Ich bin Jüdin

Antisemitismus Unsere Autorin lebt säkular, aber der Hass von Halle drängt sie zum Bekenntnis
„Ich habe Angst“
„Ich habe Angst“

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

Ich bin Jüdin, ich sage das nicht gerne. Ich bin Jüdin, ich war an Yom Kippur nicht in der Synagoge, ich habe auch nicht gefastet, obwohl Juden das an Yom Kippur tun oder, wenn sie religiös sind, tun sollen, fasten. Ich bin Jüdin, ich sage das nicht gerne, nicht, weil ich Angst habe, das zu sagen, Angst vor Antisemitismus beispielsweise, sondern weil ich befürchte, dass das Thema ein zu groß wird: Die Jüdin. Ich bin Jüdin, ich lebe säkular, ich möchte das am Liebsten gar nicht erklären, aber da wir von Yom Kippur sprechen, da plötzlich so viele von Yom Kippur sprechen, die den Begriff bis gestern nicht kannten, muss ich das sagen, dass Yom Kippur, obwohl der höchste Feiertag im Judentum, nicht mein liebster ist. Ich bin Jüdin, ich sage das auch deshalb nicht so gerne, weil dieses Wort, seine weibliche Form, so selten verwendet wird in der deutschen Sprache, und selten ohne die Konnotation des Holocaust, ich bekomme diese Konnotation einfach nicht aus dem Kopf. Vorgestern war Yom Kippur, und morgens rief ich meine Mutter an, einfach so, um zu plaudern, sie nach ihrem Urlaub zu fragen, und sie winkte mich ab, sie müsse jetzt los, zum Gebet. Zu welchem, fragte ich, so eine Jüdin bin, und sie sagte, zu Yom Kippur, und ich antwortete, ach so, und schob, wie man das an Yom Kippur sagt, Gmar chatima tova, hinterher. Eine gute endgültige Besiegelung, heißt das, was auf den Glauben zurück zu führen ist, dass sich an Yom Kippur, zehn Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest, entscheidet, wer ins Buch des Lebens eingeschrieben wird.

Das Buch des Lebens, das ist, was diese unfassbare, bösartige Tat makaber macht. Vorgestern war Yom Kippur, und mittags trat ich aus einer Besprechung in den Regen, wischte über das Flugmodussymbol. Eine Freundin hatte geschrieben, und mein Kopf tat sich schwer, die Worte in einen gemeinsamen Zusammenhang zu bringen: Schießerei, Synagoge, Halle. Und mein Kopf baute sich eigene Zusammenhänge, die er eher bereit war, zu glauben, er machte aus Halle eine Turnhalle, eine Versammlungshalle, und verlegte die Handlung in ein anderes Land in die USA, und er weigerte sich zu glauben, dass hier, dass bei uns, dass in Deutschland, in dem Land, das, in dem Land, das nie wieder, und er weigerte sich so sehr, dass ich erst einmal da stehen blieb, obwohl es stark regnete und nichts tat, auch nicht versuchte, Nachrichten zu lesen und herauszufinden, was eigentlich, was genau.

Diese alte Frage

Vorgestern war Yom Kippur, und etwas hat sich verändert in diesem Land. Die Gewalt hat eine neue Fassbarkeit bekommt, sie ist greifbar, sie ist ekelerregend, sie ist erschreckend, und seien wir mal ehrlich, wir haben dabei zugesehen, wie sie auf uns zurollt. Wir wussten es, aber wir wollten nicht so Recht glauben vielleicht. Die Gewalt hat eine Angst mitgebracht, die existentiell erscheint, die etwas triggert, was auch nie wieder sein sollte, diese alte Frage, können Juden in Deutschland ... Diese Angst hat nichts mit dem Polizeischutz zu tun, und nichts mit der Frage, warum er an diesem Tag in Halle fehlte, sie geht weiter zurück, sie fragt, warum da Polizei hätte sein müssen, warum jüdische Einrichtungen geschützt sein müssen, sie fragt nach dem Hass. Die Angst ist ansteckend, weil die Tat zwar antisemitisch motiviert war, aber nicht nur. Die Tat basierte auf einem gewaltbereiten Hass, der sich gegen alles richtet, was anders ist, was frei denkt, was nicht blutsdeutsch ist auch. Da sind sie ja, diese alten Worte. Er richtet sich gegen Juden und Muslime, gegen jene, die anders glauben, aussehen, lieben, sich identifizieren, er richtet sich gegen die Demokratie. Ich bin Jüdin, und ich habe mich gegen die Vorstellung gesträubt, dass ich diesen Satz mal sagen würde. Ich habe Angst.

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