Als ich selbst Teenager war, interessierte sich mein Vater nicht sonderlich für die Musik, die mir gefiel. Für ihn klang alles nur nach „viel Lärm“, während er die Musik, die er hörte, selbstredend als „schön“ bezeichnete. Diese Haltung behielt er sein ganzes Leben lang. Selbst als er bereits in seinen 80ern war, wandte er sich einmal während eines Fernsehspots mit einem 50 Jahre alten Beatles-Song mir zu und raunte: „Weißt du, ich kann mit der heutigen Musik einfach nichts anfangen.“
Es stellte sich heraus, dass mein Vater damit nicht allein ist. Nun, da ich selbst nicht mehr zu den Jüngsten gehöre, höre ich oft Leute in meinem Alter Dinge wie „Sie machen einfach nicht mehr so gute Musik wie früher" sagen. Warum passiert das?
Glücklicherweise bietet mir meine Arbeit als Psychologe einige Einblicke in dieses Mysterium. Wir wissen, dass sich der Musikgeschmack bereits im Alter von 13 oder 14 Jahren herauszukristallisieren beginnt. Mit Anfang 20 sind diese Geschmäcker dann relativ fest verankert. Tatsächlich gibt es Studien, die besagen, dass die meisten von uns im Alter von 33 Jahren aufhören, neue Musik zu hören. Währenddessen werden Lieder, die rauskamen, als man selbst Teenager war, wahrscheinlich für den Rest deines Lebens in der eigenen Alterskohorte auch ziemlich beliebt bleiben.
Das Gehirn lässt nach
Dafür könnte es eine biologische Erklärung geben. Es gibt Indizien dafür, dass sich die Fähigkeit des Gehirns, subtile Unterschiede zwischen verschiedenen Akkorden, Rhythmen und Melodien zu machen, mit zunehmendem Alter verschlechtert. Für ältere Menschen könnten also neuere, weniger bekannte Songs wirklich alle „gleich klingen“.
Dennoch glaube ich, dass es einige einfachere Gründe für die Abneigung älterer Menschen gegen neuere Musik gibt. Eines der am besten erforschten Gesetze der Sozialpsychologie ist der so genannte „Mere-Exposure-Effekt“. Kurz gesprochen besagt er: Je mehr wir etwas ausgesetzt sind, desto mehr neigen wir dazu, es zu mögen. Das gilt für die Leute, die wir kennen, für die Werbungen, die wir sehen, und, ja, nicht zuletzt auch für die Songs, die wir hören.
Wenn man in seinen frühen Teenage-Jahren steckt, verbringt man wahrscheinlich eine ganze Menge Zeit damit, Musik zu hören oder Musikvideos anzuschauen. Die eigenen Lieblingssongs und -künstler werden einem vertraut und beschallen den eigenen Alltag. Für viele Menschen über 30 nehmen allerdings die Berufs- und Familienpflichten dermaßen zu, dass weniger Zeit bleibt, neue Musik zu entdecken. Stattdessen hören viele einfach alte, vertraute Lieblingslieder aus der Zeit ihres Lebens, in der sie schlicht noch mehr Zeit für Musik hatten.
Intensive Erinnerungen prägen Vorlieben
Natürlich sind diese Teenagerjahre nicht unbedingt unbeschwert. Sie sind bekanntlich zuweilen recht aufwühlend, weshalb sich so viele Fernsehsendungen und Filme um all die Irrungen und Wirrungen drehen, die man in seiner Schulzeit so durchmacht. Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass Menschen die Emotionen, die sie als Teenager erleben, intensiver erscheinen als die, die erst später im Leben folgen. Man weiß auch, dass intensive Emotionen mit stärkeren Erinnerungen und Vorlieben verbunden sind. All dies könnte erklären, warum die Lieder, die wir in der Jugend hören, so unvergesslich und beliebt bleiben.
Es ist also gar nichts falsch mit Eltern, die die Musik ihrer Kinder nicht mögen. In gewisser Weise ist das einfach ganz „normal“. Andererseits kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass ich eine Vorliebe für die Musik entwickelt habe, die meine eigenen Kinder hörten, als sie in der Pubertät steckten. Es gibt also durchaus Hoffnung für Jugendliche, die eigenen Eltern für Billie Eilish oder Lil Nas X zu begeistern.
