Lexikon Linke trugen ihn im Parka als Accessoire, aus Olaf Scholz’ Kalender verschwanden im Zuge der Cum-Ex-Affäre Einträge. Was taugen Küchenkalender – und wie war das noch mit dem Schaltjahr? Alles Wissenswerte, bevor Sie einen für 2024 kaufen
Sie können so viel: Wer dran glauben mag, der richte sein Leben zwecks Gesundheit und Schönheit nach dem Mond aus
Foto: Jessica Lehrman/The New York Times/Redux/Laif
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wie Ausfall
Julius Cäsar hatte die Nase voll. Der römische Kalender (→ Iden) war so ungenau, dass Daten und Jahreszeiten immer wieder auseinandergingen. Um das Ganze zu ordnen, führte er im Zuge des „Verworrenen Jahres“ 47 – 45 v. Chr. den Julianischen Kalender ein, bei dem alle vier Jahre im Februar ein zusätzlicher Tag stattfand. Das Problem: Die Erde braucht nicht genau 365,25 Tage, um die Sonne zu umrunden, sondern ungefähr 365,24219. Also hatte sich im 16. Jahrhundert schon wieder eine Differenz von zehn Tagen ergeben. Papst Gregor XIII. ließ 1582 kurzerhand diese zehn Tage ausfallen und modifizierte die Kalenderregeln. Seither muss das Schaltjahr in Säkularjahren ausfallen. Aufmerksame Leser werden nun sagen: Moment mal, 2000
ser werden nun sagen: Moment mal, 2000 war doch ein Schaltjahr! Stimmt, denn in durch 400 teilbaren Jahren fällt der Ausfall des Schaltjahres aus. So ganz passen der Gregorianische Kalender und der Sonnenumlauf auch nicht zusammen – aber das führt erst im 5. Jahrtausend wieder zu Problemen. Leander F. Badura Cwie Cum ExOlaf Scholz hatte schon als Hamburger Bürgermeister einen vollen Kalender. Darin stand wohl 2017 ein Cum-Ex-Treffen mit Warburg-Bank-Mann Christian Olearius. Was übrigens, wie „cum“ und „ex“, lateinisch ist und seltsamerweise mit Öl zu tun hat. „Cum“ wiederum kann „mit“ oder „als plötzlich“ bedeuten. „Ex“ ist klar. Und das „calendarium“ ein Schuldbuch. Der Bundeskanzler schuldet seinen Steuerzahlenden die Erinnerung an gewisse Termine. Aber aus welchen Kalendern verschwanden die eigentlich so plötzlich? Aus schwarzledernen mit Papierseiten? Aus Computern? Man könne keine Angaben über etwaige Beweismittel machen, bedauert das mit dem Milliarden-Steuerbetrug befasste Landgericht Bonn. Der Angeklagte Olearius erinnert sich nur an seine Unschuld. Sein Sprecher weiß immerhin noch zwei Worte: „Keine Ahnung.“ Katharina KörtingDwie DigitalWenn wir unsere Computer benutzen, sind wir im Bereich des mittelalterlichen Zeitregimes. Denn „computus“ bedeutet nichts anderes als Rechnen mit Zeit, also mit dem, was eintritt, und mit dem, was nicht eintritt. Ein „Computist“ ist jemand, der berechnet, wann etwas stattfindet. Das Digitale, das ja unterscheidet zwischen 0 und 1, zwischen Sein und Nichtsein, resultiert daraus. In seinem Buch Über die Zeit entwirft der Soziologe Norbert Elias eine Geschichte des Kalenders. Der Kalender, so meint er, ist Ausdruck subjektivierter Zeit. Wir sind alle Computisten, wenn wir unsere Kalender führen. Wir verwalten uns und die Zeit, die uns zur Verfügung steht. Wenn wir unsere Kalender am Computer führen, dann rechnen wir mit unserer Zeit, der Computer aber auch. Er stürzt ab, der Kalender ist auf einmal leer. Die freie Zeit erscheint dann als Systemausfall, weil wir wissen, dass wir eigentlich unendlich viel Zeit haben, uns aber fragen müssen, wofür und für