert die Situation unter seiner Führung hat. Spricht man ihn auf die vielen Bedenken gegenüber Geflüchteten an, stößt man auf wenig Verständnis. Zu Recht, denn für ihn stellen diese vielen neuen Menschen eine große Chance dar. Nicht ohne Grund setzt sich "selbst die Wirtschaft für eine humane Flüchtlingspolitik ein", so Ramelow.

Betrachtet man die Bevölkerungsentwicklung des Freistaats, 1990 gab es noch 2.8 Millionen Menschen in Thüringen, heute nur noch 2.1 Millionen, erklärt sich das von selbst. Dass trotzdem ganze 24 Prozent der Thüringer*innen vor Überfremdung warnen, anstatt die Chancen zu erkennen, macht sprachlos. Dabei ist es der geringe Ausländeranteil in Thüringen, der den Fremdenhass erst möglich macht. Begegnungen sind stets das beste Mittel gegen Vorurteile, so Ramelow. Wie tief diese in der Mitte der Bevölkerung Thüringens verwurzelt sind, zeigte kürzlich eine Studie.

Im Gespräch mit Jakob Augstein scheut sich Ramelow auch nicht davor, offen von rechtem Terrorismus, der in Form des NSU seine Ursprünge in seiner Landeshauptstadt hatte, zu sprechen. Auch deshalb hatte die neue Regierung wie keine andere ihre Lehren aus dem Staatsversagen gezogen. Unter heftiger Kritik des bürgerlichen Lagers, entschied sie sich als bisher erstes und einziges Bundesland dazu, der V-Männer-Praxis im Verfassungsschutz ein Ende zu setzen. Als neuen Präsidenten der Behörde setzte Ramelow dabei den für seine offene Kommunikation bekannten Generalsekretär des Zentralrats der Juden ein. Wenn es sein muss, zeigt der linke Landesvater eben klare Kante.

Gleichzeitig scheint Bodo Ramelow gelernt zu haben, wie man sich in der Rolle des Repräsentanten verhält. Es ist vor allem die Art und Weise seines Regierungsstils, die dabei überrascht. Wer hätte gedacht, dass der ehemalige Karstadtmitarbeiter, der als Kind unter Legasthenie litt und in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs, eines Tages ganz im Stile eines Landesvaters einen Freistaat führen würde? Heute ist es vor allem diese fast schon präsidiale Rolle, in der der ehemals als "Rambo Ramelow" betitelte Politiker glänzt – ob als Schlichter im GDL-Streik oder auf dem Parkett des Berliner Gorki Theaters, in das ihn Augstein geladen hatte.

Dabei gelingt Ramelow die hohe Kunst nicht konturlos zu enden. Wie viele Ministerpräsident*innen wirken auf der großen Bühne der Politik wie Provinzler aus der vorletzten Reihe? Ramelow schafft es trotzdem anzuecken. Mal in der eigenen Partei, in dem er seine erste Amtsreise nach Israel antrat ohne palästinensiche Gebiete zu besuchen. Mal in den sozialen Medien, in denen er nicht ungern die Konfrontation mit Verschwörungstheoretiker*innen und rechter Hetze sucht. Noch in diesen Tagen bestimmte er mit seinem Hohn und Spott über Björn Höcke die Schlagzeilen.

Der ehemalige Oppositionspolitiker scheint sich in den Rollen des Provokateurs, des Gestalters und Repräsentanten zu gefallen – und imponiert damit in Thüringen. Die Beliebtheitswerte steigen kontinuierlich. Anfang Dezember wurde er gar mit dem diesjährigen Politikaward zum "Aufsteiger des Jahres" gekürt. Denn es ist dieses Zusammenspiel aus staatsmännischem Auftreten und linker Politikgestaltung, das ihn auszeichnet. Im neu erschienenen Buch Der Rote. Macht und Ohnmacht des Regierens, wird diese Symbiose deutlich.