Dieser Artikel erschien zuerst auf The Conversation unter einer CC-Lizenz
Kommentare 20
„Es gibt also durchaus Hoffnung für Jugendliche, die eigenen Eltern für Billie Eilish oder Lil Nas X zu begeistern.“
Ich bezweifele, dass „die Jugendlichen“ das so sehr wollen. Sie wollen, dass die Leute der Elterngeneration sie wegen ihrer Musik nicht verhöhnen oder ihnen die gar verbieten. Sie wollen also auch in diesem Punkt einfach anerkannt werden. Und dieses Anbiedern bei der Jugend durch Ältere, das mögen sie gar nicht.
“Ältere Menschen“, die, als sie selbst Jugendliche waren, die entsprechende Musik nicht nur als jugendkulturell-symbolische Attitüde gehört haben, sondern die Songs selbst geliebt und mit Kennerschaft ausgewählt haben, werden ihr Leben lang ein offenes Ohr für neues haben. Natürlich nicht gerade für die jeweils angesagten Mega-Hits. Aber irgendwann wird der älter werdende Musikliebhaber ganz selbstverständlich auch Material hören, dass von sehr viel jüngeren Menschen gemacht wird.
Das finde ich alles als eine Kopfblasenbetrachtung und wenn selbst ich mich mit dem Umgestalten von alter wie neuer Musik beschäftige, auf Rhythmen in Ungeraden Nennern im Takt, dann erleben Sie eigentlich das alle keine neue Musik wollen. Das wiederum spiegelt auch eine Kopfblase, mit meinen 57 Jahren.
Anders gesagt. Eine alte Band die ich füher mitgegründet habe, spielt heute wieder Ihren Punk HardCore und erlebt ein Nostalgieempfinden, als wiederholten Traum für Ihre Teilhabe an einer Jugendbewegung. Ich habe das schon 2003 verlassen und wollte mit anderen Elementen, wie auch Elektronik, Techno und Drum & Bass diese musikalischen Bereiche mit dem Punk und Hard Core zusammenfügen. Die Traditionen in den Kopfblasen der anderen ist leider so stark, dass Sie das dann alleine für sich machen und auch keine Auftritte bekommen, da die Antwort dazu lautet: Dies passt nicht ins Konzept zu den anderen Bands und alleine als Unterhalter sehen wir keinen großen Zulauf, dass wir einen guten Umsatz bei einem Konzert mit Ihnen erleben könnten.
Hier ein Beispiel und ich arbeite so wie die Beatles früher, dass alles live als one take Bootleg eingespielt wird. Ich benutze diese Musik für Laufsport, um auf andere Gedanken, oder Lösungsansätze für Problemstellungen beim durchdenken, mittels der spotlichen Bewegung zu bekommen.
https://soundcloud.com/andreas-prucker/healthy-kiss
Jetzt hätte ich gern eine Antwort von der Sozialpsychologie.
"... ältere Menschenhassen neue Musik ..."
Das stimmt nicht!
Der Autor hat zwar Recht mit seiner Zustandsbescheibung – als diesbezüglich aus der Art geschlagener alter Sack :) kann ich durchaus eine Bluesballade über dieses generationelle Thema anstimmen. Die dargebotene »Ursachenforschung« ist jedoch kaum als ernsthaft zu anzusehen. Richtig ist sicher, dass Menschen mit ungefähr 30 (oder 33) mental mit ihrem Leben (oder freundlicher ausgedrückt: ihrer Sturm-und-Drang-Phase) abschließen und in die Phase des Nestbaus übertreten. Dass der Musikgeschmack (als wesentliches Element dieser Phase) dabei »eingefroren« wird, mag mehrere Gründe haben – zum Beispiel den, die eigene Jugend mit ihren unverwechselbaren Kennzeichen zu konservieren. Zumal in der »Nestbau-Phase« auch andere wesentliche Attribute konserviert werden – politische Ansicht(en), Präferenzen bezüglich Bier- oder Wein(marken), sonstige kulturelle Geschmäcker.
