Bullshit-Training: Meine drei Monate in staatlich finanzierter Weiterbildung
Agentur für Arbeit Unser Autor hat drei Monate lang eine von der Agentur für Arbeit bezahlte Weiterbildungsmaßnahme belegt: Er bekam Einblicke in einen Milliarden-Sektor, der didaktisch versagt und Lebenszeit und Ressourcen frisst
Erwarten Sie hier bloß nicht, weitergebildet zu werden
Foto: Martin Schutt/picture alliance/dpa
Geld spiele keine Rolle, versicherte mir der freundliche Vermittler bei der Bundesagentur für Arbeit. Und fügt relativierend hinzu: „Solange wir ein rotes Arbeitsministerium haben“.
3,35 Milliarden Euro gaben die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2021 laut Bildungsfinanzbericht für berufliche Weiterbildungsmaßnahmen aus. Um ihre „Kund:innen“ wieder in Arbeit zu bringen, steht den Vermittler:innen also ein üppiges Budget zur Verfügung. Jobcenter und Arbeitsagentur geizen daher nicht mit der Ausgabe von sogenannten Bildungsgutscheinen, den Eintrittskarten in die staatlich-finanzierte Weiterbildungswelt.
Rund eine viertel Million Menschen in Deutschland nehmen jährlich die hiermit verbu
die hiermit verbundenen Förderangebote wahr. Für die Förderung lebenslangen Lernens gibt es gewiss gute Argumente. Doch rund um den Finanzfluss aus den Bildungsgutscheinen hat sich inzwischen eine ganze eigene Branche gebildet. Wie geht es wirklich zu in den Kursen, die die Menschen für den Arbeitsmarkt fit machen sollen?Das Angebot ist gigantischIch bin den Job los und bekomme unerwartet Zeit geschenkt. Mein Körper sehnt sich nach einer Auszeit. Aber als Produkt der Generation Praktikum kann ich nicht ruhen, denn meine Seele hat gehorsam verinnerlicht: Wer rastet, der rostet und wer am See in der Frühlingssonne liegt, friert nach kurzer Zeit. Und er trägt nichts zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die ersten Stellenausschreibungen mit der höflichen Aufforderung zur Bewerbung schneien ins Haus. Gefährliche Leute muss man beschäftigt halten – sonst beschäftigen die dich, lautet sinngemäß eine Weisheit des Kängurus von Marc-Uwe Kling. Darum beschäftige ich mich am besten selbst, bevor andere auf die Idee kommen. Lernen zu dürfen, neue Reize zu setzen und Erfahrungen sammeln zu können, sind Privilegien. Eine Freundin hat jüngst eine sechsmonatige Weiterbildung über die Bundesagentur für Arbeit gefördert bekommen. Mit ihr telefoniere ich und bitte um Rat. Mich reizt eine zweimonatige Yogalehrerausbildung in Berlin. Ein Tapetenwechsel für ein paar Wochen, raus aus der Komfortzone und vielleicht etwas, das zur Abwechslung mal dem Körper und nicht dem CV guttut. Sie rät mir vehement ab. Mit dir schafft man doch richtig was, so ihr Argument, kultiviere das lieber und sorge für ein Dokument, das Dich auch darin ausweist. Ich gebe mich geschlagen. Ein bisschen Angst vor der beruflichen Sackgasse wabert immer im Äther der Arbeitslosigkeit mit.Über die Webseite der Bundesagentur gelange ich auf die hauseigene Weiterbildungsdatenbank Kursnet. Hier finden sich tausende Kurse, um sich für die schöne neue Arbeitswelt herauszuputzen. Die Pandemie ist vorbei, die Digitalisierung schreitet voran, viele Unternehmen stehen vor den Herausforderungen, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Die rollende Pensionierungswelle der Baby-Boomer verstärkt den Bedarf an Fachkräften. Besonders gefragt sind daher offenbar Angebote im Feld von Organisationsentwicklung, Projektmanagement, Coaching- und Beratung sowie Supervision und Mediation. Die Branche boomt seit Jahren. Entsprechend groß ist das Angebot.Bundesweit