Erzieherin im Gespräch: „Ich mache mich nicht mehr kaputt, für einen Job“
Neue Maloche Anne ist Erzieherin und hat oft Angst, zur Arbeit zu gehen. Aber nicht wegen der Kinder, die sie betreut. Hier erzählt sie, wie es ist, wenn man einen Job macht, der für die Gesellschaft unentbehrlich – und trotzdem nicht angesehen ist
Kein Zeit, keine Kraft: „Wir wissen so viel über frühkindliche Bildung – und setzen so wenig um“, sagt Erzieherin Anne
Foto: Iacopo Pasqui/Connected Archive
Anne ist Erzieherin und Studentin, Mutter von zwei kleinen Kindern und schreibt: „Ich knabbere hart an meinem Beruf.“ Sie hat an einigen Tagen Angst, zur Arbeit zu gehen. Und das nicht wegen der Kinder, die sie betreut.
der Freitag: Anne, was ist das größte Problem an deinem Job?
Anne: Wir haben keine Lobby. Ich bin zwar in einer Gewerkschaft, wir streiken, aber es ist schwierig, etwas zu verändern. Niemand hat mehr Lust, in einer Kita zu arbeiten.
Wie und wo arbeitest du aktuell?
Ich arbeite 20 Stunden in einer Kita und studiere nebenbei frühkindliche und inklusive Bildung. Früher hatte ich 30 Stunden neben dem Studium. Ich würde auch nie mehr arbeiten in diesem Beruf. Im Anerkennungsjahr habe ich 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Ich war noch nie in m
dem Studium. Ich würde auch nie mehr arbeiten in diesem Beruf. Im Anerkennungsjahr habe ich 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Ich war noch nie in meinem ganzen Leben so viel krank wie in diesem Jahr. Aktuell arbeite ich bei einem kirchlichen Träger. In städtischer Trägerschaft ging das besser mit dem Streik, bei kirchlichen Trägern ist Streik verboten. Ich habe zwei Streiks mitgemacht, das hat viel in mir bewegt. Bei den Reden dachte ich die ganze Zeit nur: Ja! Aber warum sind so wenig Leute hier? Obwohl ich nicht mehr streiken darf, bin ich in der Gewerkschaft geblieben. Weil das die Einzigen sind, die für unsere Rahmenbedingungen streiken.Wie sind deine Rahmenbedingungen zurzeit?Ich habe zwei kleine Kinder, mein Mann und ich arbeiten und studieren beide. Wir wohnen in einer konservativen, christlich geprägten Mittelstadt. Hier gibt es viele kirchliche Träger. Bei denen gibt es so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten. Da kommt die Leitung und das war’s. Da gibt es wenig Veränderung, die kirchlichen Träger sind auch nicht an den Tarifvertrag gebunden. Zur Corona-Zeit haben wir keinen Corona-Bonus bekommen, sondern ein Duschgel.Das zeigt ja schon die Art der Wertschätzung. Was macht den Job sonst noch schwer?Die Belastung ist immens durch die Strukturen in der Kita. Ich habe in vier verschiedenen Kitas bisher gearbeitet. Die Fluktuation in diesem Beruf ist hoch. Man hofft ja immer, dass es in der nächsten Kita besser wird – wird es aber meistens nicht. In drei von vier Kitas hatten wir eine Whatsapp-Gruppe. Das heißt, du bist 24 Stunden erreichbar, bekommst um 21 Uhr Nachrichten von erkrankten Kolleginnen. Das versetzt dich in Stress, weil du dann nicht weißt, mit dem du am nächsten Tag arbeitest. Man splittet dann Gruppen, aber es kann trotzdem sein, dass du mit zehn Kindern alleine bist. Wenn du dann ein Kind hast, das mehr Betreuung braucht, schaffst du das nicht. Dazu kommt der Druck von den Eltern, sodass sich wenig Leitungen und Träger trauen, Gruppen zuzumachen. Wir haben ganz oft das Motto: Hauptsache, kein RTW (Rettungswagen, Anm. d. Red.) an diesem Tag. Und wenn das das Motto in einer