In der Phase des Alterns verschlimmern sich die aufgeführten Symptome. Kurz gesagt: auf die Festplatte geht nichts mehr drauf. Früher charakterisierte man diesen Zustand mit dem Begriff »Verkalkung«. Ob Kalk tatsächlich der Auslöser ist, kann ich als Nicht-Mediziner nicht beurteilen. Andererseits: Da die Zuchtmittel der Beatles-Ära schon lange (nur noch) im Museum der Popkultur ausgestellt werden, lässt sich mit den diversen Geschmäckern eigentlich recht kommod leben. Mir persönlich ist auch manches fremd, was zwischen 15 und 25 derzeit en vogue ist. Umgekehrt ist es wahrscheinlich weltfremd, »die« Jugend mit meinen Präferenzen für Dylan, Achtziger-Punk, Indie- und Rootsrock (klaro – alter weiser Mann) zu begeistern.
Mit anderen Worten: Es ist, wie es ist. Ansonsten hat die Welt wichtigere Probleme.
Ich kann es nicht lassen und muss das loswerden.
Bedeutet dies für unseren Fortschritt, wie im Klimapaket der Bundesregierung, dass Alte Erkenntnisse und Vorgehensweisen das neue Moderne sein soll? Erleben wir hier schon den ersten Schritt hin zu einer Erkenntnis, da unsere Arbeiten an denen wir arbeiten und die immer mehr an erforderlicher zugeführter Energie benötigen, wie etwa, wir brauchen bald das dreifache an dem was heute an Serverfarmen vorhanden ist, um unsere moderne Arbeit zu erhalten und auszubauen, jetzt daruch, durch unser weiter so wie bisher gewohnt, Arbeit wie wir Sie seit 200Jahren kennen, ihre Sinnlosigkeit beim unendlichen Wachstum als Charakter, dadurch als Motivation einverleiben?
Was macht das mit uns, wenn wir merken, dass viele unserer Arbeiten Sinnlos sind und wir durch unsere Art und Weise wie wir arbeiten wollen einen Selbstmord auf Raten vollziehen? Umweltschädliches Verhalten ist das Kredo der jetzigen Zeit als neuer Modernist und bekommt man dafür auch einen Nobelpreis?
Anders gesagt: Ist umweltfreundliches arbeiten bzw. Verhalten ein Tabu geworden, damit man seinen eigenen Charakter, seine eigene innere Haltung nicht betrachten muss und sich so vor einer Selbstreflexion schützt und im schizophrenen schön Gerede finden wir trost und segen, für ein weiter so.
So, damit das hier beschriebene eine Veränderung erfährt, habe ich angefangen Musik in Ihren Rhythmusstrukturen zu verändern, da über den Rhythmus alle anderen Impulse aufgebaut werden, wie Gesang, Melodie, Bewegung im Tanz und Formulierungen in der Sprache. Es ergeben sich bei ungeraden Rhythmen andere Gesetzmäßigkeiten, wie auch ein anderer Sinn und Motivation zu bisher gewohnten Verhaltensmustern und es baut die Angst vor Veränderung ab, da man ja bewusst aktiv an neuen Lösungsansätzen arbeitet. Veränderungen tun nicht weh, sind nicht schadhaft und können das Leben angenehmer gestalten.
Auch wenn es verpönt ist: Es geht vermutlich gar nicht so sehr um die Frage neuer gegen alter Musik, sondern um das Gegenüber dessen, was heute nicht mehr als E- und U-Musik unterschieden werden darf, wenn mensch nicht sofort dem Verdikt der pc-Wächter verfallen will. Ich höre jede Menge neue und neueste Musik, aber alles aus dem Bereich E. Gelegentliche Ausflüge nach U werden regelmäßig mit Langeweile bis zum Überdruss vergolten. Anders ausgedrückt, es gibt so vieles aus E, das zu hören um vieles lohnender ist als alles aus U, warum also meine verbliebene Restlebenszeit mit U verschwenden? U höre ich praktisch nur im Vorübergehen, zu Besuch irgendwo, wenn ich es nicht vermeiden kann, aber doch nicht, wenn ich die Wahl habe. Ich vermute, dass es sich bei vielen älteren und bildungsnahen Menschen so verhält: Sie haben einfach Geschmack entwickelt und sehen nicht ein, warum sie unter Wert hören sollten, nur um als hipp zu gelten (und dabei doch nur belächelt zu werden).
