Der Vorstoß von Kanzleramtsminister Helge Braun, die Schuldenbremse wegen der Corona-Pandemie mittelfristig auszusetzen, ist in dreifacher Hinsicht bemerkenswert. Er demonstriert erstens Realismus, indem er anerkennt, dass für die wirtschaftliche Erholung von den Folgen der Corona-Pandemie mehr staatliche Ausgaben notwendig sind als unter den Bedingungen der so genannten Schuldenbremse zur Verfügung stünden.
Zweitens wird die darin steckende Einsicht, dass die Aufnahme von Schulden zum Zweck der ökonomischen Stimulierung sinnvoll ist, sogleich wieder kassiert. Als Grundlage einer „Erholungsstrategie für die Wirtschaft in Deutschland“, so Braun, sei Neuverschuldung gut, für darüber hinausgehende und gleichwohl notwendige Investitionen aber nicht.
Das kann man glauben. Oder man kann wissenschaftliche Erkenntnisse zur Grundlage politischer Entscheidungen machen. Unter Ökonom*innen wird heute ganz überwiegend eine andere Debatte über staatliche Kreditaufnahme und öffentliche Investitionen geführt als noch vor zehn Jahren. Sogar einst entschiedene Befürworter*innen der Schuldenbremse haben die Seiten gewechselt. Wieder und wieder wird darauf verwiesen, dass Kredite derzeit zu finanzieren und Investitionen in Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen, ökologische Innovation und dergleichen dringend nötig sind. Das wissen natürlich auch Helge Braun und seine Vorgesetzte, die Kanzlerin. Warum dann dieses „sowohl … als auch“ in Brauns Vorschlag?
Ein gewagter Spagat
Es ist, drittens, der Versuch, die Machtoptionen der Union zu festigen, indem – nach Atomausstieg und gleichgeschlechtlicher Ehe – eine weitere Hürde für eine Koalition mit den Grünen abgetragen wird. Und zwar ohne das „sparsame Haushalten“ als Marke der Union aufzugeben. Die Grünen bestehen zu Recht darauf, dass der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft mit staatlichen Investitionen im großen Stil vorangetrieben werden soll. Diesem Gedanken steht auch die Union offen gegenüber, hat sich aber mit der Schuldenbremse selbst die Hände gebunden. Für die Union bedeutet Brauns Vorstoß einen gewagten Spagat. Leicht möglich, dass die Gräben innerhalb der Union damit noch tiefer werden. Noch erscheint die Union nach innen gefestigt. Aber die Risse sind insbesondere in der CDU unübersehbar. Der Machtkampf ist mit der Wahl zum Vorsitz nur scheinbar beigelegt. Die politische Zukunft der CDU, Erschütterungen und Zerwürfnisse eingeschlossen, ist offen wie nie zuvor.
Wer angesichts dieser Aussichten darauf hofft, die Union könnte nach der Bundestagswahl als verlässlicher Partner für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft zu Verfügung stehen, operiert auf unsicherem Terrain.
Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, den Einstieg in eine sozial-ökologische Wirtschaftspolitik zu organisieren. Daher sollten wir auch versuchen, die notwendigen finanzpolitischen Weichen dafür zu stellen. Die Aussetzung der Schuldenbremse wäre dazu ein wichtiger erster Schritt. Die Linke befürwortet das, die Grünen tun dies, ebenso SPD sowie Teile der CDU. Der Klimawandel ist im vollen Gange. Es gibt kein Grund, die notwendigen Gegenmaßnahmen hinauszuzögern. Deshalb sollten wir noch vor der Bundestagswahl das Grundgesetz so ändern, dass die Kreditaufnahme für Investitionen nicht länger blockiert wird.
Kommentare 6
Die Union hatte im Westen immer zwei Geschütze, die sie gegen die SPD und Grünen in Stellung brachte und für die sie gewählt wurde:
1. Die Grünen und die SPD befürworten Zuwanderung
und
2. die SPD kann nicht mit Geld umgehen und will der Omma ihr klein Häuschen wegnehmen!
Heute steht die CDU für ungeregelte Zuwanderung und die kleinen Häuschen gehören der Bank. Nun will die CDU noch den Beweis antreten, daß sie es ist, die nicht mit Geld umgehen kann.
Die verfassungsmässige verankerung der "schuldenbremse" kann aus dem antiquierten cdu-geld-schulden-verständnis kaum erklärt werden. Die "sparsamkeit der schwäbischen hausfrau" gab es schon lange, die schuldenbremse ist allerdings eine neuzeitliche erfindung (2009).
