Die Geschichte und das Ich darin

Rote Kapelle Der Film „Die guten Feinde“ stellt den Widerstand gegen die NS-Diktatur als gefühlige Familiensaga dar
Ausgabe 30/2017

Familienbilder in körnigem Schwarz-Weiß: zwei Jungs mit Eltern in einem Paddelboot, eine junge Frau, die bei einer Party Akkordeon spielt und singt. Dann Gestapo-Fotos einer Frau. Und ein Brief, in dem ein Mann ruhig vom gegen ihn verhängten Todesurteil erzählt: „Es ist Krieg, die einen fallen in Stalingrad, die anderen in Plötzensee.“

So beginnt der aus der Ich-Perspektive des Nachkömmlings erzählte Dokumentarfilm Die guten Feinde, der vom Rheinland zur Zeit des Ersten Weltkriegs bis zur NS-Kontinuität westdeutscher Nachkriegsjustiz führt und um den Schriftsteller Günther Weisenborn kreist. Der ist Vater des Filmemachers und einer der paddelnden Jungs. Die Frau auf den Polizeifotos und Akkordeonspielerin ist die Mutter, Margarete Schnabel, genannt Joy.

Die Eltern von Christian Weisenborn waren im Widerstand gegen Hitler aktiv und seit 1937 Teil der großen, locker geknüpften Gemeinschaft, die die Gestapo diffamierend „Rote Kapelle“ nannte: oft jugendbewegte junge Männer und auffällig viele Frauen, die Verfolgte unterstützten und Kriegsverbrechen dokumentierten: Libertas und Harro Schulze-Boysen, Mildred und Arvid Harnack, Helmut Roloff, Erika von Brockdorff.

Viele führten ein gefährliches Doppelleben. Weisenborn etwa versuchte sich als Leiter der Kulturredaktion des Rundfunks in subtiler Sabotage und verteilte nach dem Dienst Flugblätter in der Stadt. Im Sommer 1942 werden ein vom Regime abgehörter Funkspruch aus der Sowjetunion sowie unbedachtes Verhalten zum Verhängnis für die wenig professionell agierende Gruppe. Im September werden die Weisenborns und fast 150 Mitstreiter von der Gestapo abgeholt und viele in der folgenden Zeit in Plötzensee hingerichtet.

Joy kam nach einem halben Jahr frei, das Todesurteil gegen Günther wurde in eine Zuchthausstrafe umgewandelt. So gehörten beide 1945 zu den wenigen Überlebenden der „Roten Kapelle“; Günther Weisenborn konnte in Berlin als Autor und Dramaturg an seine Theaterprojekte der Vorkriegsjahre anknüpfen.

Zum wichtigsten und schwierigsten Anliegen aber wurde ihm die Rehabilitation der einstigen Mitkämpfer. Angestrengte Verfahren gegen den Ankläger Manfred Roeder scheiterten, stattdessen schuf der ehemalige Oberkriegsgerichtsrat bald über den US-Geheimdienst CIC den Grundstock zur langjährigen Diffamierung der „Roten Kapelle“ als Clique sowjetischer Spione und Hochverräter. In der DDR nahm man den Mythos kommunistischer Ausrichtung gerne auf. Als es 2009 zu einer juristischen Rehabilitation kam, waren Joy und Günther längst tot.

Illustrative Redundanzen

Die guten Feinde wird geprägt durch eingelesene Tagebuchnotizen und Briefe Günthers, deren Prägnanz eine starke rhythmische Basis gibt, sowie durch auf Video aufgezeichnete und von Heiterkeitsausbrüchen begleitete Erzählungen der Mutter in späten Jahren. Dem Drumherum aber ist die Routine Christian Weisenborns als Fernsehjournalist anzumerken, die historische Geschehnisse mit dem glatten Sound professioneller Sprecherstimmen, illustrativen Redundanzen (sagt jemand „Lale Andersen“, ertönt Lili Marleen, beim Text „dunkle, trübe Welt“ wird auf ein Gefängnis geschnitten) und dramatisierenden Reenactments ins übliche Feature-Format zwängt.

Auch der nicht neue, aber immer noch problematische Trend, Stoffe unnötig zu emotionalisieren, macht sich breit in Die guten Feinde (der Titel stammt von einem Stück Günthers). So tritt das Liebesgesäusel zwischen den Eltern in den Vordergrund, während eine politische Einordnung und die Machenschaften etwa von Manfred Roeder stiefmütterlich behandelt werden. Aber das dürfte auch an den Förderanforderungen liegen, die Filme ohne solchem Gefühlsüberschuss keine Chance auf Realisierung geben.

Info

Die guten Feinde Christian Weisenborn Deutschland 2017, 90 Minuten

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