listet Kursnet 57.704 Weiterbildungen im Bereich Coaching. Darunter finden sich Spezialisierungen wie Feel Good Manager, Agile Servant Leader Coach, Diversity Coach oder der systemische Coach. Im Bereich Projektmanagement sind es sogar sagenhafte 735.465 förderungsfähige Fortbildungen. Im Bereich Mediation werden bundesweit immerhin 4.317 und im Bereich Supervision 4.805 Ausbildungen angeboten. Den Zahlen nach zu urteilen, könnte es bald mehr Coaches geben als Spieler:innen auf dem Feld und mehr Projektmanager:innen als Projekte.Digitale Weiterbildung ist der neue StandardWie kommen solche Zahlen zustande? Die Teilnahme an der überwiegenden Mehrheit der Weiterbildungen wird heute remote angeboten. Die Vorteile liegen auf der Hand: die Anbieter sparen die Kosten für die Unterrichts- und Büroräume. Zudem können Teilnehmende aus der ganzen Republik akquiriert werden. Anders als vor der Pandemie kann ein Anbieter mit Sitz in Worms seine Kurse also Interessenten aus Hamburg, Trier, Kassel, Castrop-Rauxel und Görlitz anbieten. Dozierende und Teilnehmende sind erleichtert, dass sie nebenher Wäsche waschen können und morgens nicht ausrücken müssen, um sich dem Berufsverkehr zu stellen.Einige große Weiterbildungsanbieter offerieren mehrere hundert Kurse und decken damit weite Teile des Markts ab. Besonders diese Unternehmen profitieren stark vom sogenannten „Online-Präsenzunterricht“. Moment mal, ist das nicht ein Widerspruch? Nein, in der neuen Arbeitswelt geht das gut zusammen, denn der Unterricht findet live zuhause, in Präsenz vor der Webcam, im virtuellen Klassenzimmer statt. Ist die digitale Infrastruktur mit digitalen Klassenzimmern und Lernplattformen einmal aufgebaut, entfallen die Kosten für Gebäude und Ausstattung. Unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist das sicher keine schlechte Sache, aber geht es nicht zulasten der Qualität und des Miteinanders? Aber dazu später mehr, zunächst muss ich mich für einen passenden Kurs entscheiden und das gestaltet sich extrem schwierig.Die Beschreibungen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Ich erhalte „Informationen“ wie „ihre geplante Weiterbildung ist perfekt auf die aktuellen Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zugeschnitten“ oder „die Wissensvermittlung ist aktivierend, handlungsorientiert und durch interdisziplinären Austausch geprägt“. Diese Phrasen machen es schwierig, die Qualität der Kurse zu beurteilen.Die Suche nach dem passenden KursWie soll ich aus 5.000 Kursen das passende Angebot für mich auswählen? Die Anbieter lassen sich nicht in die Karten schauen. Professionell anmutende Webseiten, eigene Marketingabteilungen und persönliche Kundenakquise geben kaum verlässlichen Rückschluss auf die tatsächliche Qualität der Kurse. Eine Hospitation ist unüblich. Was helfen könnte, wären Erfahrungsberichte von Menschen, die bereits den Prozess durchlaufen haben. Die aber gleichen anderen Bewertungen im Internet: Sie zu lesen ist äußerst mühselig und auch hier gibt es keine Garantie für die Authentizität.