Columbo und der Nazi-Magier

Literatur Rolf Aurich erforscht in „Kalanag“ die Biografie des Illusionisten Helmut Schreiber
Ausgabe 20/2016
Helmut E. Schreiber legte als Kalang eine glamouröse Nachkriegslaufbahn hin
Helmut E. Schreiber legte als Kalang eine glamouröse Nachkriegslaufbahn hin

Foto: Keystone/Zuma/Imago

Helmut Ewald Schreiber, geboren 1903, begeisterte sich schon in seiner Jugend für die Zauberei. In den 20er und 30er Jahren versuchte er sich allerdings vorwiegend beim Film, wobei ihm der Wechsel von der Weimarer Republik ins Dritte Reich besonders gut gelang. Bei der Produktionsfirma Bavaria machte er rasch Karriere, unter anderem war er 1939 für den perfiden antisemitischen Unterhaltungsfilm Robert und Bertram als Produktionsleiter verantwortlich. Nebenbei trat er als Amateurmagier auf, zauberte sogar vor Hitler auf dem Obersalzberg. Nach dem Krieg konnte er zwar seine Filmtätigkeit nicht wiederaufnehmen, als Magier aber war er in der Adenauer-Ära unter dem Künstlernamen Kalanag umso erfolgreicher. Eine deutsche Karriere.

Schlicht Kalanag ist eine im Verbrecher-Verlag erschienene Studie von Rolf Aurich betitelt, die sich Schreibers Schaffen widmet. Der kleine, dichte Band basiert auf umfangreichen Archivrecherchen und nimmt neben Produktionsunterlagen und verwandten Aktenvermerken insbesondere Publikationen in den Blick, die Aurich als „Gebrauchstexte“ charakterisiert: Fachpublikationen wie Magie, das Hausblatt der Zauberervereinigung Magischer Zirkel, oder die noch einmal deutlich spezialisiertere Bavaria-Feldpost, eine firmeneigene Frontpostille. Die aufmerksame Quellenlektüre wird ergänzt durch Seitenblicke auf Schreibers filmische Tätigkeit sowie durch einige Exkurse – ein besonders eleganter führt zu einer Columbo-Folge, in der Peter Falks Kommissar einen Nazi-Zauberer dingfest macht.

Eine klassische Biografie möchte der Band nicht sein. Kalanags glamouröse Nachkriegslaufbahn, in deren Rahmen Schreiber mit seinen Tricks die halbe Welt bereisen konnte, interessiert Aurich kein bisschen, auch die Gerüchte um „Nazigold“, das der Zauberer angeblich in den Wirren der letzten Kriegstage verschwinden ließ, kommen nur am Rande vor. Stattdessen beschäftigt sich Kalanag mit der systematischen Verzahnung von Zauberei und Filmwerk in Schreibers Biografie.

Ausgangspunkt ist eine medientheoretische Überlegung: Zauberei und Kino legen Wert darauf, die Technik hinter ihren Illusionen unsichtbar werden zu lassen. Schreiber wies darauf hin, dass Magier die Funktionsweise ihrer Tricks nicht verraten dürften – nicht einmal engen Mitarbeitern. Und wie er die Geheimnisse seiner beiden Metiers behütet sehen wollte, so sorgte er stets dafür, dass auch die Abgründe seiner Biografie im Verborgenen blieben.

Kalanag geht es um Aufklärung – ein Begriff, den viele sich auf die Fahne geschrieben haben, selbst Goebbels hieß „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“. Auch Schreiber geht von einer in weltanschaulicher Hinsicht aufgeklärten Gesellschaft aus, die nicht nach Mystik, sondern nach Ablenkung verlangt: „Aufklärung (...) stellte also (für Schreiber) nicht mehr dar als die unbedingte Aufforderung, an die Unterhaltung zu glauben.“ Aurich hält dem ein an amerikanischer Fernsehunterhaltung geschärftes Ethos archivarischer Quellenstudien entgegen: „(Columbo) zeigt, dass jeder gute Kriminalpolizist immer auch ein Historiker sein muss.“

Vielleicht steckt andersherum in jedem guten Historiker immer auch ein Kriminalpolizist. Jedenfalls operiert Aurich bei seiner Entzauberung Kalanags mit einem historischen Kronzeugen. Das Buch zeichnet noch eine zweite deutsche Karriere nach, die parallel und im Schatten des Illusionskünstlers verlief. Der jüdische Filmarchitekt Max Heilbronner war bis 1933 Schreibers Geschäftspartner, Freund und Mitbewohner. 1933 floh er nach Frankreich und wurde von seinem ehemaligen Kompagnon, soweit sich das rekonstruieren lässt, nach Strich und Faden ausgenommen. 1963 starb Heilbronner im amerikanischen Exil – ein Jahr nach Schreiber, aber anders als dieser verarmt und vergessen.

Info

Kalanag. Die kontrollierten Illusionen des Helmut Schreiber Rolf Aurich Verbrecher Verlag 2016, 184 S., 14 €

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