Gebraucht und geschaffen wurde sie erst als innerhalb der EWU klar wurde, dass die sog. Maastricht-kriterien ihre disziplinierende wirkung verfehlen würden. Insbesondere dann, wenn einige länder sich nicht um die defizitgrenze scheren würden, um konsum und investitionen in gang zu bringen (ins. Frankreich und Italien), während die "disziplinierten" (sparsamen) EWU-länder, die gleichzeitig auch die wirtschaftlich stärksten waren, sich "eisern" an die verschuldungsobergrenze von 60 prozent halten (wollten).
Da wirtschaftliches aufholen (und überholen) nur durch eine mit defiziten einhergehende staatliche industriepolitik möglich sind, sollte die schuldenbremse zugleich die bestehende rangordnung in der EWU verewigen.
Und um all dies durchzusetzen, sollte das nationale beispiel dienen, und so wurde die "schuldenbremse" für alle (von den kummunen bis zum bund) in der brd am 29. May 2009 in den verfassungsrang erhoben. Welch ein unsinn!
Nicht zuletzt ist die Schuldenbremse ein wichtiges Instrument, um den jeweiligen Koalitionspartner der Union am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen.
https://www.youtube.com/watch?v=-crxJtV3a-Q&list=RD-crxJtV3a-Q&start_radio=1
Aus dem Schüren von unbegründeter Angst vor Inflation, wenn die SPD am Ruder ist, hat die CDU jahrelang Wahlen gewonnen.
Mit äußerst knapper Mehrheit haben Union und SPD mit Unterstützung auch der FDP eine Schuldenbremse für Bund und Länder beschlossen. Aber was spielt das eigentlich alle für eine Rolle? Sie ist ein Spielball, wie man anlässlich der Corona-Pandemie sieht.
Schließlich stehen für die Umsetzung der neoliberalen Politik seit Gerhard Schröder alle Parteien des »Parteienkartells aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn« und mittlerweile auch die LINKEn zur Verfügung.
…
Schuldenbremse aus der Sicht eines zornigen Bürgers:
Bei allem, was Sie hier schreiben, ist der Einführungs-Zeitpunkt für die Schuldenbremse entlarvend. Immerhin war ihr die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent unter der großen Koalition aus CDU/CSU & SPD von 2005 bis 2009 vorausgegangen.
Steuergeschenke für Arbeitgeber und Schuldenbremse
Politisch gewollte, einseitige Steuergeschenke für Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft durch Steuergesetzesänderungen für die Zeit zwischen 1998 und 2013 in Höhe von ca. 490 Milliarden Euro mussten kompensiert werden (Bontrup: Durch Umverteilung von unten nach oben in die Krise, Seiten 15 – 16.).
Davon entfielen auf den Bund 197,67 Milliarden Euro, auf die Länder 236,68 Milliarden Euro und auf die Gemeinden 56,00 Milliarden Euro.
Die politische Verantwortung hierfür lag von 1998 bis 2005 bei Rot-Grün, bei Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 und bei Schwarz-Gelb von 2009 bis 2013. Wenn man den öffentlichen Haushalten der Bundesrepublik so viel Geld entzieht, dass diese ihren originären Aufgaben nicht mehr nachkommen können, entsteht nach einigen Jahren automatisch ein gigantischer Bedarf.
Und wenn die Münchner Ökonomin und SPD-Politikerin Philippa Sigl-Glöckner über einen riesigen Investitionsrückstand, der sich etwa in der Corona-Krise daran zeige, wie die Gesundheitsämter unter Einsparungen der Vergangenheit litten, schwafelt, so sei ihr ins Stammbuch geschrieben, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden.
Das eingesparte Geld in Höhe von 490 Milliarden Euro war ein Geschenk an Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft.
Nachdem das Parteienkartell aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn mithilfe seiner Steuergesetzgebung zwischen 1998 und 2013 Arbeitgeber, Industrie und Finanzwirtschaft in Höhe ca. 490 Milliarden EURO beschenkt hatte und ihm dann im Zuge der sogenannten Lehman-Pleite ab 2008 von den Bankstern eben dieser monetären Machthaber die Rechnung ihrer 50-Billionen-US-Dollar-Sause gelegt wurde, begann 2009 wieder das Geschwätz von der schwäbischen Hausfrau und diente als sinnstiftendes Narrativ für die Einführung der sogenannten „Schuldenbremse“ zur Festschreibung der Austeritätspolitik (die natürlich immer nur hinsichtlich der nichtprivilegierten Bevölkerung gilt) schließlich per Grundgesetzänderung, für die bekanntlich eine parlamentarische Zweidrittel-Mehrheit notwendig war.
Bis dahin war der entstandene gesamtwirtschaftliche Schaden enorm, war die öffentliche Infrastruktur nachhaltig geschädigt, was z.B. Berufspendlern täglich unendlich lange Staus auf den Straßen beschert.
