Von Klamotten bis Kraftwerk: Alles über Störaktionen
Sabotage Klar denkt da jeder an die Letzte Generation, aber es gibt auch kleine(re) Attacken. Linsen im SUV oder Blumenkübel auf dem Golfplatz – schon mal gehört? Doch nicht jede Intervention ist progressiv. Stichwort: Tour de France. Unser Lexikon
Ob Krokodil auf dem Golfplatz oder Aktivist*innen auf der Autobahn: der Störfaktor ist hoch
Foto: Myakka Pines Golf Club/epa/dpa
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wie Auswaschen
Mit Gratis-Klamotten gelang Exit Deutschland, der Organisation, die Menschen beim Ausstieg aus der rechten Szene helfen will, ein Clou. 2011 schmuggelte Exit Deutschland 250 T-Shirts auf Europas größtes Rechtsrock-Festival. Auf den schwarzen Shirts war ein Totenkopf abgebildet samt rechter Parole für „Hardcore Rebellen“. Der Witz an der Störaktion: Nach dem ersten Waschgang verschwand die Aufschrift. Stattdessen war zu lesen: „Was dein T-Shirt kann, kannst du auch. Wir helfen dir, dich vom Rechtsextremismus zu lösen.“ Exit Deutschland machte die Aktion berühmt. Da sich viele im Netz über die Aktion ärgerten und Hunderte Medien berichteten, verbreitete sich der Name der Organisation schnell – auch unter abg
#8211; auch unter abgeschotteten Rechtsextremen. Und die Zahl der Aussteiger über Exit stieg. Die T-Shirt-Aktion blieb nicht die letzte trojanische Störaktion: Drei Jahre später widmete Exit Deutschland eine Nazi-Demo in einen Spendenlauf für Aussteigerprogramme um – und sammelte 10.000 Euro. Ben Mendelson Cwie CosmopolisHerzstück des Romans (2003) von Don DeLillo ist eine spektakuläre Straßenrevolte in New York mit maskierten Protestlern, Rauchbomben, einer Selbstverbrennung gar, einem riesigen Polizeiaufgebot und jeder Menge Kameras. Die weiße Stretchlimousine des Investmentbankers und Geldmagnaten Eric Packer wird in Cosmopolis zum Schaukeln gebracht. „Sie wissen, was der Kapitalismus hervorbringt. Laut Marx und Engels“, meint die scharfsinnige Frau neben ihm, die er als „Oberste Theoretikerin“ bei sich angestellt hat, „seine eigenen Totengräber.“ – „Aber das hier sind nicht die Totengräber … Diese Leute sind eine Fantasie, die der Markt hervorgebracht hat … Die sind notwendig für das System, das sie verachten ... Sie geben ihm Energie und Kontur.“ Später meint sie: „Es ist nicht echt“ (→ Eulenspiegel) – und bringt uns ins Grübeln. Irmtraud GutschkeEwie EulenspiegelTill Eulenspiegels paradoxe Interventionen waren keine harmlosen Streiche. Und trotz diverser koprophiler Motive (→ Golfplatz) nicht einfach nur „derber Humor“. Die Adaptionen von Charles De Coster oder zuletzt Daniel Kehlmann zeigen das. In der Filmerzählung von Christa und Gerhard Wolf hat der junge Till „eine Wut in sich“. Er ist „hungrig, gierig, neidisch“. Er sieht sein Gesicht in den bunten Fenstern des Barbiermeisters. Es gefällt ihm nicht. Er zertritt das Glas. „Zerstörung als Lust“. Erst in der nachträglichen Umdeutung der Anweisung „Geh hin, wo die hohen Fenster sind“ steckt der Schalk. Tills Widerstand wird gewaltfrei, aber immer böser. Das Meisterstück liefert der Narr aus dem Grab heraus. Mit ihm sei ein Schatz vergraben, lautet die Falschmeldung. Barone, Pfaffen und Bauern stehen dabei, als der Sarg aufgebrochen wird. Nur Steine darin. „Diebstahl“, rufen die Pfaffen. „Die Bauern!