Über zwei Monaten recherchiere ich, bis ich mich endlich dazu durchringen kann, einen Kurs auszuwählen. Völlig überzeugt bin ich zwar nicht, die Suche auszuweiten, erscheint mir aber nicht weiter zielführend. Ich habe zig Angebote für Coaching-, Beraterausbildungen und Projektmanagementkurse eingeholt und mit dem geschulten Personal vom „Onboarding“ telefoniert. Der Anbieter meiner Wahl wirbt auf seiner Website damit, dass er im Portfolio über 450 Kurse anbietet. Das reicht von klassischen betriebswirtschaftlichen Themen wie Projektmanagement, Führungskräftetrainings und Organisationsentwicklung über eine ganze Palette aus Beratungen und dazu diverse Coach-Ausbildungen. Das große Plus, so heißt es, bestehe darin, dass die Kurse zu 100 Prozent durch die Bundesanstalt förderungsfähig seien – die Kosten deckt also der Bildungsgutschein ab.Nach einem Gespräch mit meiner „Karriereberaterin“ entscheide ich mich resigniert für drei Module. Ein bisschen Projektmanagement, ein bisschen Organisationsentwicklung, obendrauf noch ein Modul Coaching für Führungskräfte. Jedes Modul dauert einen Monat, damit bin ich über den Frühling beschäftigt. Tatsächlich bin ich trotz meiner Bedenken motiviert und freue mich auf neuen Input. Ich bin seit vier Monaten zuhause und kann mich auf neue Aufgaben stürzen.Tipps für das virtuelle KlassenzimmerAn einem Donnerstag um 8 Uhr startet der Kurs. Ein Einstieg ist dank des Modulprogramms jederzeit möglich. Ich zähle 25 Teilnehmer:innen, verteilt über die ganze Republik. Im virtuellen Klassenzimmer sprechen abwechselnd die kleinen Bildchen zu mir. Selbst auf meinem 20-Zoll-Bildschirm sehe ich nie alle Teilnehmenden auf einen Blick. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf das eingeblendete 600-seitige Skript. „Hallo meine Lieben, ich bin von Haus aus Maschinenbauer und habe 10 Jahre Projekte in Unternehmen geleitet und arbeite jetzt als freier Trainer und Coach und bin unter anderem zertifizierter PSI-Kompetenzberater“, stellt sich der Dozent vor.Schon nach wenigen Minuten gehen die ersten Kameras aus. Wenn sich 25 Menschen vor den mobilen Endgeräten versammeln, sind technische Probleme vorprogrammiert. Ständig ist bei jemand die Verbindung schlecht. Kerstin bekommt auch das Mikro nicht umgestellt. Wenn sie spricht, ertönt eine verzerrte Stimme wie aus einem Walkie-Talkie. Im Help-Desk erreicht sie niemanden. Der Dozent ist mit der Lernplattform überfordert. Gut, dass sich Markus auskennt. Er ist im sechsten Modul, ein alter Hase im Geschäft. Er glaubt an die Sache und hängt sich rein. Ein echter Verfechter des Leistungsprinzips. Irgendwann wird er hoffentlich für seinen Einsatz belohnt werden, wenn auch nur mit einem Zertifikat und einem lückenlosen CV.Am Nachmittag kann ich die Aufmerksamkeit kaum noch beim Kurs halten. Zu ermüdend ist die ganze Angelegenheit, zu monoton. Ich bin allein in meiner Wohnung, in den Pausen gehe ich einkaufen, bereite das Mittagessen vor und gönne den Augen eine bildschirmfreie Zeit. Irgendwann zeigt auch der Kaffee keine Wirkung mehr. Dirk, ein anderer Teilnehmer, geht zwischendurch spazieren und einkaufen, trägt dabei einen Knopf im Ohr, damit er sich notfalls kurz zu Wort melden kann. Ich merke schnell: Von Dirk werde ich in den kommenden Wochen noch viel lernen. Er ist der Veteran hier im Kurs. Er ist im achten Monat Online-Präsenzunterricht daheim. Das Projektmanagement ist sein letzter Kurs. Routiniert lässt er die Maßnahme über sich ergehen. Kurz die Kamera an, wenn er namentlich erwähnt wird. Nicht mit den Händen in den Hosentaschen erwischen lassen, lautet seine Devise, schreibt er mir. Zumindest das hätten ihm die Kurse gebracht. Die acht Zertifikate nimmt er natürlich auch für die Bewerbungsmappe.Die Highlights der sonst drögen Versammlung sind die täglichen Check-ins bzw. Check-outs. Die Teilnehmenden sind dabei aufgefordert, einen der Slots zum Start oder zum Feierabend zu gestalten. Die Leute abholen und aktivieren ist die offensichtliche Idee dahinter. Immerhin sind es jeweils die 20 Minuten am Tag, in denen dann tatsächlich kurz alle Kameras