Tarifrunde – das ist immer auch ein Gutteil Ritual. Ist, wie derzeit wieder, der öffentliche Dienst mit seinen 2,4 Millionen Beschäftigten an der Reihe, gehört zum Ritual der Ruf nach „Augenmaß“ bei Forderungen und Kampfformen. Diesmal ist jedoch einiges anders: Die Corona-Pandemie bestimmt die Tarifrunde und dient als Argument – auf beiden Seiten der Barrikade. Während die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) mit Verweis auf die Corona-Krise meint, es sei kein Geld da für die noch eher zurückhaltend geforderten 4,8 Prozent mehr Gehalt oder 150 Euro mehr im Monat, können die Gewerkschaften darauf verweisen, dass die Heldinnen der Krise mehr als nur Applaus verdient haben.
Letzteres leuchtet ein. Das Argument, die Kommunen seien wegen sinkender Steuereinnahmen blank, indes nicht, da in den vergangenen Monaten Milliarden in die Hand genommen wurden, um die Folgen derCorona-Krise etwa für Konzerne wie Lufthansa abzumildern.
Eine Forsa-Umfrage zu Beginn der ersten Warnstreiks, der zufolge 63 Prozent der Bundesbürger Verständnis für Arbeitskampfmaßnahmen haben, scheint den Gewerkschaften recht zu geben. Dennoch: Ein Selbstläufer wird diese Tarifrunde nicht. Denn einerseits werden die Warnstreiks, verhalten eingesetzt, nicht ausreichen, um die auf Zeit spielende VKA nachhaltig zu beeindrucken. Andererseits tragen gesellschaftliche Stimmungen einen harten Arbeitskampf nur, wenn der Rückhalt über Wochen bleibt – das haben etwa die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste in den vergangenen Jahren lernen müssen.
Hier lohnt es sich aber, genau hinzusehen. Denn die Unterschiede des viele verschiedene Bereiche zusammenfassenden öffentlichen Dienstes sind unter Corona gewachsen: Während einige Bereiche in die Kurzarbeit geschickt wurden, sind Gesundheitsarbeiterinnen in einer ungewohnt starken Verhandlungsposition. Vor der Tarifrunde hat sich der Krankenhausbereich auch innerhalb von Verdi selbstbewusst präsentiert und einen separaten Gesundheitstisch durchgesetzt, der die Tarifgespräche sekundiert. Hier ist die Zeit der falschen Bescheidenheit wirklich abgelaufen – und hier wird auch die öffentlich erhobene Aufforderung zum „Augenmaß“ nicht so leicht gegen die Beschäftigten fruchten können.
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