“, brüllen die Adligen und ziehen die Schwerter. Die Bauern packen die Steine und wehren sich. Michael Suckow Gwie GolfplatzIn einer Welt der Dürre Wasser für Luxusanlagen zu vergeuden, ist eine Schweinerei. Doch dagegen kann man etwas tun – wie Klimaaktivisten von Extinction Rebellion, die jüngst in Spanien zehn Golfplätze untauglich machten, indem sie die Löcher mit Setzlingen für Gemüsepflanzen oder Zement verschlossen. Dialektik des Klimaschutzes (→ Oder), der den Boden versiegelnde Zement dürfte sich als wesentlich effektivere Störaktion erweisen als die Handvoll Erde. Als zugleich Anfänger und Avantgarde dieser Protestform nimmt sich dabei der Golflochscheißer von Stavanger aus. 2015 meldeten verschiedene Medien, ein Unbekannterkacke seit zehn Jahren regelmäßig – allerdings nur an Wochentagen – in Löcher eines örtlichen Golfclubs. Motiv: unklar. Seither hat man nichts mehr gehört. Ob es dem Helden gut geht? Leander F. BaduraKwie KraftwerkMelbourne, den 20. September 1981. Kraftwerk befinden sich seit vier Monaten auf Tournee rund um die Welt. Und zwar mit dem prophetischen Album Computerwelt, der Blaupause für sämtliche kommenden Formen elektronischer Tanzmusik. Jeden Abend Zukunftsmusik. Doch Gründungsmitglied Florian Schneider hasst das Touren. Außerdem hat er immer schreckliches Lampenfieber. Kraftwerk haben bereits am Vortag ein Konzert im Princess Theatre gespielt. ‚Heute ohne mich‘, denkt er sich. Wortlos schleicht sich Schneider nach dem Soundcheck aus dem Backstage-Bereich, geht draußen stundenlang spazieren. Kurz bevor das Konzert losgeht, kehrt er zwar zurück, setzt sich aber in die erste Reihe. Dort entdeckt man ihn durch den Bühnenvorhang. Die Band ist längst in Panik. Einer wird losgeschickt, um ihn zu überreden. „Ich will aber nicht!“ Erst als man Schneider droht, die Tournee sofort abzubrechen und ihn aus der Band zu werfen, lenkt er ein. Das Konzert beginnt leicht verspätet. Uwe SchütteOwie OderStör-Aktion: In den vergangenen 15 Jahren wurden rund dreieinhalb Millionen Störe in der Oder ausgesetzt. Das Ziel der vom mecklenburg-vorpommerschen Umweltministerium betriebenen Maßnahme ist eine Fischpopulation, die sich selbst trägt. Damit sollen die Wanderfische vor dem Aussterben gerettet werden. Im Mai wurden weitere 2.000 baltische Störe in den Fluss gesetzt. Die Aktion musste aufgrund der Umweltkatastrophe im vergangenen Sommer verschoben werden, bei der Unmengen an Fischen vergiftet wurden. Ein durch Industrieabwasser bedingter hoher Salzgehalt hatte in Verbindung mit hohen Temperaturen das Wachstum einer toxischen Algenart begünstigt. Dabei verendeten in mit Oderwasser gespeisten Aufzuchtstationen auch Zehntausende Störe, die eigentlich für das Aussetzen vorgesehen waren. Tobias PrüwerRwie ReifenEs gibt Autos in der Stadt (überflüssig, aber okay). Und dann gibt es SUVs. Wer zur Hölle fährt so ein Teil mitten in der Großstadt? Die Dinger sind extra schwer, extra breit, die Parkplatzsuche extra schwierig, extra Staupotenzial, extra todbringend für andere Verkehrsteilnehmer:innen, extra klimaschädlich, weil extra schwer und breit, und außerdem so agil wie ein Gastro-Kühlschrank auf Rädern. Diesem Irrsinn haben Tyre Extinguisher (ein Wortspiel mit fire extinguisher, dem englischen Wort für Feuerlöscher) den Kampf