Natürlich ist das nur relevant, wenn jemand ein analytischer (Form)Hörer ist. Für Leute, die Musik nur als Trigger für emotionale Befindlichkeiten benötigen, mag sich das völlig anders darstellen.
Also was mich mehr beunruhigt ist, dass sich jüngere Leute auch von klassischer Musik abwenden, weshalb man ihnen sie per spannendes event versucht, wieder nahezubringen. Ich selbst bin schon ziemlich älter. Ich muss mich nicht für eine Musik begeistern, die mir jüngst einen Hörsturz beschert hat. Mir ist jede Art von "erhabenem" oder "Hipster-Lärm" interessant, aber hören will ich das, was sich da ins Ohr bläst nicht mehr unbedingt.
Dass sich die Lebensgefühle jüngerer Menschen musikalisch anders ausdrücken ansprechen lassen, als die älterer ist ja unbestritten. Wenn es einem gelingt, das zu verbinden, dann ist es ein Genie und dann werden das die verschiedensten Generationen mit Bewegung hören.
Eva Strittmatter, die DDR-Lyrikerin hat ein Gedicht geschrieben:
"Ich mach ein Lied aus Stille". Manchmal ist mir auch so. Und ich bin der technischen Entwicklung danbkar, dass sich junge aber auch ältere Leute via Kopfhörer in ihre musikalischen Unversen begeben können. Ein Segen.
Ich finde die Zustandsbeschreibung im Artikel in einem tieferen Sinn sehr beunruhigend – dem nämlich, dass Kommunikation im öffentlichen Raum nicht unbeträchtlich von Musik lebt. Was auch heißt: ein gewisses Einverständnis darüber. Beispiele hier: Stadtfeste, ähnliche öffentliche Events, Hintergrundmusik beispielsweise in Cafés und Bars, und so weiter. Dieser common sense mag enger gefasst sein (bei bestimmten Zielgruppen) oder weiter gefasst im Sinn eines musikalischen Minimalkonsenses. Ohne diese Rituale der Entspannung und Geselligkeit jedoch höhlt sich eine Gesellschaft zunehmend aus; ab irgendeinem Punkt – meist dem Vor-Stadium von Krisen, Bürgerkriegen und so weiter – wird das sogar substanziell.
Intellektuelle mögen auf diese Form Riten verzichten können und sich lieber in eine elitäre Form eigener Cloud zurückziehen. Für die breiten Massen sind diese Verständigungsrituale jedoch essentiell. Nicht umsonst nehmen Tanz und ähnliche Formen in so gut wie allen Gesellschaften eine zentrale Rolle ein. Natürlich ebnet diese Tatsache nicht Generationsunterschiede ein (siehe Artikel) oder auch klassenbedingte Distinktionsformen. Ohne das stattfindende Theater mit seinem laufend sich wandelnden Kampf der Stile kann eine Gesellschaft sich nicht weiterentwickeln. Das ist in etwa das, was Gramsci thematisiert hat mit seiner Theorie der kulturellen Hegemonie – also jenes Besteck, welches die Linie nach 1990 ohne Not über Bord geschmissen hat.
Nun leben wir in den neoliberalen Zeiten. Frage: Wie erleben wir sie? Ausschließlich in Sack und Asche? Oder mit einem Soundtrack, der auch in finsteren Zeiten Orientierung zu geben vermag?
“Natürlich ist das nur relevant, wenn jemand ein analytischer (Form)Hörer ist. Für Leute, die Musik nur als Trigger für emotionale Befindlichkeiten benötigen, mag sich das völlig anders darstellen.“
Um diese Leute, mithin die Mehrheit, die sich für Musik an sich wenig bis gar nicht interessiert, geht es aber recht offensichtlich. So kommt Musik im Artikel ja eigentlich gar nicht vor. Dass gegenüber der Romantik und dem Fanatismus der Jugendzeit der arrivierte Mensch zunehmend “zu macht“, ist als allgemeiner Befund dabei sicher nicht zu leugnen. Das passiert so ja auch unter “E-Hörern“. Da wollen “die Alten“ doch meist auch nur hören, was sie kennen (Du magst zu den Ausnahmen gehören, die die Regel bestätigen).
na ja, durch die Frage im Untertitel "Warum hassen ältere Menschen neue Musik?" ist zumindest suggeriert, dass es auch um Musik geht^^ Dabei bin ich gleich dreifach angesprochen, als älterer Mensch, als Musikhörer und als Hörer neuer Musik. Und meine Antwort lautet "die Wertigkeit der Musik macht den Unterschied", nicht das Alter der Menschen und nicht die Neuheit der Musik.