angehen und sich die Teilnehmenden kurz zu Gesicht bekommen.Didaktisch sind die Kurse schwachDas didaktische Konzept ist kursübergreifend dünn. Im dritten Modul Coaching werden einleitend ein paar Folien vorgelesen. In nur 10 Minuten zähle ich 77 „Ähms“ und „Ähs“ aus dem Mund der Dozentin. Hin und wieder wird in die Runde gefragt, ob jemand ein Beispiel einfällt. Nein? Dann weiter im Text. Oder doch, Markus wieder einmal, der rettende Anker. Zuhören, Nicken, Schweigen, kurze Pause, dann geht es in die Gruppenarbeit. Es ist die didaktische Idee, die uns über das komplette Modul begleiten wird: Die Gruppe erarbeitet sich die Inhalte selbst. Das aktiviert und so kann man die lästige Zeit bis zum Check-out füllen. Das Ganze wird verkauft unter dem Label der „Agilität“: Es gibt kein didaktisches Konzept und kaum inhaltliche Kompetenz, aber kein Problem, denn das lösen wir in der modernen Arbeitswelt einfach ganz „agil“.Agilität ist gut, denn der Begriff ist positiv besetzt und noch halbwegs unverbraucht, er klingt nach Aufbruch und bloß nicht altmodisch oder irgendwie nach Stillstand. Eine typische agile Aufgabenstellung: Lest im Skript die Seiten 4 bis 44 zu den 5-Phasen im Coaching-Prozess, erstellt anschließend ein Jamboard und diskutiert darüber in eurer Arbeitsgruppe. Ihr habt drei Stunden Zeit. Bitte macht selbstständig Pausen. Es kommt zu meiner Freude nicht zur Überarbeitung, allerdings ist die Lernmethode einigermaßen bedenklich, berücksichtigt man, dass der Anbieter neben Coaches auch Berater:innen und Mediator:innen ausbildet. Ines fragt im Chat: „Hatten wir die Aufgaben nicht schon mal in der ersten Woche oder phantasiere ich jetzt?“ Ups, stimmt, ist aber in der allgemeinen Lethargie kaum jemandem aufgefallen. Die Leute sind nach Wochen und Monaten vor den Bildschirmen abgestumpft. Der Mehrheit ist es egal. Draußen sind frühsommerliche 25 Grad.Die neue Woche startet mit einem Check-in der Dozentin. Sie blendet eine Folie mit drei Fragen ein: Wie geht es Euch heute Morgen? Wie war Eurer Wochenende? Habt Ihr Fragen zum Kurs? Allgemeine Antwort: Gut, Gut, Nein. Anschließend geht es wieder in die Arbeitsgruppen. Schließlich müssen für die Bundesagentur noch Prüfungsleistungen erbracht werden. Wir werden in drei Gruppen zu je fünf Leuten eingeteilt. Das Thema ist auf ganzen drei Seiten im Skript zusammengefasst. Wir sollen mit fünf Leuten einen circa 10-minütigen Vortrag daraus stricken und notfalls das „Internet“ zu Hilfe nehmen. Dafür haben wir 180 Minuten Zeit.Beim Blick auf die Folien hilft nur mehr SarkasmusDie Stimmung ist sarkastisch bis gelöst. Beim Blick auf die Folien wird der Ruf nach Sekt laut. Offensichtlich wurden die Inhalte im Skript schlicht kopiert, deshalb sind auch die Umlaute nur fehlerhaft dargestellt: „Entspricht die coachende Forderung und Entwicklung von Mitarbeitern der Fi.ihrungskultur im Unternehmen und wird sie durch entsprechende Personal- und Organisationsentwicklungsprojekte/ MaBnahmen gefordert1“ Nach kurzer Recherche stoßen wir auf die Inhalte und den Urheber. Anscheinend wurden von der Website des geistigen Entwicklers einfach ganze Absätze auf die Folien kopiert, komplett ohne Quellenangabe oder die Mühe, wenigstens die fehlerhaft formatierten Umlaute zu korrigieren.Auch die anderen Teilnehmenden lassen die Zustände nicht kalt. Eine Leidensgenossin erzählt, sie hätte vor einer Woche bereits ihre Karriereberaterin kontaktiert und die Zustände moniert. Das Feedbackgespräch habe zwei Minuten gedauert und mit den Worten geendet: „Ich gebe es weiter ans Qualitätsmanagement“. Das