In Brüssel fragen sich momentan viele mit Blick nach Rom, wie konfrontativ es werden kann. Dort ist Giorgia Meloni gerade als Ministerpräsidentin vereidigt worden, doch noch erscheint offen, wie ihre europapolitische Agenda aussieht. Einiges spricht dafür, dass sie früher oder später in Konflikte mit der EU-Zentrale geraten wird. Zwar hatte sie zuletzt das antieuropäische Ressentiment gezügelt, im Wahlkampf jedoch immer wieder erklärt, dass Italien seine nationalen Interessen verteidigen müsse. In einer Videokonferenz beschwor sie vor wenigen Tagen die „Einigkeit der europäischen Patrioten“.
Dies war freilich kein Plädoyer für eine gestärkte Europäische Union, es galt vielmehr der Parteienallianz Europäis
opäische Konservative und Reformer (EKR), deren Vorsitzende Meloni ist. Ausgeprägte EU-Skepsis gehört zum Gründungskonsens dieses Zusammenschlusses aus Nationalkonservativen und Rechtspopulisten, dem derzeit 64 EU-Parlamentarier aus 14 Ländern angehören. Mehr oder weniger tonangebend sind die polnische PiS-Partei (26 Sitze), die Fratelli d’Italia (8) und die Schwedendemokraten (3). Aus diesen Reihen kommt nun eine Postfaschistin, die einen der sechs Gründungsstaaten der EWG, eines Vorläufers der EU, regiert. Zweifellos eine Zäsur, denn der Rechtsrutsch in Italien verschiebt das Machtgefüge innerhalb der EU. In Polen, Tschechien, Ungarn, Litauen und Italien sind nun rechtsnationale Regierungen präsent, in Schweden wird die konservativ-liberale Koalition unter Ulf Kristersson von den rechtsradikalen Schwedendemokraten toleriert.Die Luft wird dünnerAls Ministerpräsidentin hat Meloni auch ohne EKR-Gefolgschaft die Macht, im Europäischen Rat Entscheidungen zu blockieren, wenn Einstimmigkeit geboten ist. Schon jetzt nutzt Ungarns Premier Viktor Orbán diese Vetomacht, um notfalls Konzessionen zu erzwingen. Seine Fidesz-Partei ist zwar kein Mitglied der EKR, jedoch gilt das Verhältnis zwischen ihm und Meloni als eng. „Bravo, Giorgina! Ein mehr als verdienter Wahlsieg“, twitterte Orbán noch in der Wahlnacht. Für ihn, der sich in der Rolle des Enfant terrible gefällt, kommt der Sieg Melonis zur rechten Zeit. In Brüssel wird die Luft für sein Projekt einer „illiberalen Demokratie“ zusehends dünner. Nach langem Zögern will die EU-Kommission für Ungarn vorgesehene Hilfsgelder einfrieren, bis „die Probleme mit Korruption und Rechtsstaatlichkeit“ behoben sind. Melonis Wahl könnte sich für Orbán buchstäblich auszahlen. Sollte Ungarn den Forderungen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht nachkommen, müssten die Mitgliedsstaaten entscheiden, ob mehr als sieben Milliarden Euro tatsächlich einbehalten werden. Bisher hat Meloni Orbán stets in Schutz genommen gegen „die unfairen Attacken aus Brüssel“.Auch bei anderen heiklen Fragen wird eine Konsenssuche jetzt noch aufreibender, vorrangig bei der Migrations- und Asylpolitik, die in der EU seit Jahren ohne abgestimmte Entscheidungen auskommen muss. Schwer vorstellbar, dass hier mit Meloni Arrangements möglich sind. Im Wahlkampf hatte sie eine „Seeblockade gegen Flüchtlinge“ verlangt. In der EU-Haushaltspolitik zeichnet sich ebenfalls ein Dissens ab, weil die neue Regierung in Rom nicht von ihrer Auffassung lassen will, dass Italien mehr finanziellen Spielraum braucht. Bisher stellt sich Meloni als verlässliche Transatlantikerin dar und stützt die EU-Sanktionen gegen Russland, doch ihre beiden Koalitionspartner Silvio Berlusconi und Matteo Salvini lehnen die Strafmaßnahmen ab. Gut möglich, dass eine bröckelnde Sanktionsfront weiter nachgibt.Paktieren mit UltrarechtenUrsula von der Leyen zeigte sich noch im September kampfbereit. Während einer Rede an der US-Eliteuniversität Princeton drohte sie mit Blick auf Italien: „Wenn sich die Dinge in die falsche Richtung entwickeln – ich hatte schon über Ungarn und Polen gesprochen –, dann haben wir Instrumente.