wen. Termine sind ein Investment in die Zeit. Markus SteinmayrEwie ErfundenOb es „Zeit“ gibt oder nicht, darüber zanken Philosophen schon immer. Raum und Zeit sind natürliche Größen, sagen die einen. Die anderen: Es sind symbolische Systeme, und real sei nur die Bewegung. Der Kalender beziffert dann also bloß, wie oft der Mond um die Erde und die sich um sich selbst dreht und um die Sonne kreist. Für den „Chronologiekritiker“ Heribert Illig ist die Kalenderzeit ein Stoff, der entweder echt oder gefälscht sein kann. Er behauptet, dass dem historischen Kalender, den wir kennen, 297 Jahre Fake-Zeit hinzugefügt wurden. So geschehen im echten Jahr 614, ausgeheckt von Kaiser Otto III. und Papst Silvester II. Damit die Jahre bis zum falschen 911 nicht so leer sind, erfanden sie gloriose Vorgänger wie Karl den Großen und fälschten jede Menge Belege. Alles nur Narrative sozusagen. Ich halte es mit Norbert Elias (→ Digital). Michael SuckowFwie FrauenWie lange es gedauert hat, bis es das Konterfei von Frauen überhaupt auf ein Cover schaffte, weiß ich nicht. Obwohl Historikerinnen im vergangenen halben Jahrhundert fast alles erforscht haben, ist mir keine entsprechende Studie aus den Bildwissenschaften bekannt. In frauenbewegten Zeiten waren Frauenkalender aber auch gleichsam Bekenntnis: Es gab den Emma-Taschenkalender oder das politischer ausgerichtete (→ Revolutionär) Wir Frauen, in denen wir dicht gedrängt unsere Termine vermerkten, mit Höhepunkten wie dem 8. März oder der Walpurgisnacht. Meine alten Kalendarien lagern noch irgendwo in meinem stetig wasserbedrohten Friedenauer Keller. An unsere Wegbereiterinnen jedoch erinnert bis heute Gisela Notz, die vor 22 Jahren einen gleichnamigen Wandkalender ins Leben gerufen hat. Unermüdlich forstet sie mit ihren Unterstützerinnen alljährlich in der ganzen Welt nach Frauen, die es verdient haben, aufs Blatt gehoben zu werden, um uns einen Monat lang zu begleiten. Ulrike Baureithel Iwie IdenDie Iden des März machte William Shakespeare im Drama Julius Cäsar berühmt. Aus einem profanen Datum wurde so eine internationale Metapher für drohendes Unheil. Iden – ja: im Plural – bezeichneten im römischen Kalender die Monatsmitte. Und am 15. März ist Cäsar ermordet worden – auch von Brutus. Der Kalender der Römer kannte vier monatlich feststehende Feiertage, die an den Vierteln der Mondphasenorientiert waren. Einer davon waren die Iden, die zur Vollmondzeit (→ Sternzeichen) lagen. Im März, Mai und Oktober markierten sie den 15. Tag, in den anderen Monaten den 13. Alle anderen Daten wurden mit Bezug auf diese festen Tage dargestellt. So konnte es heißen „drei Tage vor den Iden“ oder „einen Tag nach den Kalenden“. Diese bezeichneten den ersten Tag im Monat, und von ihnen leitet sich das Wort „Kalender“ ab. Tobias PrüwerKwie KüchenkalenderAngeblich sind die Rezepte, die mir der Kochkalender in meiner Küche – ein Weihnachtsgeschenk – Woche für Woche serviert, ja ganz leicht nachzumachen. Aber das Fleisch für das Wildschweinragout müsste man ja erst mal auftreiben, und ich mag mich auch nicht mit Obelix identifizieren. Der Dip aus gerösteten Zwiebeln schaut gut aus, ist im Gegensatz zum Wildschwein wirklich leicht, aber das Gemüse zum Dippen müsste ich auch erst noch besorgen. Karotten wären noch da, aber nur Karotten sind langweilig. Und für die Kichererbsen