“Also was mich mehr beunruhigt ist, dass sich jüngere Leute auch von klassischer Musik abwenden [...]“
Ja, und das geht ja kontinuierlich schon seit Generationen. Da ich hin und wieder in Konzerten bin und auch an einer Ausbildungsstätte für Musiker im i.w.S. klassischen Bereich arbeite, frage ich mich freilich stets, was einmal wird, wenn die heutige deutliche Überzahl der Konzertbesucher gestorben ist - was abzusehen ist. Klar, irgend etwas wird sein, an die Stelle treten. Wie weit es das gegenwärtige E-Komponieren noch schafft ... Insgesamt sehe ich allerdings das Interesse an Musik stark zurückgehen. Das ist beunruhigend.
“die Wertigkeit“ ... Das setzt aber voraus, dass man sich überhaupt für Musik interessiert und nicht nur akustische Tapete braucht. Im Untertitel müsste es genauer schon heißen, “warum ältere Menschen aktuelle Popmusik hassen“. Obwohl das, glaube ich, früher noch mehr der Fall war.
Ja.
Wobei, eigentlich kenne ich kaum ältere Leute, die Popmusik wirklich hassen. Vielen ist sie einfach gleichgültig, oder eben schlicht zu flach. Andererseits ist Volksmusik natürlich eine ebenso schlichte Alternative^^ also vermutlich hängt es an Bildung, was die Leute hören, gleich welchen Alters.
Wenn man allerdings den Blick einmal über den deutschen Tellerrand hebt, kann man auch gegenteilige Beispiele sehen. In Island habe ich selbst erlebt, wie auf einer Tanzveranstaltung alle Altersgruppen vertreten waren und aus dem Saal heraus plötzlich zwei ausgebildete Opernsängerinnen auf der Bühne standen und zur Begleitung durch die Band moderne Rockmusik zelebrierten. Zum Nachempfinden empfehle ich die DVD "Heima" (Heimat, hier auf youtube) von Sigur Ros, die 2006 an unterschiedlichsten Orten in Island spielten. Dabei bezogen sie lokale Musiker von der Feuerwehr-Blaskapelle über traditionelle Chöre bis zu einem Sänger der uralten Rimur-Lieder mit ein. Im Publikum saßen Menschen jeden Alters.
"Und ich bin der technischen Entwicklung dankbar, dass sich junge aber auch ältere Leute via Kopfhörer in ihre musikalischen Universen begeben können. Ein Segen."
Schön wäre es. Ich erlebe zunehmend, gerade heute wieder in der S-Bahn, dass im öffentlichen Raum auf Kopfhörer verzichtet wird. Jugendliche zeigen sich gegenseitig die tollsten Videos mit Ton. Gar nicht zu reden von den Kopfhörern, die mit einer solchen Lautstärke betrieben werden, dass man am anderen Ende des Waggons auch noch mithören kann. Ständig dagegen anzugehen ist schlimmer als Sisyphusarbeit.
Also ich war gestern auf dem Konzert von meiner alten Band und ausschlaggebend für das Publikum ist, ob ein Funke überspringt. was bei meiner alten Band nicht gegeben war, da die Chemie in der Zusammensetzung der Leute nicht richtig funktionierte. Es reicht nicht aus ein hervorragender Musiker, oder Könner auf dem Instrument zu sein, wie auch ein toll produziertes Video zu haben, sondern es sind noch ganz viele andere Faktoren die nicht direkt zum musizieren dazu gehören entscheidend und die doch auf das eigene Spielen einen enormen Einfluss ausüben, so das ein Funke auf das Publikum überspringen kann. In der Klassik hört man ja auch darauf, wie jemand einen Ton spielt, wie man diesen Ton fühlt, um Ihn so spielen zu können.
