Endlos-AKW Fessenheim

Frankreich Der Betreiber spielt Russisch Roulette mit einem schrottreifen Atomkraftwerk direkt an der deutschen Grenze. Die Bundesregierung muss endlich aktiv werden
Ausgabe 15/2017
Auch Greenpeace wurde schon vorstellig
Auch Greenpeace wurde schon vorstellig

Foto: Sebastien Bozon/AFP/Getty Images

Wie fänden Sie es, wenn Ihr Nachbar russisches Roulette spielt und Sie dabei einbezieht, ohne Sie zu fragen? Nennen wir es französisches Roulette, denn darum geht es! Frankreichs ältestes Atomkraftwerk steht direkt an der Grenze zu Deutschland. Der am Wochenende von der französischen Regierung verkündete Abschaltbeschluss für Fessenheim leistet in Wirklichkeit vor allem eins: Der berüchtigte Schrottmeiler läuft weiter. Er wird nicht in diesem Jahr abgeschaltet. Vielmehr wird das AKW von heute aus gesehen mindestens bis zum Jahr 2019 am Netz hängen – nach den Präsidentschaftswahlen sehen wir weiter.

Wer sich näher mit Fessenheim beschäftigt, bekommt Gänsehaut. Das AKW ist so schlecht konstruiert, dass es hierzulande in den 1970er Jahren nicht genehmigungsfähig gewesen wäre, etwa wegen zu wenigen wichtigen Sicherheitskomponenten zur Verhinderung einer Kernschmelze. Da braucht man bei uns, vereinfacht gesagt, mindestens eine dreifache Absicherung, in Fessenheim gibt es allenfalls eine doppelte, manchmal nur eine einfache. Und die ist, wie viele andere wichtige Komponenten, in einer erdbebengefährdeten Region noch nicht einmal ausreichend gegen Erdstöße gesichert. Hinzu kommt die ungenügende Auslegung gegen Flugzeugabstürze und das in Flughafen-Nähe. Das ist nicht nur unter Terroraspekten relevant. Ein Selbstmörder im Cockpit, der andere mit in den Tod reißen will, ist leider kein Hirngespinst, wie wir lernen mussten.

Hinsichtlich der Überflutungsrisiken gilt international, dass ein AKW dem schlimmsten Hochwasser standhalten muss, mit dem in einem Zeitraum von 10.000 Jahren zu rechnen ist. Fessenheim fällt dahinter weit zurück – die französische Atomaufsicht lässt das durchgehen. Die Mängelliste ließe sich lange fortsetzen, auf den Punkt bringen lässt sie sich so: Fessenheim ist so schlecht, dass es auf unserer Seite der Grenze stillgelegt werden müsste. Sofort. Klar ist, nirgendwo lässt sich mit AKW beruhigt leben, bevor sie abgeschaltet und rückgebaut sind. Mindestens die gängigen Sicherheitsstandards sollten deshalb eingehalten werden.

Doch Frankreich setzt den Überalterungsbetrieb des Schrottmeilers fort und steuert damit auf den nächsten großen Störfall zu. Dank der vorherrschenden Windverhältnisse und dem Verlauf des Rheins trägt Deutschland dabei das höchste Unfallfolgen-Risiko. Im Umkreis von bis zu 100 Kilometern um Fessenheim leben allein in Deutschland über zwei Millionen Menschen. Sie sind dazu verdammt, das Risiko ohnmächtig hinnehmen zu müssen. Das ist auch Schuld der Bundesregierung, die zu spät und zu wenig gegen Fessenheim unternommen hat. Erst als der gemeinsame Druck von den seit vielen Jahren engagierten Anwohnern und Anwohnerinnen aus Baden-Württemberg zu groß wurde, gab es erste kritische Töne. Wirklich Chefsache war das Thema bisher aber nie. Umso mehr muss Kanzlerin Merkel sich endlich der schnellstmöglichen Abschaltung Fessenheims verschreiben und sie gleich nach der Präsidentschaftswahl im Mai verhandeln.

Das, was Frankreich und der Staatskonzern EDF mit dem Atommeiler Fessenheim treiben, ist französisches Roulette auf Kosten der Menschen, die in Nähe des AKW leben oder arbeiten. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung endlich ernsthaft daran arbeitet, die Kugel aus der Trommel zu nehmen.

Sylvia Kotting-Uhl ist atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag

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