mit Spinat fehlen mir die getrockneten Sauerkirschen. So schaue ich jede Woche fasziniert auf das Kalenderblatt, denke kurz darüber nach, ob ich das Rezept nicht doch ausprobiere, während ich mir schon ein Käsebrot, ein Rührei oder einen Salat zubereite. Letztlich sind Küchenkalender als Verwandte der Kochbücher wohl eher Bilderbücher für Erwachsene, an denen man sich freut und anhand derer man seiner Fantasie freien Lauf lassen kann, in einem Wettlauf, den dann doch meistens die Realität (→ Erfunden) gewinnt.Beate TrögerRwie RevolutionärDie erste Ausgabe erschien 1972 in einer Auflage von 70.000 Exemplaren, kostete zwei Mark und erregte prompt den Argwohn der Justiz. Der Rote Kalender für Lehrlinge und Schüler war, wie der damalige Verleger Klaus Wagenbach Jahre später erzählte, der „Versuch einer Massenagitation“. Doch die praktischen Ratschläge für militante Aktionen riefen die Staatsgewalt auf den Plan. Eine „durchschnüffelte“ Neuausgabe wurde notwendig. Dem Erfolg bei der aufmüpfigen Jugend tat das keinen Abbruch. Wer jung und links war (→ Frauenkalender), hatte das Büchlein im knallroten Plastikumschlag in der Parkatasche. Lang ist’s her. Für das Jahr 2024 bietet der Rotbuch Verlag, wo der „Filofax für den angehenden Revolutionär“ (so der Journalist Reinhard Mohr über den Roten Kalender) immerhin bis 2010 erschien, einen Klima Kalender an.Joachim Feldmann Swie SternzeichenEs gibt fraglos einen Zusammenhang von Kalendern und Himmelskörpern im Weltall. Zum Beispiel ist alle 29,5 Tage Vollmond, etwa einmal im Monat, und das ist nicht nur für die Fischerei und Kreuzfahrtunternehmer relevant. Allerdings werden Sternenkonstellationen von Astrologen auch gedeutet. Sie können für 2024 Kalender kaufen, die Ihnen schon jetzt erklären, wie Sie das kommende Jahr je nach Lage der Himmelskörper bei Gesundheit, Schönheit, Ernährung und Haushalt „im Einklang mit den Mondphasen“ leben können (→ Iden). Absurd wird es bei den Sternzeichen. Generische Horoskop-Kalender sind im abergläubigen Deutschland Kassenschlager. Aber wussten Sie, dass Ihr Sternzeichen womöglich ein ganz anderes ist? Unsere Tierkreiszeichen wurden vor mehreren tausend Jahren erdacht. Inzwischen haben sich die Himmelskörper verschoben – ganz unabhängig vom menschlichen Kalender. Demnach müssten unsere Sternzeichen-Zeiträume eigentlich um einen Monat nach hinten verschoben werden. Aber wer lässt sich von Fakten irritieren? Ben MendelsonZwie ZyklusDer weibliche Zyklus ist umstellt von Kalenderdaten. Die monatliche Regel braucht einen Kalender, der Termin des Eisprungs wird mit Basalthermometer und Kalender bestimmt. Natürlich braucht die Familienplanung den Blick auf den Kalender. Dieser Blick kann hoffnungsvoll, panisch oder neugierig sein. Kalendersprüche gibt’s auch. Sie können von „Ogottogott“ über „Gott sei Dank“ bis zu „Wunderbar“ reichen. Weil die IT-Branche schon lange auf den weiblichen Zyklus gekommen ist, sind zahlreiche Apps im Angebot (→ Digital), im Grunde alle nichts anderes als elektronische Timeplaner. Die Dinger nennen sich etwa „Periodentracker“ und sollen an eine ordentliche Buchführung erinnern. Eine Notizfunktion gibt es auch, vielleicht für Kalendersprüche mit entsprechenden Emojis. Eventueller Datenklau wird mit Passwort verhütet. Magda Geisler
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