spricht sinnbildlich für die Unternehmenskultur. Mir ist schon längst alles egal. Zu absurd, zu kafkaesk erscheint mir die ganze Veranstaltungsreihe.Anschließend wird wie üblich alles auf ein Jamboard geklatscht – wenigstens ein neuer „Skill“, den ich in den drei Monaten erlerne. Nie war die Gefahr des Alkoholismus größer. Wolfgang prostet während der Gruppenarbeit mit einer Dose Wodka-Lemon in die Kamera. Bei der anschließenden Präsentation hören wir drei Mal mehr oder weniger dieselben Inhalte. Zumindest handelt es sich dabei um ein paar gut aufbereitete und präsentierte Vorträge, denn die Kompetenz der Teilnehmenden ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – hoch. Ehemalige Geschäftsführer:innen, Selbstständige, Wissenschaftler:innen, Psycholog:innen, eigentlich fitte Leute, die nicht noch ein weiteres Zertifikat bräuchten, das ihre Kompetenz belegt. Aber so ist es halt, draußen in der Welt zählt nur, was auf einem Papier steht. Also werden die Förderangebote von vielen angenommen, die sie nicht unbedingt bräuchten. Die Tage vor dem Bildschirm sind anstrengend und meine Augen suchen Erholung. Abends streife ich um die Häuser. Dabei gehe ich an einer Laterne vorbei, mein Blick fällt auf einen Sticker, darauf steht, „Maschinen nehmen uns die Arbeit weg – endlich!“Bald schalten die meisten innerlich ab. Ich auchMeine Erwartungen waren niedrig. Ich werde doch enttäuscht. Ich habe schon vor Wochen innerlich abgeschaltet. Bin im Standby, fülle copy and paste die Jamboards aus, lese die Kärtchen ab, wie alle anderen auch. Die Dozentin ist begeistert: 100 Prozent Prüfungsleistung bestanden! „Ich würde Euch auch 200 Prozent geben, wenn ich könnte.“ Immer wieder irritiert mich die gekünstelte Vertraulichkeit. Wie sich herausstellt, hatte Patrice Geburtstag. „Hast du es gestern noch krachen lassen?“, fragt die Dozentin. Keine Antwort. Jemand aus der Gruppe schlägt vor, zu singen und beginnt damit, auch ohne die Antwort des Jubilars abzuwarten. Eine Handvoll anderer stimmt verstohlen ein. Über die Lautsprecher erklingen zeitlich leicht verzögert, schief und versetzt die Zeilen: „Alle Deine Freunde freuen sich mit Dir …“. Hier ist wirklich etwas zusammengewachsen über die vergangenen Tage. Durchschnittlich 2.500 Euro berechnet der Anbieter für die Teilnahme je Modul pro Kopf. Bei 25 Leuten ergibt das eine Summe von 62.500 Euro vor Steuern, allein für das einmonatige Modul Projektmanagement. Vermutlich wäre mein Lernerfolg höher gewesen, wenn ich einfach ein Fachbuch zum Preis von 39,99 EUR gelesen hätte. Das hätte Zeit und Ressourcen gespart. Meine Weiterbildung allein aber kostete schlappe 7.500 Euro. Was ich wohl tun würde, wenn das mein eigenes Geld wäre? Augenblick, bin ich als Steuerzahler nicht auch Teil der öffentlichen Hand und habe ich nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt? Also ist es auch mein Geld, das für mehr Lehrer:innen, eine angemessene Bezahlung von Pflegekräften oder im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden könnte. Wie wohl ein seriöses Unternehmen die Qualität der hier gebotenen Kurse beurteilen würde, wenn es die Belegschaft schulen ließe? Der Markt würde das ausnahmsweise wohl ziemlich schnell regeln.Doch der Finanzfluss aus den Bildungsgutscheinen scheint eigene Strukturen geschaffen zu haben. In drei Modulen ist mir niemand begegnet, dessen Teilnahme nicht von der Bundesagentur finanziert wurde. Theoretisch sind die Kurse zwar allen Interessierten zugänglich, in der Praxis gehen Interessent:innen, die etwa eine Coach- oder Beraterausbildung