“ Damit spielte sie auf Verfahren an, die ihre Kommission gegen beide Staaten eingeleitet hat, weil gegen Rechtsstaatlichkeit verstoßen wurde. Trifft das in Bälde auch Italien, das dann der gleichen Kategorie von Mitgliedern zugeordnet wäre wie Polen und Ungarn? Kaum vorstellbar, dass Brüssel es darauf ankommen lässt und zu viel Handgemenge mit der drittgrößten Volkswirtschaft Westeuropas riskiert. Zumal die Kommission nur reglementieren kann, falls das der Europäische Rat geschlossen absegnet.Mancher schaut schon jetzt mit Sorge auf die Europawahlen 2024. Meloni könnte das Zünglein an der Waage sein, wenn Kommissionspräsidentin von der Leyen auf die Stimmen der EKR angewiesen ist, um wiedergewählt zu werden. Sollte der Höhenflug der Rechtsaußenparteien anhalten, wird die EKR-Fraktion wieder wachsen. Auch deshalb dürfte von der Leyen ihrer drohenden Rhetorik so schnell keine Taten folgen lassen. Im Gegenteil: Soeben gratulierte sie der frischgebackenen Ministerpräsidentin und erklärte: „Ich bin bereit und glücklich, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten.“ Schließlich ist – wenn man so will – der Sieg der Fratelli auch ein Sieg der Europäischen Volkspartei (EVP), da sich mit Forza Italia ein Mitglied dieser politischen Familie in Melonis Rechtskoalition einfindet. Tatsächlich spielt die EVP beim Aufstieg der Ultrarechten eine unrühmliche Rolle. Ihre christdemokratischen oder konservativen Mitgliedsparteien haben in nicht wenigen EU-Staaten einen ungeliebten Oppositionsstatus übernehmen müssen. Sichere Mehrheiten ohne Partner weiter rechts sind kaum möglich. So ignorierte EVP-Chef Manfred Weber jedes Abstandsgebot und stand im italienischen Wahlkampf seinem Freund und Forza-Chef Silvio Berlusconi bei. Dass der vorbestrafte Medienunternehmer eine Koalition mit den Fratelli d’Italia und der wenig appetitlichen Lega von Matteo Salvini anstrebte, störte den gebürtigen CSU-Mann Weber nicht. Die Aussicht auf EVP-Präsenz in der Regierung eines wichtigen EU-Staates war einfach zu verlockend. Auch in der neuen bürgerlichen Minderheitsregierung in Stockholm sitzen mit den Moderaten und Christdemokraten zwei EVP-Parteien.Wenn sie sich an ultrarechte oder nationalistische Parteien binden, ohne dass für die Wähler noch klar ist, worin ihr eigener Beitrag und ihre Kernidentität bestehen, schaffen sich die „Volksparteien der Mitte“ eher früher als später selbst ab. Allein ein genauerer Blick auf die Wahlergebnisse in Schweden oder Italien zeigt, dass sich die Öffnung nach rechts außen nicht in besseren Wahlergebnissen niederschlägt. So halbierte die Forza ihr Resultat im Vergleich zum letzten Urnengang. Ebenso mussten die schwedischen EVP-Parteien Verluste hinnehmen, obwohl sie den Wahlkampf von den Oppositionsbänken aus führten. Das Fraternisieren mit den Ultrarechten mag der kurzfristige Ausweg aus einem strategischen Dilemma sein, in das die christlichen Volksparteien geraten, die längst keine Volksparteien mehr sind und daher auf derartige Bündnispartner ausweichen müssen. Letztlich führt diese Taktik in eine Sackgasse.Placeholder infobox-1