pädagogischen Bildungseinrichtung ist, dann läuft echt einiges schief. An manchen Tagen habe ich Angst, zur Arbeit zu gehen, weil so wenig Personal da ist, dass ich eigentlich keine Aufsichtspflicht gewährleisten kann.Wie gehst du mit dem Personalmangel um?Früher dachte ich, ich muss zur Arbeit, wenn eine Kollegin krank ist, selbst wenn es mir nicht gut geht. Ich hatte das Gefühl, die Kolleginnen sonst im Stich zu lassen. Da bin ich aber drüber weg mittlerweile. Die Verantwortung liegt nicht bei mir, sondern beim Träger. Oder bei der Politik, den Beruf attraktiver zu machen. Ich mache mich nicht mehr kaputt für einen Job, der mir nichts bringt. Bei dem ich nicht einmal die pädagogische Arbeit machen kann, für die ich mich eigentlich mal entschieden habe. Für 20 Stunden pro Woche habe ich 1.200 Euro auf meinem Konto. Als Alleinerziehende könnte ich davon nicht leben. Und selbst bei uns ist es knapp – wir wollten eigentlich in eine Vier-Zimmer-Wohnung ziehen, aber das können wir uns nicht leisten.Hast du Hoffnung, dass sich die Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen in den kommenden Jahren verändern werden?Meinen Idealismus habe ich nicht mehr. Die Hoffnung, dass sich was verbessert, habe ich auch nicht mehr. In meiner aktuellen Kita gibt es zwar Wertschätzung. Das ist für jetzt erst mal gut. Aber die Hoffnung, dass ich sagen kann, ich bleibe 30 Jahre in dem Beruf: Nein. Die Aussicht macht mir eher Angst.Was bedeutet das für die Kinder, wenn diese Hoffnung nicht mehr da ist?Ganz viel. Die wenigsten Kitas können Kinder und ihre Bedürfnisse noch in den Mittelpunkt stellen. Es wird versucht, die Fassade aufrechtzuerhalten. Es wird zum Beispiel ein Seniorencafé veranstaltet mit einem Altenheim nebenan. Aber in der täglichen Arbeit ist die Interaktion mit dem Kind fast nicht mehr möglich. „Ich wüsste nicht, wann ich das letzte Mal mit einem Kind ein Spiel beendet habe“, das höre ich Kolleginnen oft sagen. Es kommt eigentlich immer was dazwischen. Satt und sauber, das ist die Prämisse, neben dem RTW, der nicht kommen sollte. Es geht vor allem um Schadensbegrenzung. Die Kinder fallen dabei komplett hinten runter.In deinem Studium lernst du, wie es sein könnte, in der Praxis bist du dann in der Realität.Ja, wir haben noch nie so viel über frühkindliche Bildung gewusst. Darüber, wie wichtig frühe Bildung ist und wie inklusive Bildung aussehen kann und sollte. Und wir haben es noch nie so wenig umgesetzt. Auch deshalb mache ich das Studium. Inklusion wird gefordert, aber Exklusion ist die Praxis. Gespräche mit Verdacht auf Kindeswohlgefährdung werden verschoben und nicht zeitnah nachgeholt, weil so viel anderes zu tun war. Inklusion im Sinne einer Haltung, die jedes Kind sieht, ist so wichtig. Kindern Schutz und Sicherheit zu geben und einen Ort, an dem sie mit Freude und Begeisterung lernen und leben können. Das ist eigentlich das Mindeste – und davon wird so wenig wirklich umgesetzt.Das klingt frustrierend. Auf wen bist du wütend?Zum einen ist es ein Beruf, der gesellschaftlich noch immer nicht angesehen ist. Eltern erklären uns, wie wir unsere Arbeit zu tun haben. Wir haben da kein Standing. Ich habe mal einen Artikel gelesen mit der Überschrift: „Eltern, streikt mit“. Es ist das einzige Druckmittel, das wir haben. Die Eltern sind die, die uns brauchen. Aber die Betreuung steht bei den meisten noch vor der Bildung. Es müsste klar sein, was wir jeden Tag leisten. Wir