Selbst die Bischöfe machen sich Sorgen. Gleich nach der Wahl richtete ihr Präsident, Kardinal Matteo Zuppi, mahnende Worte an die künftige rechte Regierung: Sie möge die Armen und Schwachen nicht aus dem Blick verlieren, ebenso wenig Geflüchtete und Migranten. Auch der ökologische Umbau müsse vorangetrieben werden, so Zuppi. Sein Glaubensbruder, Kardinal Michael Czerny, ergänzte, Migration sei ein „seit Jahrtausenden“ geltendes Recht.
Dass Kirchenmänner mit Appellen die Regierungspolitik beeinflussen, ist wenig wahrscheinlich. Denn das Votum vom 25. September brachte das Ergebnis, das prognostiziert worden ist: einen klaren Sieg des Rechtsblocks, der auf 43,8 Prozent kam, bestehend aus Giorgia Melonis postfaschistischen Fratelli dR
elli d’Italia (FdI), die mit 26 Prozent stärkste Kraft wurden, Matteo Salvinis Lega (8,8), Silvio Berlusconis Forza Italia (8,1) und kleinen nationalkonservativen Gruppierungen. Rechts davon kandidierte noch Italexit, ein Haufen von Faschisten, Impfgegnern und Verschwörungsgläubigen, der allerdings mit 1,9 Prozent an der Drei-Prozent-Hürde scheiterte.Lettas SchuldIn der Summe ergibt das einen Stimmenanteil von 45,7 Prozent für die Rechten, aber keine absolute Mehrheit. Das heißt, von denen, die zur Wahl gingen, stimmte die Mehrheit gegen rechts. Dennoch wird Meloni wohl Regierungschefin, weil die von ihr angeführte Koalition über eine komfortable Mehrheit in beiden Parlamentskammern verfügt. Das wiederum liegt an dem seit 2017 geltenden Wahlgesetz, dem „Rosatellum“, benannt nach dem damals federführenden PD-Politiker Ettore Rosato. Es begünstigt Bündnislisten, deren Partner sich darauf einigen, sichere Wahlkreise untereinander aufzuteilen.Während die rechten Parteien das umgehend schafften, vergeudeten ihre Gegner Zeit mit letztlich ergebnislosen Verhandlungen. Verantwortlich dafür, dass Mitte-Links nur zersplittert stattfand, war Enrico Letta, Generalsekretär des Partito Democratico (PD), der verbindliche Absprachen mit Giuseppe Contes Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle/M5S) kategorisch ausschloss. Womit die Niederlage absehbar war. Kurz vor der Abstimmung kam noch einmal Hoffnung auf, weil die Cinque Stelle vorrangig im Süden massiv aufholen konnten. Ihr wichtigstes Wahlkampfthema war der Erhalt des auf ihr Betreiben hin eingeführten Bürgereinkommens, des „reddito di cittadinanza“, das Meloni & Co. abschaffen wollen. Dabei handelt es sich zwar lediglich um eine Art Hartz IV, für Millionen Menschen ist es jedoch eine unverzichtbare Überlebenshilfe. Mit weiteren Forderungen wie Mindestlohn und 35-Stunden-Woche versuchte sich Contes Partei als Anwältin der Armen zu profilieren und den PD links zu überholen. Das gelang, weil diese Partei nach der Maxime „Weiter wie bisher“ als treuester Fanclub Mario Draghis auftrat. Ein klarer Fehler, wie Exponenten des linken PD-Flügels inzwischen monieren. Unter dem parteilosen Premier und Ex-Banker wuchs nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Zahl der in absoluter Armut lebenden Italiener.Alles deutet darauf hin, dass die kommende Regierung Draghis Wirtschaftspolitik fortsetzt. Salvinis und Berlusconis Wahlversprechen, besonders massive Steuersenkungen für die eigene Klientel, wären nur mit noch höheren Staatsschulden finanzierbar. Dies aber würde auf Interventionen der Brüsseler EU-Zentrale stoßen – ein Horrorszenario für Meloni, die im Wahlkampf die brave Europäerin und sparsame Haushälterin gab. Entsprechend gelassen reagierten auch heimische Kapitalvertreter auf Melonis Triumph. Ihnen geht es vor allem um politische Stabilität, die sie durch das eindeutige Wahlergebnis garantiert sehen.Damit freilich könnten sie sich täuschen. Die zahlreichen Streitthemen innerhalb des Rechtsblocks waren nur bis zum Wahltag zurückgestellt. Jetzt müssen zunächst einmal Personalfragen entschieden werden. Salvini will wieder Innenminister werden, Meloni aber reklamiert das prestigeträchtige Ressort für die eigene Partei. Auch das Außen- und Verteidigungsministerium will sie weder der Lega noch Forza Italia überlassen: Als „russlandfreundlich“ geltende Minister würden in der NATO, der EU und den USA als Provokation empfunden. Darüber hinaus könnte Staatspräsident Sergio Mattarella bei den Personalentscheidungen von seinem Vetorecht Gebrauch machen.Weiteren Konfliktstoff birgt das Haushaltsgesetz für das kommende Jahr, das bis Ende November im Parlament verabschiedet und der EU-Kommission zur Prüfung vorgelegt werden muss. Nachverhandlungen über den Umfang und Verwendungszweck der aus Brüssel fließenden Hilfsgelder werden nur sehr begrenzt möglich sein. So stehen denn in der Wirtschafts- und Finanzpolitik die Zeichen auf Kontinuität, werden sich die „Melonomics“ wenig von der in den europäischen Leitmedien gefeierten neoliberalen „Agenda Draghi“ unterscheiden.Polizei gegen AntifaAnders verhält es sich mit dem Kern des postfaschistischen Programms, den erzreaktionären Positionen, die seit Jahrzehnten zu Melonis Grundüberzeugungen gehören (der Freitag 26/2022). Ihr Bekenntnis zu „Gott, Vaterland, Familie“ ist mehr als ein Slogan, sondern Richtschnur für eine repressive Politik gegen Frauen, Minderheiten und Migranten. Schon im Wahlkampf verlangte Meloni erfolgreich Polizeieinsätze gegen Antifaschisten, die mit Transparenten und Zwischenrufen ihre Auftritte störten. An der Spitze der Regierung hat sie direkten Zugriff auf die Staatsmacht.Dass sie damit ähnlich umgeht wie ihr ungarischer Partner Viktor Orbán, steht zu befürchten. Proteste wird das kaum aufhalten. Die feministische Bewegung „Non una di meno“ (Nicht eine weniger) konnte schon wenige Tage nach der Wahl mehrere Tausend Menschen mobilisieren, die etwa in Rom und Mailand gegen die drohende Einschränkung des Rechts auf Abtreibung demonstrierten. Auch die parlamentarische Linke verspricht „harte Opposition“. Ob der angeschlagene Partito Democratico wenigstens dazu in der Lage ist, muss sich erst noch zeigen.Placeholder infobox-1