suchen, aber zu anderen Anbietern. Diese sind zwar nicht durch die Bundesagentur zertifiziert, jedoch von den Berufsverbänden anerkannt und hierauf kommt es im Vergleich an. Die Frage, die mich umtreibt: Was sind diese Bildungs-Zertifikate eigentlich wert und wem nützen sie etwas?Gibt es auch seriöse Anbieter? Kann sein, ich habe wohl PechIch frage mich, ob alle Kurse qualitativ ähnlich ausfallen oder ob ich nur Pech hatte? Tatsächlich versichern mir andere Kursteilnehmer:innen, es gäbe auch gute Dozent:innen, das sei aber die Ausnahme. Auch in der Weiterbildungsbranche offenbart sich schonungslos der Fachkräftemangel. Die guten Leute bleiben in aller Regel nicht lange. Und sicherlich gibt es unter der Vielzahl der Kurse auch seriöse Anbieter. Im Gespräch mit Leuten, die auch bei anderen Anbietern Fortbildungen per Bildungsgutschein belegt haben, verfestigt sich jedoch der Eindruck, dass der Markt voll ist von Weiterbildungen, die dem Titel nach zwar gut klingen, aber inhaltlich wenig taugen.In den drei Modulen habe ich kaum etwas gelernt, das ich nicht in einem Buch oder Video hätte nachschauen können. Entsprechend häufig stellten YouTube-Videos schlicht das Unterrichtsmaterial dar. Das wenige Neue wurde zudem häufig schlecht vermittelt. Offenbar denkt man, Menschen sollen lieber sinnlosen Tätigkeiten nachgehen, als sich darin zu üben, nichts zu tun. Langsam weiß ich auch, woran mich das immer wieder erinnert: an das Konzept der Bullshit Jobs von David Graeber. Was ist, wenn aus den Weiterbildungen kein oder kaum gesellschaftlicher Nutzen hervorgeht und die Kurse von den Menschen, die daran teilnehmen, weitgehend als nutzlos empfunden werden? Handelt es sich dann nicht um eine riesige Vergeudung von Potenzial und Ressourcen?Ein neuer Tag, ein neuer Check-in: Marie leitet eine Meditation an: „Du bist an deinem Traumstrand und du bist voller Dankbarkeit, dass du einfach hier sein darfst. Nichts machen, einfach nur hier sein. Schenke Dir ein Lächeln dafür, dass Du Dir die Zeit genommen hast und wenn Dir danach ist, öffne Deine Augen und starte mit frischer Energie in den Tag“. Dirk schreibt mir im virtuellen Klassenzimmer eine private Nachricht. Er macht sich jetzt erstmal ein Bier auf. Wenigstens einer, der es verstanden hat, denke ich. Ich danke ihm mit einem Lächeln dafür.Es geht nicht um Erkenntnisgewinn. Sondern um das Abschneiden in der EvaluationDazwischen wieder einmal eine Blockprüfung. Die Antworten für den Test werden per Suchfunktion im Skript nachgeschlagen. Offensichtlich geht es nicht um Erkenntnisgewinn, sondern darum, dass die Evaluationen so gut ausfallen, dass auch weiterhin die staatlichen Mittel fließen. Ich überlege ernsthaft, ob ich die sinnlose Abschlussprüfung für die Tonne schreiben soll oder lieber einen Artikel über die Zustände hier verfasse. An dieser Stelle schöne Grüße in die Agentur für Arbeit. Nicht unwahrscheinlich, dass die Informationen dort sogar bereits bekannt sind oder in die nötigen Etagen bis zu Andrea Nahles vordringen.Allerdings bezweifle ich, ob hier auch das nötige „Mindset“ vorhanden ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ich biete gerne an, die erlernten Kompetenzen aus der Organisationsentwicklung dabei zur Anwendung zu bringen. Schließlich bin ich der Agentur noch was schuldig.Ein Gutes hat die Sache dann aber doch noch. Ich kann es kaum erwarten, nach drei Monaten „Weiterbildung“ wieder einer Lohnarbeit nachzugehen. So war das vermutlich auch einmal von einem klugen Funktionärskopf ausgedacht.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.