Durch die gemeinsame Politik des Parteienkartells aus CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEn ist den öffentlichen Haushalten in der Bundesrepublik so viel Geld entzogen worden, dass diese ihren originären Aufgaben nicht mehr nachkommen können und konnten – Deutschland verludert(e)! Davon sind nicht nur marode Straßen und Autobahnbrücken und Turnhallen betroffen, in denen die Decken herunterfallen, sondern es ist selbstverständlich die gesamte öffentliche Infrastruktur betroffen, wozu auch die Personalausstattung gehört, von den personellen Defiziten im Gesundheitswesen ganz zu schweigen.
Schwarze Null, Schuldenbremse sind niedliche Nicknames für Austeritätspolitik, die die verschiedenen Regierungen (nicht nur in Deutschland) ihren Bevölkerungen verordnet haben. Es sind Begriffe der üblichen Camouflage mit der Politik und Medien die Bürgerinnen und Bürger sedieren und mit denen sie 2011 Austeritätspolitik schließlich per Grundgesetzänderung, für die bekanntlich eine parlamentarische Zweidrittel-Mehrheit notwendig ist, verfassungsmäßig festschrieben.
!!!Es war also ein Riesenfinanzierungsbedarf entstanden, dessen Behebung Milliarden gekostet hätte, was eigentlich auch nicht schlimm gewesen wäre (wie uns gegenwärtig vorgeführt wird), würde Big Money Ausgaben für die gemeine Bevölkerung nicht immer nur als AUSGABEPOSTEN verstehen!!!
Dazu gehört: Seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 können sich die Giganten unter den Großbanken, Versicherungen, Hedgefonds und multinationalen Konzernen sowieso darauf verlassen, dass sogenannte "systemrelevante" Unternehmen von Regierungen und Zentralbanken im Notfall mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gerettet werden. „Watever It Takes“ – ein Freibrief, auch für Lug und Betrug.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen billiger werden – das Geld ist für die Reichen da!
Bezogen auf die Bürgerinnen und Bürger, bezogen auf die Wählerinnen und Wähler gab/gibt es eine Generallinie, nämlich die rigorose Kürzung ihrer Einkünfte (der Masseneinkünfte) für eine Politik der Umverteilung von unten nach oben.
...
Deutschland hat ca. zwei Billionen EURO Schulden, die niemals zurückbezahlt werden bzw. zurückbezahlt werden können, mit denen man aber Bevölkerungen gegeneinander ausspielen kann, Junge z.B. gegen Alte, weil deren Renten angeblich nicht mehr von den Jungen aufgebracht werden können usw.
!!! In diesem Zusammenhang hat es dann auch etwas für sich, „dass die EZB am Ende einen Teil der ohnehin aufgekauften Staatspapiere bei sich stilllegt oder in sehr langfristige Anleihen umwandelt und bei sich behält“ (Achim Truger), sie mit anderen Worten in die Tonne kloppt. !!!
Menschen, die mich kennen, wissen: ich gehöre zu jenen Menschen, für die das HANDELN die wichtigste Richtschnur im Leben ist.
Dies zum Massstab genommen, finde ich es schnuppe, aus welchen Motiven heraus jemand etwas tut. Entscheidend ist, er tut es. Ich glaube, Erich Kästner sagte einmal: Es gibt nichts Gutes - außer man tut es.
Ich nehme den späten Vorstoß der Unionschristen mit Wohlwollen auf. Jahrzehntelang habe ich mich über deren erbarmenswürdige Politik geärgert. Mit dem ein oder anderen Regionalpolitiker in Mittelhessen verbindet mich eine innige Gegnerschaft, ganz besonders mit einem namhaften Rechtsausleger.
Auch wenn ich mich über Helge Brauns Vorstoß gewundert habe, habe ich mich zugleich - ja, ich bekenne das - gefreut. Nicht, dass dadurch jeglicher Dissens mit den Unionschristen aufgelöst wäre. Aber es ist eine neue Möglichkeit zum Dialog.
In diesem schlafmützigen Land kommt keiner an der CDU vorbei. Dadurch kann ich mir den letzten Rest von Lebensfreude nehmen lassen - oder selbst nehmen. Oder ich kann in die nächste Gesprächsrunde gehen.
Für meinen Teil ist mir das Letztere lieber als ewige Rechthaberei. Von der auch ich in jüngeren Jahre nicht frei war, die aber das Bestehende nur konserviert.
Ich werde mir mal eine Kontaktadresse von Helge Braun besorgen. Als "naiver Mensch" (gelegentliches Labeling in diesem Forum) steht mir das gut zu Gesicht.
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