Ich wollte mich eigentlich noch mit dem Gitarristen, mit dem ich diese Band gegründet habe über anderes aus dem Alltag und seinen Werdegang von 2003 bis jetzt unterhalten, doch dazu kam es nicht, da kein Signal einer Bereitschaft dafür gegeben war und es nur bei Hallo und Shake Hands blieb.
Vieles von dem Funke den ich beschrieben habe ist auch eine Erwartungshaltung und als Publikum will ein empirisches Gefühl aus dieser Erwartung erleben und mitnehmen aus einem Konzert, um ein Mehrwert für die eigene Identifizierung zu erhalten.
Aber egal, ich mach weiter an meiner Rhytmusarbeit, die ja einen Mehrwert für mich bietet und falls jemand, egal ob männlich, oder weiblich da mitmachen will, kann man dies ja ausprobieren, ob die Chemie für ein gemeinsames musizieren stimmt.
»(…) Und meine Antwort lautet ›die Wertigkeit der Musik macht den Unterschied‹«
Ich danke Ihnen (und den hier mitversammelten Mitforist/innen älteren Baujahrs) für eine Erkenntnis, die mir zumindest in ihrer Unerbittlichkeit bislang noch nicht so klar war: der, dass seit Honneckers Beatmusik-Verdikt und der einschlägigen Hetze der bürgerlichen Westmedien gegen »langhaarige Affen« die Ressentiments grundsätzlich die Gleichen geblieben sind – zumindest im bildungsbürgerlichen Segment, dessen Oase »Klassik« (respektive »E«) im Unterschied zur Musik der ungebildeten Prolet(inn)en immerhin weiter gedeihliche öffentliche Förderung erfährt.
Meiner Meinung nach kann das auch gern weiter so bleiben; ich persönlich etwa vermag Verdis »Gefangenenchor« oder eine gelegentliche Callas-Arie als Zugabe zu Metallica oder auch Billie Eilish durchaus zu schätzen. Ich möchte Ihnen lediglich den Zahn ziehen mit der angeblich höheren »Wertigkeit«. Der »E«-Sektor mag im Vergleich zum »U«-Sektor hochgepimpt, komplex und in einigen Aspekten auch avantgardistisch sein. So existieren kann er allerdings nur, weil er – anders als die Volkskultur der unteren Schichten – von den herrschenden Klassen ausgehalten wird: ganz früher dem Feudaladel, später dann der Bourgoisie (bei ihren kleinbürgerlichen Varianten im Osten kam als große Bühne dann noch die Sparte Erziehungsmusik hinzu).
Wer für den Spaß der Madame Pompadour und ihrer diversen Nachfahren aufgekommen ist, muß hier nicht weiter aufgeführt werden. Allerdings waren zumindest die Klassik-Komponisten des 19. Jahrhunderts so generös, auch die Musik der unteren Schichten in ihre Kompositionen mit einzubeziehen und derart ein wenig Respekt und Anerkennung zu zeigen. Da will auch ich nicht ungenerös sein: Distinktionsattribute, welche eine höhere »Wertigkeit« suggerieren, sind heutzutage rar; warum dem älteren Segment des Bildungsbürgertums so seine Oase nicht gönnen? Allerdings: Mit höheren Werten hat das wenig zu tun. Durch den Markt müssen letzten Endes alle durch – den von Apple & netflix etablierten ebenso wie den von öffentlichen Geldern abgezwackten. Aus dem Grund bleibe ich lieber beim Klassenkampf als oberster Leitlinie – mit der Vorstellung, dass im Sozialismus letztlich alles in einer egalitären Form von Pop(ulär)kultur aufgeht.
und da dachte ich immer, die Hetze gegen die langhaarigen Affen sei im Osten nur deswegen nicht betrieben worden, weil die gleich im Knast landeten^^
Was immer Sie mir diesbezüglich unterstellen wollen, verwechseln Sie bitte nicht Ihre Projektionen mit meinen Überzeugungen. Ich habe in Kunstdingen einen ästhetischen Anspruch, spricht etwas dagegen? Ein ästhetischer Anspruch ist im Wesentlichen ein Anspruch an die Form, nicht an den Inhalt, wobei ich gerne bereit bin zuzugeben, dass es auch Inhalte gibt, die durch keinerlei Form gerettet werden können. Der Anspruch ist über die Jahre gewachsen, die Sicht hat sich geschärft, und die allermeisten musikalischen Produktionen aus dem U Sektor sind dem Anspruch nicht gewachsen. Das ist diesbezüglich schon mein ganzer Punkt, den ich auch nur deswegen derart expliziere, weil im Blogtext Dinge unterstellt werden (Hass auf neue Musik), die sachlich nicht stimmen. Ich stehe ästhetischer Minderwertigkeit gleichgültig gegenüber, ja, und vielleicht ist heutzutage die Differenzierung zwischen Hass und Gleichgültigkeit nicht mehr zumutbar. Heute gilt ja alles als Hass, was als Kritik gemeint ist.