arbeiten unter unfassbarem Lärm, bis zu 25 Kinder auf engstem Raum. Viel findet auf dem Boden statt oder auf kleinen Stühlen. Die Stühle der Erzieher*innen passen meist nicht richtig unter die Tische, also sitzen wir auch auf den kleinen Stühlen. Dazu schweres Heben und Tragen. Wir sind vielen Rotznasen ausgeliefert. Ich habe aus der Kita nicht nur Erkältungen mit nach Hause genommen, sondern auch Krätze und Läuse. Für Elterngespräche, Entwicklungsberichte und Sprachbildung haben wir zwei Stunden Vorbereitungszeit in der Woche. Das reicht aber vorne und hinten nicht. Ich habe schon in Kitas gearbeitet, wo das alles nebenbei im Gruppenalltag gemacht werden musste. Und dann passiert alles gleichzeitig: Während ein Kind auf der Toilette sitzt und darauf wartet, abgeputzt zu werden, braucht ein anderes auch deine Hilfe. Während der Betreuung der Kinder noch schnell ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern vorbereiten, E-Mails mit der Frühförderstelle formulieren oder einen Gefährdungsbogen besprechen. Ich glaube, das kann man tausendmal erklären und es wird einfach nicht verstanden, was wir da leisten. Diese frühe Bildung ist so wichtig und elementar für alles, was danach kommt, dass ich immer denke: Meine Güte, wann seht ihr das denn endlich?Wie sieht ein guter Kita-Moment aus, wie ein schlechter?Das Schönste am Job ist es, eine Verbindung zu einem Kind herzustellen. Ein Kind hat sich mal für Raumfahrt interessiert. Wir haben ein kleines Kino organisiert und das Kind konnte sich die Sendung mit der Maus mit dem Raumfahrer Alexander Gerst anschauen. Einfach die Zeit zu haben, die Kinder zu beobachten. Welche Impulse brauchen sie, um weiterzugehen? Wenn das klappt, ist das wirklich toll. Und dann gibt es Momente, wenn Eltern uns ein Kind in die Kita bringen und sagen: „Es hatte heute Morgen Fieber, hat jetzt ein Zäpfchen, müsste also gehen.“ Das sind so Momente, in denen ich denke: Was mache ich hier eigentlich? Besonders schlimm ist auch der Montag. Nach einem ruhigen Wochenende knallt der Lärmpegel so richtig rein. Spätestens im Auto hab ich dann Migräne und muss ’ne Ibu nehmen. Früher habe ich mich dann ins Bett gelegt, mit Kindern geht das nicht mehr.Wie kann Solidarität aussehen?Solidarität von der Leitung muss bedeuten: Ich habe nicht nur einen Auftrag den Kindern und Eltern gegenüber, sondern ich muss auch die Erzieher schützen. Und dann frage ich mich: Auf welcher Seite stehen Eltern? Ich sehe den Druck der Arbeitgeber. Aber letztendlich ist eine kranke Erzieherin auch ein Grund, dass eine Kita nicht geöffnet werden kann. Auch Eltern müssen ein Interesse an gesunden Erziehenden haben. Es wäre ein Anfang, wenn Eltern verstehen, dass wir auf der gleichen Seite stehen.Und die Leidtragenden neben den Erziehenden sind die Kinder, oder?Die Kinder spiegeln nur das, was sie mit uns erleben. Sie sind Symptomträger des Systems. „So viele Problemkinder hatten wir noch nie“, das höre ich oft. Allein das Wort „Problemkinder“, furchtbar. Aber die Frage ist: Hatten wir noch nie so viele problematische Kinder oder brauchen die Kinder von heute einen anderen Zuspruch als den, den wir ihnen geben? Im Verhalten der Kinder wird oft die Schuld oder das Problem gesucht. Wenn die Kinder sich nicht anpassen an die Gegebenheiten, sind die Kinder das Problem. Aber das sind sie nicht. Das sind wir.Placeholder infobox-1
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