Ab dem Herbst wird Stefan Bachmann das Wiener Burgtheater übernehmen und damit Martin Kušej ablösen – der war seit 2019 am Ruder und hatte, nur zur Erinnerung, seine Bewerbung für eine Vertragsverlängerung mit der etwas beleidigten Erklärung zurückgezogen, nicht nur das Haus, auch seine Person würden durch einen „späten und langwierigen Entscheidungsprozess“ in eine „unsägliche“ Situation manövriert.
Mit seiner letzten Inszenierung als Hausherr hat er nun noch einmal ein Statement abgegeben: Als Stoff hat er Tennessee Williams’ Orpheus steigt herab gewählt – ein Text, der weder auf der Bühne noch im Kino unter dem Titel Der Mann in der Schlangenhaut mit Marlon Brando ein großer Er
ls Hausherr hat er nun noch einmal ein Statement abgegeben: Als Stoff hat er Tennessee Williams’ Orpheus steigt herab gewählt – ein Text, der weder auf der Bühne noch im Kino unter dem Titel Der Mann in der Schlangenhaut mit Marlon Brando ein großer Erfolg war. Angesprochen hat Kušej wohl nicht nur der kritische Blick, den das Stück auf eine tumbe, fremdenfeindliche Gesellschaft wirft, sondern auch eine geradezu mythische Künstlerfigur, die (unangepasst und freigeistig, wie Künstler halt sind) in Konflikt mit dieser starren Gesellschaftsordnung gerät, Sehnsüchte genauso erregt wie starke Abwehrreaktionen.Tennessee Williams konstruiert einen explosiven KonfliktDer titelgebende Orpheus ist Val, den Tim Werths auf der Burgtheater-Bühne als nicht nur äußerlich großen, aufrechten jungen Mann spielt. Ein einzelgängerischer Musiker, dessen „Lebensgefährtin“ die Gitarre und dessen Markenzeichen seine Schlangenlederjacke ist. Er hat dem Exzess abgeschworen, will im Einklang mit seinen Idealen leben, sich nicht kaufen, nicht benutzen lassen. Das wird freilich schwierig in dem engen Südstaaten-Örtchen, in dem er eher zufällig landet. Vermittelt von der fanatisch-religiösen Vee (mit einem Hauch Wahnsinn: Sarah Viktoria Frick) landet er im Gemischtwarenladen des Ehepaars Torrance und damit mitten in einer konflikthaften Ehe.Wobei „Konflikt“ noch ein Hilfsausdruck ist: Jabe (Martin Reinke) hat einst mit einem aufgehetzten Mob den Obstgarten von Ladys italienischstämmigem Vater angezündet – und den „Spaghettifresser“ gleich mit. Lady, von Lisa Wagner als stolze, harte, aber nicht hartherzige Frau gespielt, erfährt davon erst im Lauf der Handlung. Gebrochen ist sie schon davor. Ihre Jugendliebe David verließ sie damals, sein Kind trieb sie daraufhin ab. Das ganze Dorf redet davon, dass Jabe sie gekauft und noch dazu billig gekriegt habe. Val scheint der ersehnte Retter zu sein, der sie aus diesem Elend herausholt, aber es kommt natürlich anders und maximal tragisch.Martin Kušej inszeniert gewohnt bombastischKušej inszeniert das alles mit gewohnt bombastischer, großer Geste: Zu Beginn und am Ende des mit beinahe drei Stunden deutlich zu langen Abends lodern animierte Video-Flammen an dem einstöckigen, heruntergekommenen Gebäude hinauf, das die Drehbühne ausfüllt. Hochkant steht daneben ein Auto herum, das nur einmal spielerisch genutzt wird. Für die Musik, die in Williams’ Stück eine zentrale Rolle hat, hat Kušej Naked-Lunch-Gründer Oliver Welter geholt, der als weiß geschminktes Fanal der Outcasts zwischen den Szenen auftritt. Und auch Tim Werths greift als Val immer wieder zur Gitarre.Das alles aber kann nichts daran ändern, dass der Abend über weite Strecken nicht zu fesseln, die große Leidenschaft, die Verzweiflung trotz viel erdbeerroten Theaterbluts nicht zu überzeugen vermag. Star des Abends ist das Ensemble, Tim Werths und vor allem Lisa Wagner. Als triumphale Abschiedspremiere wird dieser Abend eher nicht in Erinnerung bleiben. Aber diese von ihrer erdrückenden Umgebung seltsam unverbogene Frauenfigur: Sie wird bleiben.Placeholder infobox-1