angesagt. In Kleingruppen ziehen sie nachts durch die Straßen und stecken einzelne Linsen in die Ventile von SUV-Reifen (→ Zwecke). Über Nacht entweicht so langsam die Luft. Einen Zettel unter die Scheibenwischer gibt’s gratis dazu. Damit die Besitzer:innen auch wissen, dass sie bewusst Ziel einer Störaktion geworden sind, weil ihre Eitelkeit, so ein teures und großes Auto zu fahren, hilft, unsere Zukunft weiter zu zerstören. Die Reichen sind Hauptverursacher der Klimakrise. Ein bisschen Public Shaming kann ihnen nicht schaden. Alina Saha Swie StörfreimachungDie DDR-Führung wollte sich in den 1960ern aus ökonomischer Abhängigkeit von der Bundesrepublik befreien. Zumal die Bundesregierung 1960 kurzzeitig das innerdeutsche Handelsabkommen wegen der Berlinkrise aufkündigte. Daher wurde im Jahr des Mauerbaus die sogenannte Störfreimachung zur Abwehr von als Sabotage der DDR-Wirtschaft wahrgenommenen Aktivitäten beschlossen. Es sollte Einsparungen geben, Produkte sollten selbst hergestellt werden und Ersatzstoffe gefunden werden. Insgesamt bedeutete die Maßnahme die ökonomische Hinwendung zu den sozialistischen Bruderstaaten. Deren Volkswirtschaften waren allerdings nicht in der Lage, die DDR adäquat zu versorgen, um sie von kapitalistischer Produktion unabhängig zu machen. Die Störfreimachung wurde nach wenigen Jahren wieder zu den Akten gelegt. TP Wwie Wacht auf!„Wacht auf – denn eure Träume sind schlecht.“ Das ließ man sich in der jungen Wirtschaftswunderrepublik nur ungern sagen. Als Günter Eichs experimentelles Hörspiel Träume, dessen Abschlussgedicht mit diesen Zeilen beginnt, am 19. April 1951 gesendet wurde, waren die Hörerreaktionen entsprechend heftig. Protestschreiben waschkorbweise. 15 Jahre lang verschwand das Stück im Giftschrank des Nordwestdeutschen Rundfunks. So kam es für die Revolte der 68er genau zur rechten Zeit. „Unbequem“ zu sein, „Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt“ (→ Auswaschen), wie es am Ende des Textes heißt, war Ehrensache. Eich selbst rezitierte die Zeilen vor Ostermarschierern in Ulm, obwohl er schon längst mit ihnen fremdelte. Zu wohlfeil erschien ihm offenbar ihre politische Botschaft. Das tat der nachhaltigen Popularität der zur Metapher geronnenen Störaktion keinen Abbruch. Wer die Zeile googelt, stößt zuerst auf ein Aktionsbündnis, das sich rühmt, bereits zwei Automobilausstellungen im Namen des Klimaschutzes erfolgreich blockiert zu haben. Joachim FeldmannZwie ZweckeFür mein Kinderzimmer bekam ich eine Pinnwand aus Kork, damit einher ging eine Box mit bunten Reißzwecken. Ich ordnete meine Zettel thematisch und fügte jedem eine Zwecke in spezifischer Farbe hinzu. Aber was suchen die Nägel auf baskischen Straßen? Auf der zweiten und dritten Etappe der diesjährigen Tour de France wurden Reißzwecken auf die Strecke gestreut. Mehrere Profis mussten vor dem Etappenziel Bayonne ihre → Reifen wechseln. Was die Unbekannten damit anstoßen wollen, wissen nur sie selbst. Spaß statt Subversion, doch es ist ein hochgefährlicher. High-Tech-Räder haben nicht einfach einen Platten wie unsere Alltagsräder. Wenn mit einem Schlag die Luft rausgeht, kann es zu schweren Stürzen kommen. 2012 brach sich ein kroatischer Fahrer nach einer Nagel-Attacke das rechte Schlüsselbein. Zurück an die Pinnwand! Maxi Leinkauf