Monatelang hatte der Autor Landolf Scherzer den neuen Ministerpräsidenten begleitet. Ramelow betonte an diesem Abend im Freitag-Salon immer wieder, dass er nicht nur Thüringen, sodern alle drei Parteien der Koalition repräsentiert. Schaut man sich Ramelows Geschichte an, dann verwundert es nicht, dass ihm viel daran liegt, dieses Experiment zu einem Erfolg zu führen. Bereits 1997 initiierte er die sogenannte "Erfurter Erklärung", welche die Zusammenarbeit von PDS, Grünen und Sozialdemokraten forderte, um eines Tages eine Mitte-Links-Koalition organisieren zu können. Heute führt er die erste Koalition dieser Art und zeigt mit einer Stimme Mehrheit im Parlament, dass trotzdem stabiles Regieren möglich ist.

Beinahe täglich belegt die Koalition dabei, dass linke Politik eben doch realitätnsah und mehrheitsfähig sein kann. "Thüringen steht zum Entsetzen vieler noch", fasst Jakob Augstein diesen Erfolg ironisch zusammen. Was war nicht alles geschrieben worden, von der roten Revolution bis hin zum Ausbruch des Kommunismus. Geschehen ist nichts von alledem. Im Gegenteil, Ramelow scheint alle Kritiker nach und nach zu überzeugen. Schritt für Schritt arbeitet das rote Schreckensgespenst seinen Koalitionsvertrag ab. Wie versprochen wird der Staatshaushalt ohne neue Schulden auskommen. Gleichzeitig hat die Koaliton das Betreuungsgeld abgeschafft, 1.000 Langzeitarbeitslose im öffentlichen Sektor beschäftigt, das Wahlalter für Kommunalwahlen auf 16 Jahre abgesenkt und 500 neue Lehrkräfte angestellt.

Auch die Flüchtlingssituation meistert Thüringen vorbildlich. Mit berechtigtem Stolz weist der Landesvater im Salon mit Augstein darauf hin, dass er "eines von zwei Bundesländern, die keine Zelte brauchen", führt. Stattdessen entschied sich die Koalition von Beginn an dazu, einen anderen Kurs zu fahren. Konsequent stellte sie Hallen und Plätze zur Verfügung und wagt sich nun an die Integration der geflohenen Menschen heran. Erst kürzlich wurden neue Mittel für Sprachkurse bereitgestellt. Wäre Rot-Rot-Grün dazu in der Lage, würde die Koalition noch mehr tun, stellt Ramelow klar. Doch das wird erst möglich, "wenn die Kanzlerin neue Gelder bereitstellt – erst dann könen wir das auch wirklich schaffen!", so sein Appell.

Vor nun einem Jahr trat er mit dem Anspruch an, "die politische Landschaft zu erweitern". Heute zeigt sich, dass Ramelow und seine Mitstreiter*innen Recht behalten sollten. Schrittweise macht die neue Form von Politik deutlich, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, wer im Land die politische Richtung bestimmt. Das "Erfurter Modell" kann dabei auch zum Vorbild erwachsen, auch wenn Ramelow sich nicht als Vermittler auf Bundesebene sieht. Immerhin hat er in Thüringen genug zu tun und scheint froh zu sein, dass "Raumschiff Berlin" verlassen zu haben.

Doch jenes Raumschiff bestimmt den Kurs, der das große Ganze verändern kann. Damit dieses endlich wieder nach links steuert, braucht es auch in Berlin eine politische Alternative jenseits des konservativen Lagers. Nur dann können linke Ideen wie die Bürgerversicherung, ein gerechtes Steuersystem und mehr soziale Gerechtigkeit Realität werden. Ideen, wie ich sie mit spannenden Persönlichkeiten im sozialen Buchprojekt Nichtstun heißt, es tut sich nichts skizziere. Mit Blick auf Ramelow bleibt dabei zu hoffen, dass er weiterhin erfolgreiche Arbeit leistet, die eine Signalwirkung in Berlin hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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