Dass "Wertigkeit" nichts mit "Werten" zu tun hat, geschenkt^^ Sie wissen selbst, wie schwach Ihre diesbezügliche Bemerkung ist. Aber das Bildung vielen Menschen und anscheinend auch Ihnen - oder verstehe ich Sie da völlig falsch? - nichts mehr zu gelten scheint, das wird sich auf Dauer gesamtgesellschaftlich bitter rächen. Selbst bei egalitären Formen von Popularkultur kann unterbleibende Geschmacksentwicklung nur in Indifferenz und Langeweile münden.
Worüber reden wir hier, über Musik oder über gruppenspezifische Rituale der Selbstvergewisserung, bei denen Musik eine wichtige Rolle spielt? Über Musik als soziales oder als ästhetisches Medium? Beides ist berechtigt, aber beides steht oft beziehungslos gegenüber oder harmoniert nicht. Der Autor ist sich nicht klar darüber, wovon er überhaupt sprechen will.
Musik ist ein Kulturgut, das im Sozialisationsprozeß vor allem in Form einer kontextuellen Prägung angeeignet wird. Man gewöhnt sich an die Musik seiner Umgebung, sie wird zu einem Teil der psychisch-geistigen Heimat. In einer gespaltenen Gesellschaft leben die unterschiedlichen sozialen Milieus dementsprechend in verschiedenen musikalischen Subkulturen.
Aber Musik ist auch ein ästhetisches Medium, für viele Menschen hat sie nicht nur lebenspraktische Funktionen, sondern steht für sich selbst, ist Selbstzweck. Als solcher wird sie von den aktiven Künstlern weiterentwickelt und von den Kunstkonsumenten rezipiert, was freilich bedeutet, daß diese Musiksprache suggestiv sein und vom Publikum angenommen werden muß.
Wem es wirklich um Musik geht, der mag durch sein Aufnahmevermögen beschränkt sein, wird aber offen für Neues sein und sich immer bemühen, Unverständliches sich zu erschließen. Es muß nur erschließbar sein.
Wenn man es nicht schablonenhaft auf den Unterschied E und U bezieht, sondern auf qualitative Kriterien guter Musik, die keineswegs bloß subjektiv und beliebig sind, muß ich hier Lethe voll zustimmen. Ich hatte übrigens in einem vor kurzem von Richard Zietz verfaßten Blog (Narcos, Diven, Punks) eine ähnliche Position vertreten, wer will, möge das dort nachlesen. Auf E und U möchte ich es nicht beziehen, weil Komplexität nicht das einzige Qualitätsmerkmal ist und die rein formale ästhetische Beurteilung die durchaus in der Musiksprache (in E in der Regel tatsächlich stärker als in U) vorhandene semantische Dimension unberücksichtigt läßt. Ein Rocktrack kann (ästhetisch) besser sein als ein Barockgedudel, eine einfache Musik besser als ausgeklügelte Kompliziertheit.
Ich bestehe nicht darauf, das Problem auf den Kontrast zwischen E und U zu reduzieren. Erfahrungsgemäß wird allerdings durch die Erwähnung dieser beiden Zweige sofort deutlich, um was es geht. Selbstverständlich gibt es in U ernstzunehmende Musik und ist in E längst nicht alles hochwertig. Aber um den Unterschied zu verdeutlichen, bzw. um überhaupt klar zu machen, dass ein Unterschied existiert und wahrgenommen wird, sind die beiden Begriffe immer noch Gold wert. Dass damit "ein bisschen" provoziert wird, who cares. Die Unterstellung von Hass ist auch nur Provokation, und wer austeilt, tut gut daran, auch einstecken zu können.